top of page

Mordermittlung einmal anders

  • Autorenbild: Guenter G. Rodewald
    Guenter G. Rodewald
  • 22. Sept.
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 24. Sept.

ree

22. September 2025 - Ein Theaterstück war in den 1960er, bis in die 1970er Jahren eines der meist aufgeführten Werke auf deutschen Bühnen, war ebenfalls in vielen anderen Ländern und Sprachen beliebt und populär. Noch heute gilt es in den USA und in Kanada als die meistgespielte Komödie eines deutschsprachigen Autors. Sein Autor ist der 1925, also vor genau 100 Jahren, in Elberfeld geborene Paul Pörtner. Und das Stück heißt »Scherenschnitt oder Der Mörder sind Sie«, das seit dem vergangenen Freitagabend auf dem Spielplan des Bremer Kriminaltheater · b.k.t. steht, das 1908 in Walle erbauten und unter Denkmalschutz stehenden Komplex der Union-Brauerei residiert.


So bekannt und viel gespielt, wie das Stück ist, so wenig weiß man heute noch von seinem Autor, der gleich nach dem Ende des 2. Weltkrieges als 20-jähriger einen wichtigen Kulturverein in seiner Heimatstadt Wuppertal, »Der Turm« gegründet hatte und 1947 an den Städtischen Bühnen der Stadt als Regieassisent landete. Er wurde ein zentraler wichtiger Wiederbeleber, Entdecker und Herausgeber von den durch die Nationalsozialisten verfemten Autoren und Autorinnen und deren Werke, generell der deutschen und internationalen literarischen Avantgarde, speziell auch des modernen europäischen Theaters (Samuel Beckett, Alfred Jarry, Pablo Picasso, Antonin Artaud etc.).


Daneben wurde er selbst durch seine vielen Hörspiele ein bahnbrechender Autor und Regisseur dieses Genres. Ab 1976 war er festangestellter Redakteur in der Hörspiel-Werkstatt des Norddeutschen Rundfunks · NDR. Zu früh verstarb er 1984 mit nur 59 Jahren. »Eine umfassende Darstellung seines interdisziplinären Wirkens fehlt bis heute.« meinen die Verfasser des Paul-Pörtner-Wikipedia-Eintrags, denen man nur rechtgeben kann. (Siehe dazu am Ende dieses Beitrags den Download.) 


Nun aber ab nach Walle


Das b.k.t. hat gut daran getan, sich dieses Mitmach-Theater-Stücks anzunehmen, passt es doch zu einem der bewährten und immer wieder für Überraschungen sorgende Identitätsmerkmale und -Gene dieser seit 2010 unter der Leitung von Perdita Krämer und Ralf Knapp mit Erfolg agierenden Truppe, nämlich dem engen und direkten Kontakt zu ihrem Publikum. Denn »Scherenschnitt« zählt zu den Werken des sogenannten »Mitmachtheaters«, als dessen Miterfinder eben auch Pörtner gehört.


ree

Dieses Einbeziehen der Besucher der Premiere am Freitag klappte von Anfang an bestens an diesem Abend. Denn eine junge Frau, die unschwer als Friseurin zu identifizieren war und die sich nur wenig später als auf der Bühne mitspielende Darstellerin der Elisa Pitig demaskierte (Kira Kayembe), sprach im Saal die eine oder andere Besucherin an, ob sie ihr nicht die Haare richten solle. Eine fand den Mut (oder war es eine Statistin?) und setzte sich auf einen der auf der Spielfläche, die unzweideutig einen Friseursalon darstellte (Bühne: Heiko Windrath), stehenden Barbiersessel und ließ sich auf ihm vor dem imaginären von der Decke hängenden Spiegel frisieren, von dem aber nur der Rahmen in Front des Zuschauerraums vorhanden war, durch den die Schauspieler direkt auf ihr Publikum sahen. Die Ausstattung des Szenariums war ansonsten schlicht, wenn auch praktisch gehalten, mir hätte es aber schon gefallen, wenn die Kulisse schon etwas bunter, vielleicht sogar kitschiger ausgefallen wäre, auch wirklich Türen ihren Reiz gehabt, die man hätte zu- und aufschlagen hören können. Denn rein- und rausgerannt wurde das ganz Stück über, gehörte zur Dramaturgie des Abends.


ree

Dreimal ertönte der handbetriebene Gong


Ganz klassisch wurde dann erst einmal, dann zwei- und dreimal mit einem Gong das Publikum auf seine Plätze gerufen, sowohl an die in den ersten zwei Reihen aufgestellten neun Tische mit jeweils vier Stühlen und auf die knapp 150 Sitze auf der bis hoch an die Decke des Saals ragenden Tribüne. Das Spiel konnte beginnen.


Wir lernten sehr bald außer der bereits erwähnten Elisa Pitig nacheinander Hendrik Wuttig (Christian Anger), Alex Laurin (Justus Ritter), Dagmar Wundhammer (Uta Krause) und den Kunden Wittekind auf (Christian Aumer) kennen. Von letzterem erfuhren wir erst am Ende des Vorspiels, d.h. vor dem zweiten Akt, dass sein Beruf der eines Kriminalkommissars ist. Genau in diese Rolle schlüpft er auch ab diesem Moment.


Denn es galt nun, unter den erwähnten Personen den oder die Mörder/in der über dem Friseursalon lebenden, aber am Ende dieser ersten Szenen mit einer Friseurschere Typ »Tondeo · Made in Solingen« ermordeten Pianistin Isabel Mantorine (im off: Aita Gaudenz) zu ermitteln.


Die Ermittlung


Nun tritt also Wittekind in seiner Rolle als Ermittler an und lässt sich von allen der sich im Salon oder außerhalb dessen sich befindlich gewesenen Personen erklären, wo sie sich jeweils während des Zeitraums aufgehalten oder herumgetrieben haben, in dem sich der Mord ereignet haben muss. Widersprüche in den Aussagen tauchen auf. Klar wird es nicht, wer es am Ende getan haben könnte. Mit allen diesen Aussagen, Unklarheiten, Widersprüchen entlässt Kommissar Wittekind nun ganz direkt das Publikum in die Pause und fordert es auf, sich seinerseits eine Meinung zu bilden und hinterher abzustimmen, wer es sein könnte.


Das Publikum hat ermittelt


Nach der Pause lässt Wittekind tatsächlich das Publikum abstimmen. Es kommt zu einem recht klaren Ergebnis, das ich aber in keinem Fall verraten werde. Denn schon in den zwei kommenden und weiteren Aufführungen könnten die Zuschauer ganz anders urteilen, denn – ganz ehrlich! - ein Motiv könnte jede/r der Verdächtigen haben. Ich hatte durchaus meine Zweifel. Am Ende stimmte ich zwar ebenfalls für die Person, die von der Mehrheit des Publikums für schuldig befunden wurde. Aber was sagt das schon aus? Mal was von Vorverurteilung, Voreingenommenheit gehört?


ree

Große Spiellust


Das ist die Qualität dieses Theaters und ihrer Protagonisten auf der Bühne, sie bewegen, agieren, sprechen alle ohne Ausnamhe mit mächtiger Spielfreude und -Lust. Die Pörtnerschen Dialoge des Stück lassen auch Extempores zu, das schreibt der Autor sogar in seinem Manuskript, er geht noch weiter, wenn er schreibt: »Das Stück spielt am Tag der jeweiligen Aufführung. Die Darsteller haben ihre Kleidung dem jeweiligen Wetter und der ortsüblichen Normalkleidung anzupassen.« Dieser Anweisung sind der Regisseur Christian Kaiser, der bereits vorgestellte Bühnenbildner, die Kostümbildnerin (Bianca Oostendorp) und die nicht mit Namen im Programmzettel erwähnte Dramaturgie mit lebendiger Phantasie gefolgt.


Es fällt schwer, jemanden aus dem Quintett der Darsteller und Darstellerinnen jemanden besonders hervorzuheben, sie spielen alle mit Lust und Hingabe ihre Rollen aus, wenn auch Uta Krause die dankbarste Rolle von allen spielen darf, denn sie erlaubt es zuhauf, Lacher und Szenenapplaus provozierend im besten chargierenden (Kriminal-)Komödienstil auf die Bühne zu bringen.


ree

Das Publikum bedankte sich mit einer mich überraschenden Lust am aktiven, lebendigen Teilnehmen des Theaterabends und am Ende mit einem langen Applaus. Ich wünsche dem Stück hier in Bremen noch viele Variationen.


Das würde auch seinen Autor, Paul Pörtner, sehr erfreuen!

Weblinks:

  • Bremer Kriminaltheater · b.k.t.: Link

  • Regisseur Christian Kaiser im Interview: Link

  • Download | Paul Pörtner: Link

  • ARD Hörspielbank: Link

  • Crime Time · Das Bremer Krimifest: Link

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info

Kommentare


© 2018 - 2023 by Guenter G. Rodewald

bottom of page