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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Anfang der 70er? Was war da los?

Aktualisiert: 13. März 2023


In den Folgen der Entlarvung diverser Personen des öffentlichen Lebens als Täter, zumindest eifrigster Mitläufer des NS-Regimes, als Folgen der Revolten an den Unis und manchen Schulen, den Aufbrüchen so vieler und vielgestaltiger emanzipatorischer Bewegungen in der Welt, in Europa, in Deutschland, natürlich auch in Bremen, sexueller Befreiungswellen in vielerlei Richtungen, in all diesen Jahren wuchsen die Notwendigkeiten und Bedürfnisse nach unzensierter und freiheitlicher Information und nach theoretischen Unterbauten. Die öffentliche Presse konnte da nur in sehr kleinen Teilen dienen, gab es doch nicht mehr als den SPIEGEL, in liberaler Richtung DIE ZEIT, vielleicht manchen Journalisten, Schriftsteller oder Künstler, die sich nicht den Mund, die Worte oder Bilder haben verbieten lassen, von einem Heinrich Böll über einen Günter Grass bis hin zu einer Rosa von Praunheim.


Aber so benötigte jede Bewegung, jeder Auf- oder Ausbruch auch seine eigene, unzensierte, demokratische Öffentlichkeit gedruckter, sicht- und hörbarer Art. In den etablierten Verlagen gab es da wenig Mut oder herrschte eine ähnliche Verdunkelungsgefahr wie auf anderen Ebenen der bunderepublikanischen Politik oder ihres gesellschaftlichen Bewusstseins vor. Verlage wie Suhrkamp auf der theoretischen, wie literarischen Ebene mit seiner Regenbogen-Reihe der edition suhrkamp oder wie Rowohlt mit seiner Reihe rororo-aktuell-Kollektion waren da erfreuliche Ausnahmen, deckten aber in keiner Weise das große Bedürfnis nach breiter Öffentlichkeit ab.


Und vergessen wir nicht: das Zeitalter des Social-Media-Spektrums in Gestalt von facebook (2004 gegründet) oder Twitter (2006) war noch gute drei Jahrzehnte entfernt. Man brauchte das GEDRUCKTE Wort, wie schon damals jener aus Eisleben gebürtige Mönch die Künste jenes Druckermeisters aus Mainz. Aus der östlichen deutschen Republik kam nicht allzu viel Klärendes an Theorie dazu, was über die vielen blauen Bände, damals noch aus der Presse des Dietz-Verlages Berlin, hinauswuchs.

So entsprangen in der gesamten westlichen Republik allerorten Zeitungen und Info-Broschüren den movements, erst vieles vervielfältigt mit den Kopierautomaten der Unis oder wissenschaftlichen Institute, sehr bald von Profis auf ihren Heidelberger Offset-Lokomotiven, die keine Lust mehr hatten, Pin-Up-Kalender oder Werbebroschüren des ortsansässigen Drogerie-Supermarktes zu drucken, sondern eben sich auch politisierten und zu guten Preisen, mit durchaus subversiven Qualitäten, meist zu nächtlichen Zeiten, Drucke zu ermöglichen. Viele von den Druckerzeugnissen laienhaft lay-outet, die etwas besseren schon mit Letraset etwas höherwertig zurecht berubbelt, denn ebenso gilt es zu betonen, dass ebenfalls das Zeitalter des anspruchsvolleren Satzbildes mit Hilfe der entsprechenden PC-software noch meilenweit entfernt lag.


Da möchte ich meinem lokalen Bedürfnis freien Lauf lassen und ein Loblied darauf singen, was unsere Bremer radikale Druckerszene in den 70er und 80er Jahren geleistet und sich getraut hat, denn so manches Druckerzeugnis aus jenen Epochen erfüllten strafrechtlich zu verfolgende politische und urheberrechtlich zu beanstandende Tatbestände. Da war einer der ersten Roland Kofski (1956 - 2012), ein Meister seiner Zunft, der aus Wetzlar nach Bremen kam und der sein Wissen an viele Schülerinnen und Schüler weitergab, aber der für alle so unsagbar unerklärlich und plötzlich meinte, uns verlassen zu müssen. Ein anderer der so jung verstorbene Rainer Machura (1956 - 1984) und auch der 1972 in Huchting aus seinem Amt gejagte Pastor Wolfgang Schiesches (1931 - 2010), der ein besessener Drucker wurde und manch andere mehr.


Sie waren alle mindestens so wichtig wie die vielen Verlage entscheidend wurden, die im ganzen Land aus dem Boden schossen, um verschütteten, sich neu entwickelnden Informationen und politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Strategien und Strukturen Boden zu verschaffen, sich mit dem gedrucktem Wort Platz verschaffen konnten. Verlage, die gleichzeitig versuchten, so wie es an den verschiedensten Stellen des Landes versucht wurde, oft auch gelang, in neuen, kollektiv strukturierten und gleichberechtigten Systemen zu leben und zu arbeiten. Es waren kleine und kleinste Unternehmen, von der Ein-Personen-Schmiede bis zu durchstrukturierten alternativen Unternehmen, die ihr Glück versuchten. Manche wurden grösser, manche schafften es nicht allzu lange, mit ökonomischen Zwängen hatten alle zu kämpfen und Zwischenmenschliches ließen auch manches Projekt scheitern.


Eine dieser Neugründungen entstand 1973, seit also nunmehr 50 Jahren und ist weiterhin am Leben, die Edition Nautilus. Gegründet wurde sie von Hanna Mittelstädt (*1951), Lutz Schulenburg (1953 – 2013), beide damals blutjung und dem Franzosen, dieser schon etwas älter, Pierre Gallisaires (1932 - 2020) Lyriker und Literaturübersetzer. Und nun hat Hanna Mittelstädt ihre Erinnerungen an diese wilde, hemmungslose, für jene Epoche aber so typische anarchistische Gründerzeit aufgeschrieben.

In Form einer textlichen Collage, mit Briefen, persönlichen Erinnerungen an die frühe Zeit bis hin in die heutige und all die Jahre dazwischen, gespickt mit haarsträubenden, kuriosen bis einfach süßen Episoden. Und dem zentralen ökonomischen Erfolg, den sie mit dem Kurzkrimi Tannöd von Andrea Maria Schenkel landen konnten und von dem sie Millionen von Exemplaren und viele Lizenzen in viele Sprachen verkaufen konnten und der am Ende mit einer großen Enttäuschung einherging, als die Autorin fremdgehen wollte, ihr dazu jedes Mittel Recht war, damit auch Erfolg hatte, aber bis heute nie da anknüpfen konnte, was sie bei und mit der Edition Nautilus erleben durfte.

In genau diesem Moment, in dem ich das hier schreibe, startet auf einem meiner mich gerne begleitenden Radiosender, dem Deutschlandfunk, die nachmittägliche Sendung „Büchermarkt“, na und wen höre ich da mit ihrer nach wie vor jugendlichen Stimme und ebensolcher Lust zu erzählen?

Hanna Mittelstädt herself!

Ich stoppte sofort meinen Artikel, hörte ihr zu, freute mich, ihre Stimme zu hören, musste vielfach schmunzeln, wurde an Vieles erinnert (siehe oben) und entschied dann hinterher: was soll ich weiter über das Buch erzählen, lass' das doch Hanna selbst machen. Gerne lasse ich Dich in den gleichen Genuss kommen, du musst nur einfach auf dieses Bild klicken



und Du wirst Hanna Mittelstädt in persona hören können.


Na, hat’s gefallen? Ich belasse es mit ganzem Herzen dabei und empfehle dieses Buch, das aus verrückten Zeiten erzählt und von dem wunderschönen Handwerk, Bücher zu machen. Es macht einfach Spaß, sich zusammen mit Hanna zu erinnern oder etwas aus dieser für manche heute uralten Zeiten etwas zu hören. Und wer ihn kannte, kann sich dabei auch an den einzigartigen Lutz erinnern oder ihn kennenlernen, den größten Verleger jeder Buchmesse, denn er überragte alle mit seinen – ich schätze – zwei Metern Länge. Das hier war er, ein guter Typ!

Was Hanna auch erzählt ist, wie, warum und wozu sie den Entschluss fasste, aus dem Kollettiv der Edition Nautilus auszuscheiden. Der auslösende Anlass war der plötzliche Tod von Lutz Schulenburg 2013. Sie übergab den Mitarbeiterinnen den Verlag, die als Verlagsgnachfolgerinnen eine GmbH gegründete, an der Hanna schon nicht mehr beteiligt war. Inzwischen hat sie sich aus dem aktiven Verlagstrubel zurückgezogen, wenn sie auch nach wie vor Aufgaben wahrnimmt.


Ja, und Zeit zu schreiben hat sie jetzt, dieses Buch und vor zwei Jahren schon ihren ersten Roman "Blu" (listen the Interview mit Joachim Scholl auf Deutschlandfunk : http://bit.ly/3JwcGeZ) der nicht bei Nautilus erschien, sondern im Konkursbuch Verlag.


Aber diesen Schritt zu vollziehen, den Verlag vorbehaltlos in die Hände anderer zu geben, ist ein Schritt, zu dem viele Verlegerkolleginnen und Kollegen nicht so einfach bereit wären. Aber mich überrascht das nicht. Hanna hat schon immer gewusst, was sie wollte und was nicht, damals 1974, 2018, heute und sicher weiterhin!


Dir, Hanna, und Deinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern im Verlag alles Gute und gutes Gelingen!


Hier der Kontakt zu ihnen:


Und hier noch der Link zu "Blu" beim Konkursbuch Verlag: Link

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.


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