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Ein weiser Cartoonist

  • Autorenbild: Guenter G. Rodewald
    Guenter G. Rodewald
  • 23. Sept.
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Sept.

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22. September 2025 – Vor gut zwei Wochen setzten die Bremer Philharmoniker ihre Konzertreihe im Tabakquartier Bremen fort, die sie im vergangenen Jahr mit der Einladung des Musikers und Komikers Wigald Boning gestartet und der sie den Titel »My Playlist« gegeben hatten. Dieses Mal war aus Hamburg der Cartoonist und Maler Til Mette angereist, der sich gute eineinhalb Stunden mit dem Musikjournalisten und Moderator Axel Brüggemann auf beste und launige Weise unterhalten und seine sehr spezielle »Playlist« mitgebracht hatte. Die Stücke, die sich in dieser Reihe immer der Gast selbst aussuchen und zusammenstellen darf, wurden wieder von den angeregt und spielfreudig musizierenden Bremer Philharmonikern aufgeführt, unter der Leitung des Gastdirigenten Yu Sugimoto, anstelle des zunächst im Programm angekündigten Generalmusikdirektors der Philharmoniker Marko Latonja.


Bielefeld, Bremen, New York, Hamburg


Diese vier Städte, das sind die vier zentralen Lebensmittelpunkte von Til Mette, der auf den vollen »bürgerlichen« Namen Gotthard-Tilmann Mette reagiert, der im Dialog zwischen dem Gast und seinem Gegenüber immer mal gerne wieder amüsierend ins Gespräch gebracht wurde. 1956 in Bielefeld geboren und aufgewachsen, kam er 1980 zum Studieren oder bald auch weniger Studieren nach Bremen an die dortige noch recht junge Uni. Hier begann er dann sehr bald, seine schon immer große Lust zu zeichnen und in reale, d.h. publizierbare Formen zu bringen. Karikaturen wurden es. So konnte er sein Studium, bzw. sein Leben in der Zeit finanzieren, indem er für die alternativen Stadt-Magazine und -Revuen der damaligen Jahre seine ganz speziellen, manchmal zu freundlicher Bissigkeit neigenden Karikaturen zeichnete und in ihnen publizierte. Und sehr bald auch schon in weiteren Print-Medien der Republik, beispielsweise der SZ. Nicht unerwähnt sollte man es lassen, dass Til Mette zu der Gruppe derer gehörte, die die Bremer taz mit aus der Taufe hob, wie Brüggemann erwähnte - »vor dreißig Jahren« - was Til sofort und mit gewissem Stolz mit »vor vierzig!« korrigierte.


Eine verblüffende Auswahl


Mette gestand in seiner ihm eigenen Offenheit, dass er eigentlich keine sehr enge Beziehung zu klassischer Musik habe, er habe regelrecht »Schiss« bekommen, als ihn die Anfrage der Philharmoniker erreichte. Denn das »ist überhaupt nicht die Musik meiner allerersten Wahrheit. Das ist die Musik meiner Frau. Da haben wir Gütertrennung...« Das mag erstaunen, war seine Mutter doch schließlich Musik- und Theaterlehrerin, aber genau da ist der Hase begraben. Trotz (oder gerade weil?) Klavierunterricht bekam er keinen innigen Draht zu dieser Spezie von Musik. Im Gegenteil: »im Wohnzimmer hing eine Bassflöte, eine Alpenflöte, ein Sopran oder was es da so gibt, also so bis zur Blockflöte, so wie Orgelpfeifen hingen sie da«. Und weiter: »das war für uns immer so eine Mahnung, denn unsere Mutter hat schließlich unseretwegen, der Kinder wegen, ihre Solokarriere als Flötistin aufgegeben.«


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Aber schnell wurde in der Folge klar, dass der Zeichner dem Publikum einen wunderbaren und überraschenden cocktail of music zusammengemixt hatte, der nicht nur ihm, ganz offensichtlich auch Brüggemann, dem Publikum, aber eben auch ganz besonders den Musikern viel Vergnügen bereitete.


Angefangen mit »The Penguin« von Raymond Scott über Georg Philipp Telemann mit den für mich bislang noch nie gehörten »convertierenden Fröschen und Krähen«, auch »Alster Ouvertüre«, genannt, Mettes Salut an seine heutige Heimatstadt Hamburg. Als Gruss an die Mutter und seine Frau das dann doch auch sehr klassische Stück von W.A. Mozart, das Adagio aus dessen Konzert für Klartinette A-Dur KV 622, meisterhaft vorgetragen vom Soloklarinettist Martin Stoffel der Philharmoniker. Denn obwohl Til Mette eigentlich Bebop und Boogie-Woogie bevorzugt, räumt er ein, dass Mozart für ihn der Inbegriff des Schönen sei: »Wenn es einen Begriff für Schönheit gibt, dann ist das auch Mozart« gesteht er.


Danach folgte noch ein weiteres Stück von Randolph Scott mit dem heute ganz und gar nicht politisch korrekten Titel »Dinner Music for a Pack of Hungry Cannibals«, aber Musiktitel bleiben Musiktitel, denn würde man Johann Strauss' Operette heute unter dem Titel »Der Roma-Baron« aufführen oder nähme man sie ganz vom Spielplan?


Danach Paul Hindemiths lästersternde »Ouvertüre zum ‘Fliegenden Holländer’, wie sie eine schlechte Kapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt«. Noch nie habe ich von diesem oder dieses Stück gehört. Und wohl noch nie hat man die Bremer Philharmoniker so gekonnt »falsch« spielen hören. Aber auch das muss gelernt sein! Grosse Kunst.


Wollen Sie hören, wie das klingen kann? Voilá!


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Und dann noch der »Ungarische Tanz nº 5« von Johannes Brahms. Den lasse ich Til persönlich in seinen eigenen Worten ankündigen:


»Der ungarische Tanz ist, das ist ein Beispiel dafür, dass also erstmal ist es sowieso ein Beispiel für kulturelle Aneignung, dass der Hamburger Brahms einhergeht, nach Ungarn fährt, von bekannten Musikern die Stücke klaut und die dann als seine ausgibt. Das sind die ungarischen Tänze. Das ist eins der frühesten kulturellen Aneignungen, die berühmt geworden sind. Das ist die eine Sache.


Aber deswegen habe ich das nicht ausgesucht. Die zweite Sache ist die, dass Musik, auch wenn sie ganz groß ist, ihre totale Bedeutung verlieren kann, wenn eine andere künstlerische Produktion sich ihrer annimmt und daraus was macht, was unvergesslich ist. Und das ist in dem Beispiel die Filmmusik. Das ist nicht Filmmusik, das ist mehr als Filmmusik.


Das ist die Musik aus dem 'Grossen Diktator', aus der Szene, wo Charlie Chaplin als jüdischer Barbier einen älteren Mann rasiert. Und das ist die Szene, die wird gezeigt, wie er mit dem Rasiermesser um diesen Mann rumgeht. Und man hat das Gefühl, die Musik ist auf Charlie Chaplin draufgeschrieben worden. Aber das ist natürlich umgekehrt. Charlie Chaplin ist und das empfehle ich jedem mal, in YouTube nachzugucken.


Das ist der Barbier, das ist der ungarische Tanz. Und Charlie Chaplin. Und das ist, also da sieht man, wie eine andere Kunstgattung sozusagen was anderes großartig adaptiert. Und was letztendlich im Gehirn übrig bleibt, ist nachher nur sozusagen der Tanz von Charlie Chaplin.«


Und? Wollen Sie's sehen (und hören)? Aber gerne doch:


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Der Zeichner hat dem Publikum einen wunderbaren und überraschenden cocktail of music zusammengemixt, der nicht nur ihm, ganz offensichtlich auch Brüggemann, dem Publikum, aber eben auch ganz besonders den Musikern viel Vergnügen bereitete.


Hommage an den Kollegen


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Wohl sehr bewusst hatte Mette sich ganz ans Ende seinen Wunsch nach dem Song »I'll see you in my dreams« gewünscht, denn da spielt »ein sehr, sehr kontroverser amerikanischer Zeichner, der auch wirklich, wirklich nicht politisch korekt ist. Richtig nicht politisch korrekt! Aber so richtig! und der ist auch gleichzeitig auch Musiker, der spielt Mandoline, hat ein Orchester ... und ist der Oldtime-music, also der der Musik der 20er Jahre verpflichtet ... Und da gibt es eben dieses eine Lied, wo ich wirklich, also da werde ich tatsächlich sentimental und ich habe mich irre gefreut, dass ihr das jetzt spielt.« Ohne es ausdrücklich zu betonen, war das ganz

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sicher Tils Verbeugung vor seinem großartigen Kollegen, der niemand anderer ist als der legendäre Cartoonist ROBERT CRUMB!


Und damit noch einmal Tils unverhohlenes Credo an die Music of the 1920s & 1930s in den USA.



Das musste am Ende auch noch sein!


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Mettes Fans wissen es natürlich, aber Brüggemann verwies ausdrücklich auf die letzte und noch ganz frische Buchausgabe mit Mettes Karikaturen hin. Sie erschien im Juli im Lappan Verlag (Carlsen), die man sich nicht entgehen lassen sollte. Der Titel: »Cartoons für Menschen mit gehobenen humoristischen Ansprüchen«. Schade, dass an dem Abend kein Büchertisch im Tabakquartier zu finden war. Til und Brüggemann hätten sicher das eine oder andere Exemplar signiert. Vielleicht eine gute Idee für die folgenden Editionen von »My Playlist«!? Die drei, die in der laufenden Spielzeit noch kommen, haben auch Bücher veröffentlicht, oder es wurden über sie welche verfasst...


Eine perfekte Wahl


Man muss den Programmgestaltern der Bremer Philharmoniker zu der glücklichen Hand gratulieren, die sie bei der Auswahl des Moderators nach Axel Brüggemann greifen ließ. Nicht nur, dass dieser in Bremen geboren wurde, hier in Kattenturm aufwuchs und am Gymnasium Huckelriede sein Abitur machte, so gilt er mittlerweile und längst als ein international hoch erkannter Musikjournalist in vielen Zeitungen und Magazinen, als erfolgreicher Filmproduzent, ist ein sehr reger Podcaster, aber eben auch ein viel beschäftigter und –gefragter Moderator bei diversen Anlässen, seit einigen Jahren ganz besonders auch bei den Bayreuther Festspielen, ohne sich da jemals als Hofberichterstatter in einen schrägen Vordergrund gespielt zu haben.


Besten Beweis dazu liefert sein 102-Minuten-Kinofilm Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt (>>>Link), der 2021 in die deutschen Kinos kam. »Wohldosierte Respektlosigkeit« bescheinigte seinerzeit der Deutschlandfunk Kultur dem Dokumentarfilm. Nicht unerwähnt sollte man lassen, dass dieser Film, aus fünf Episoden bestehend, die an fünf verschiedenen Plätzen der Welt und mit diversen Filmteams gedreht wurden, und das mitten in der 'Hoch-Zeit' der Corona-Epidemie


Brüggemann war es im Übrigen auch, der im Mai 2016 die Talk-Reihe »Weser-Strand« des Bremer Weser-Kurier startete, die seiner Idee entsprungen und von ihm konzipiert gewesen war. Sie wurde erst aus dem »Café Sand« am Neustädter Weserufer, später von der »MS Oceana« am Martini-Anleger ausgestrahlt. Warum die Reihe, die hohe Einschaltquoten über YouTube verzeichnen konnte, nach zwei Jahren nicht mehr mit ihm als Host weiterlief, dazu hat sich der Weser-Kurier leider nie öffentlich geäußert. Auch seine viel beachtete im Buchverlag der FAZ erschiene Publikation »Die Zwei-Klassen-Gesellschaft · Wie wir unsere Musikkultur retten« fand keine Gnade einer Rezension im redaktionellen Kulturteil des Weser-Kurier, der schon seit längerem von vielen Bremer Kulturschaffenden und -Interessenten kritisch gesehen wird.


Auch ein Til Mette verändert sich


Ich darf hier gestehen, dass ich Til schon sehr lange kenne, er kam regelmässig zu uns in den Buchladen im Ostertor, den ich damals zusammen mit sechs weiteren Kollektivisten betrieb. Ich rede von den Jahren um die Wende von den 70er zu den 80er Jahren. Til kam oft vorbei, immer ein wenig frech und keck und nie zu überhören. Aber immer sympathisch. Ich verliess 1985 dann auch Bremen und zog nach Barcelona, wo ich 30 Jahre lebte und irgendwann ging Til auch weg aus Bremen, nach Hamburg, als er dort längst wöchentlich fuer den »stern« zeichnete, was er bis heute und hoffentlich noch sehr lange macht.


15 Jahre lang lebte er dann mit seiner Frau und den dazugekommenenen Kindern in den USA. Erzählungen und Geschichten über diese prägende Zeit nahmen auch viel Raum an dem Abend im Tabakquartier ein. Dann ging die Familie wieder zurück nach Hamburg. Nein, das nimmt ihm keiner in Bremen übel, zumal wir hier via den immer samstags im Weser-Kurier erscheinenden vierfarbigen Karikaturen auf Seite 2 von ihm beschenkt werden, die sich (meist) über die politischen Ereignisse unserer Hansestadt amüsieren.


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Das erste Mal, dass ich Til dann in persona wiedertraf, war in der Burg Hagen im Herbst 2023, wo er auf nicht nur kollegiale, sondern auch sehr herzliche, liebevolle, launige Weise die Ausstellung seines Zeichnerkollegen Tetsche beim »stern« eröffnete. 


Ich meine, damals am Ende von Tils Rede Tränen in Tetsches Augen gesehen zu haben. Und Til erschien wie ein weiser Alter, so wie auch am Abend im Tabakquartier.

Zum Ende ein, zwei, drei vorlaute Nachbemerkungen:


  • Einen kleinen Vorschlag hätte ich zur Ausleuchtung und zur Ausstattung des Podiums: Es wäre schön, wenn die allererste Reihe der Musiker des Orchesters, des Dirigenten und für die zwei Diskutanden, gerade in den Momenten, wenn sie sich vor das Orchester stellen, zum Beispiel beim Applaus, besser ausgeleuchtet wären. Bei dem Abend mit Til Mette verschwanden sie dann immer total in der Dunkelheit, wenn sie dichter an das Publikum rückten.


  • Auch könnte dem Tableau, auf dem der Gast und Axel Brüggemann sitzen, mehr Licht guttun, gerade wenn man wie ich an dem Abend weit hinten und oben auf der Tribüne sitzt. Und: gibt es nicht bessere Sessel, etwas gediegenere, vielleicht klassisch doch aus Leder? Die jetzigen Möbel erkennt jede/r, der/die einmal einen IKEA-Markt besucht hat, als das Modell Strandmon in der grauen Variante mit seinem diskreten VK-Preis von € 179,-...


  • Ach, und wie schön wäre es, das Gespräch und die Musik noch einmal nachhören oder gar sehen zu können! Warum die Reihe nicht als Podcast oder auf YouTube verbreiten, wäre doch auch eine sinnvolle Propaganda für die Philharmoniker.

Weblinks:

  • Tabakquartier Bremen: Link

  • Bremer Philharmoniker: Link

  • Konzertreihe »My Playlist«: Link

  • Homepage | Til Mette: Link

  • Homepage | Axel Brüggemann: Link

  • Download Til Mettes Playlist: Link

Reaktionen:

  • »Herzlichen Dank für Ihren wunderbaren Beitrag – und auch für die Anregungen, die ich direkt an unseren technischen Leiter und unser Produktionsteam weitegeben werde, die sich tatsächlich auch schon dazu Gedanken gemacht haben und nun an einer Umsetzung feilen.« - Bremer Philharmoniker

  • »WOW... danke für den tollen Rückblick auf einen für mich unvergesslichen Abend. Muss jetzt erstmal ne Küchenrolle suchen gehen, so gerührt bin ich.« - Til Mette, Hamburg

  • »Was für ein schöner, schmeichelhafter Text. DANKE!« - Axel Brüggemann, Wien/Bremen

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info

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