top of page
AutorenbildGuenter G. Rodewald

Nebel lichten sich - Die Geschichte um einen Roman

Aktualisiert: 31. Juli 2022


Fast dreißig Jahre habe ich in Barcelona als literarischer Agent gearbeitet, beinahe die gesamte Zeit in der Agentur von Ute Körner (1939-2008), die mich diesen faszinierenden Beruf erlernen liess. Ich wurde bald Mitgesellschafter der Agentur, später ihr Geschäftsführer und entwickelte zusammen mit meiner Meisterin die Agentur zu einem international renommierten und erfolgreichen Betrieb.


Viele Erinnerungen – gute, wie manche, die einen schlucken lassen konnten (oder es heute noch können) – ranken sich um diese bewegten Berufsjahre, über die ich sicher hin und wieder in der Zukunft etwas zum Besten geben werde.


Heute schon mal eine Anekdote, die sich um einen Klassiker der modernen spanischen Literatur dreht, den 1914 erstmals erschienenen spanischen Roman von Miguel de Unamuno (1864–1936) mit dem Titel Niebla (Nebel).


Dieser war Ende der zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auch auf Deutsch erschienen, nämlich 1927 bei dem Münchner Verlag Meyer & Jessen, in der Übersetzung von Otto Buek. 1933 gab es dann eine weitere Ausgabe beim Phaidon–Verlag Leipzig · Wien. Phaidon musste 1938 als jüdischer Verlag nach England emigrieren, als Folge der Annektierung Österreichs durch die deutschen Nationalsozialisten.


Nach dem Zweiten Welkrieg erschienen dann 1965 eine neue gebundene Ausgabe bei Kiepenheuer & Witsch und 1968 eine Taschenbuchausgabe beim Deutschen Taschenbuch Verlag. Beide Ausgaben waren aber recht bald vergriffen.


Der junge, 1988 sehr vielversprechend gestartete Verlag Peter Selinka nahm sich dann auch noch einmal des Klassikers an und veröffentlichte ihn in seinem Jungfernprogramm in einer sehr schönen Ausgabe, wieder in der alten Übersetzung von Otto Buek (der kurioserweise am gleichen Tag wie ich geboren wurde, allerdings lange vor mir, am 19. November 1873 in Sankt Petersburg), die aber von Roberto de Holanda und Stefan Weidle umfangreich und gewinnbringend überarbeitet wurde.


Leider musste der Verlag Peter Selinka, trotz seiner ersten geschmackvollen und innovativen Programme, schon bald seinen Betrieb wieder einstellen und so verschwand auch Nebel ein weiteres Mal in der Versenkung.


Doch im Dezember 1995 erschien in der Wochenzeitung Die Zeit eine hochpreisende, ganzseitige Hommage an Unamunos Roman durch den Kritiker Benjamin Henrichs; der das Werk als eines „der wunderbarsten Bücher, die ihm in seinem Rezensentenleben begegnet sind“ bejubelte.


Henrichs schließt seine Rezension mit:

  • „Doch wer ‚Nebel‘ jetzt sofort lesen will, muss schon in die Antiquariate oder Bibliotheken gehen. Eine deutsche Ausgabe aus den sechziger Jahren ist längst verschwunden… Also, liebe Reclam-Hefte, schöne Insel-Bücher, kluge Bibliothek Suhrkamp und andere: hergehört! Herrn Unamunos Meisterwerk ‚Nebel‘bittet, in Gestalt seines Rezensenten, singend, heulend, jaulend um Einlass in eure heiligen Hallen! Wenn ihr ein Einsehen habt und ‚Nebel‘ wieder erscheint, dann wird diese Kritik noch einmal gedruckt, am selben Ort, Wort für Wort. Nebliges Ehrenwort!“

Diese Lobpreisung zeigte unmittelbare Wirkung: Claudia Wuttke, damals Lektorin im Berliner Ullstein Verlag, las Henrichs‘ Besprechung, schwang sich ans Telefon und erreichte uns in unserer Agentur; wir vertraten die Lizenzrechte der Erben von Miguel de Unamuno.


Ein Lizenzvertrag für eine neue Taschenausgabe war sehr schnell geschlossen und Ullstein wartete nicht sehr lange mit der Neuveröffentlichung von Nebel.


Und tatsächlich hielt Hermann Henrichs sein Wort: im November 1996 druckte Die Zeit seine vor einem knappen Jahr bereits einmal erschienene Rezension ein erneutes Mal im Faksimile ab, aber der Kritiker setzte dem Ganzen noch die Krone auf, indem er eine weitere, natürlich ebenso begeisterte Kritik schrieb.


Lange hielt sich die Ullstein–Ausgabe noch in deren Katalog, ist aber dort leider irgendwann wieder verschwunden.


Aber ich bin sicher, es hat sich noch lange nicht ausgenebelt: Unamunos Nebel wird wieder in deutscher Sprache aufsteigen, da bin ich sicher.


(Anm. Mai 2020: Ja! Aus gut unterrichteten Kreis verlautet es, dass es 2022 wieder eine neue Ausgabe von Niebla/Nebel in deutscher Sprache geben wird!)


Tatsächlich! Der Bonner Weidle Verlag veröffentlicht pünktlich zum Anlass, dass Spanien Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ist, eine Neuausgabe von NIEBLA/NEBEL!


Siehe hier (Klick!):

Eine umfangreiche Dokumentation zu dieser verlegerischen Anekdote und zu Miguel de Unamuno in deutscher Sprache kann man hier herunterladen:

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info - Ich freue mich über jede Reaktion.


179 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page