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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Abtauchen in meine Vergangenheit

Gestern Mittag kurz nach 14 Uhr blieb ich an meinem Tivoli-Radio hängen, als aus ihm in meiner Küche auf dem Sender Bremen Zwei ein Beitrag über die Bremerhavener Schauspielerin und Sängerin Lale Andersen (1905 – 1972) angekündigt wurde. Nach wie vor bin ich diesem Sender immer noch lokalverbunden, allerdings werde ich damit unvermeidlich immer an bessere Zeiten dieser Rundfunkstation erinnert, als diese noch Nordwestradio hieß und noch nicht so viele Sendeminuten bis – Stunden mit mainstream-orientierter Musikauswahl bestückte. Sie wird – so die letzten Beschlüsse der Intendanten und Intendantinnen der ARD in deren Sitzung am 18. und 19. Juni in Saarbrücken 2025 - noch weiter »rationalisiert« werden soll.


Die schleichende Veränderung des Nordwestradios nahm ihren unaufhaltsamen Anfang im August 2017 als diese Welle in Bremen Zwei umgetauft wurde. Damals las sich die Begründung dieser Konvertierung in den Worten des damaligen wie heutigen Programmleiters Karsten Binder so: »Das Nordwestradio wurde in der Öffentlichkeit häufig nicht als Programm von Radio Bremen wahrgenommen und erreichte nicht die Bekanntheit wie erhofft. Nach der Umbenennung in Bremen Zwei wird es sich in die Programmflotte mit Bremen Eins, Bremen Vier und Bremen Next eingliedern. Es ist dann wieder klar und fraglos erkennbar ein Produkt von Radio Bremen. Der Namenswechsel wurde dadurch möglich, dass das Nordwestradio nun schon seit einiger Zeit nicht mehr eine kooperierte Welle von NDR und Radio Bremen ist.«


Aber nach der puren Namensänderung erfolgten immer weitere inhaltliche und programmatische Eingriffe, die Liste der Klagen früherer wie heutiger redaktioneller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist lang und auch jedem und jeder, der sich auch nur ein wenig in der kulturellen Medienwelt bewegt nicht wirklich geheim.


Erholung im Sendeplan


Wie einen erholsamen Luftzug nimmt man wahr, wenn dann wie gestern ein gelungener Beitrag in der Reihe »Frauengeschichte(n) aus unserer Region« aus meinem »Tivoli« ertönt, dieses Mal war es ein Porträt und die Geschichte einer nicht nur in Deutschland, wenn auch vor allem wohl mehr noch in der Vergangenheit, sehr populären Sängerin: Lale Andersen. Geboren wurde sie 1905 in Lehe, Stadt, die damals noch nicht zu Bremerhaven gehörte. Gestorben ist sie 1972 in Wien. Ihr Grab liegt auf dem von Dünenfriedhof Langeoog, auf der Insel lebte sie seit 1945 bis zu ihrem Lebensende im Sommer.


Verfasst hat die Sendung die Bremen-Zwei-Volontärin Mirjam Benecke. Hier kann man ihn nachlesen: Link. Als Audio-Download findet man ihn leider auf der Homepage von Bremen 2 nicht. Das passiert leider häufiger in dem Hause an der Diepenau, aber vielleicht wird der Stream ja doch noch nachgereicht.


Und natürlich - das gehört zwingend zur Vita der Sängerin - erzählt der Beitrag von Andersens Chanson »Lili Marlen» und dessen Rolle in der Zeit des 2. Weltkriegs und seinem Verbot durch die Nazis. Es hatte schon eine lange Geschichte hinter sich, bis in die Zeit des ersten Weltkrieges, als es im August 1939 in den Studios der Electrola aufgenommen wurde, also nur ein paar Tage vor dem Einmarsch von Hitlers Truppen in Polen am 1. September. Mit dem Text von Hans Leip (1893 - 1983) und der Musik von Norbert Schultze (1911- 2002). Mit der angenommenen ersten Ausstrahlung 1941 durch den Soldatensender Belgrad der Wehrmacht verbreitete sich das Chanson bald in aller Welt, auf beiden Fronten des Krieges. So entwickelte es sich neben »Sag' mir, wo die Blumen sind" von Marlene Dietrich wohl zu einem der emblematischsten Liedern gegen den Krieg und zu einem ähnlichen Mythos. Bis hin in die 80er Jahre mit dem Film »Lili Marleen« von Rainer Werner Fassbinder und mit Hanna Schygulla in der Titelrolle.

Lale Andersen and me


Aufgemerkt habe ich bei der Ankündigung des Beitrags deswegen besonders und habe ihm gerne gelauscht, weil die Stimme von „Lale“ in der Zeit, zu der ich aufwuchs, immer in unserer Wohnung präsent war. Denn immer liefen bei uns ihre diversen 33 U/Min-Langspielplatten auf dem Familien-Kofferplattenspieler AG2004D PW-01 der Marke Philips, dessen Tonsignale via dem SABA-Lindau-Röhrenradio verstärkt wurden.


Pausenlos konnte unter anderen jene Platte mit den plattdeutschen Liedern laufen (Electrola, 1961), die sie so authentisch und hingebungsvoll – ganz ohne kitschigem Beiwerk – singen konnte. Ich liebte sie geradezu! Und meine Mutter, die eine wunderbare Singstimme hatte, begleitete sie sehr gerne. Und gerne in unserer Küche, diese war mit einem Zusatzlautsprecher per einem quer durch die ganze Wohnung verlegten Kabel mit dem Radio im Wohnzimmer vernetzt.

1958 hatte Lale sogar einen LP mit Songs aus der Dreigroschenoper von Brecht/Weill aufgenommen (baccarola, ein Label der Ariola). Ich bin mir nicht sicher, ob die auch zu unserem häuslichen Fundus gehörte oder wo ich die zum ersten Mal hörte. Jedenfalls war es die erste Aufnahme überhaupt, über die ich die Lieder aus der Dreigroschenoper vernahm. Würde sie gerne heute noch mal anhören, wie sie wohl in meinen jetzigen Ohren klingen mögen…


„Lale“, so wurde sie eigentlich zu ihren Zeiten immer nur genannt, auf den Nachnamen konnte verzichtet werden, jeder und jede wusste, von wem die Rede war. Der Grund der permanenten Lale-Präsenz in unserer Familie war mein Vater, der vernarrt war in ihre Stimme und sicher auch in ihre Person. Der legte nahezu ein Fan-Verhalten an den Tag, das eigentlich auf den ersten Blick so gar nicht zu meinem Vater zu passen schien. Diese Liebe zu „seinem“ Star ging so weit, dass er der Andersen – versehen mit seiner Visitenkarte – ein großes Blumenbouquet in die „Glocke“ schicken ließ, als sie dort im April 1967 bei ihrer Abschiedstournee auftrat (siehe WK vom 8./9.  April 1967). Ob er auch das Konzert selbst besucht hatte, daran kann ich mich nicht erinnern, aber ich vermute schon.

 

Was ich dann aber schon noch erinnere, ist, dass Lale am Morgen nach dem Konzert in die Buchhandlung meines Vaters kam, um sich für den Strauß zu bedanken und ihn ihm zurückschenkte, weil sie ihn ja nicht weiter mit auf ihre Tournee mitnehmen könne. Mein Vater war damals glücklich, wie denn nicht? Er brachte den Strauß voller Stolz mittags mit nach Hause. Ob das auch wiederum meiner Mutter gefallen hat, das weiß ich nicht. Irgendwie - und sei es heimlich geschehen - wahrscheinlich schon, denn sie mochte solches ein wenig „Aus-der-Rolle-fahren“ an ihrem Mann, unserem Vater.


Lale in Barcelona


Viele Jahre später begegnete mir Lale Andersen erneut: 1985 zogen mein Mann und ich nach Barcelona, um dort unser Glück zu suchen, getreu und freimütig nach dem Grimmschen Motto, dass man etwas Besseres als den Tod überall fände. Recht bald nach Ankunft fand ich eine Arbeit, in einer Literaturagentur, deren Gründerin Ute Körner (1939 - 2008), deren Partner ich später in der gemeinsamen Firma wurde, gerne das Lied der „Lili Marlen“ an Buchmesseabenden sang. Etwa während der immer um Osterfeiertage herum stattfindende Kinderbuchmesse in Bologna oder wohl auch mal während der Frankfurter Buchmesse. Ich selbst habe sie das Lied nie singen gehört.

 

Dennoch schien es mir geradezu eine Pflicht, Ute zu Ehren, in Erinnerung an sie, diesen Song auf der Feier des 25-jährigen Bestehens unserer Agentur im Jahre 2009 vorzutragen. Sie konnte daran selbst nicht mehr teilnehmen. Sie war ein Jahr zuvor, nur einen Tag nach ihrer Rückkehr von der vorjährigen Frankfurter Buchmesse in Barcelona an einem Herzschlag gestorben.

 

Ich werde den Deubel tun zu verhehlen, dass ich mich freue, dass es von diesem Abend und meinem nahezu hemmungslosen Auftritt mit der ‚Lili Marlen‘ ein Video gibt und dass ich mich ebenso wenig scheue, es hier noch einmal zu zeigen: Video  

 

Um mehr über Lale Andersen zu erfahren, empfehle ich gerne die Biografie der spanischen Germanistin und Journalistin Rosa Sala Rose mit dem Titel Lili Marleen. Die Geschichte eines Liedes von Liebe und vom Tod, 2010 bei dtv in München erschienen, heute leider vergriffen. Zwei Jahre vorher war es bei dem Barcelonenser Verlag Global Rhytm Press herausgekommen. Titel dort: Lili Marleen · Canción de amor y de guerra.



Begleitmusik


In meinem persönlichen Fundus befindet sich heute keine einzige Tonkonserve mehr, auf der ich Lales Stimme hören könnte. Aber mein Spotify-Konto erlaubt es mir, einige der erinnerungsreichen Lieder nach langer Zeit wieder zu hören. Durchaus eine manch angenehme  Erinnerung provozierende Hörfreude. Und unten in den Weblinks geht's direkt zum Klassiker.

 

Weblinks:

  • Beitrag Mirjam Beneke | Bremen Zwei: Link

  • Lale Andersen singt `Lili Marlen`: Link

  • Interview mit R.W. Fassbinder: Link

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info

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