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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

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Aktualisiert: 17. Nov. 2020

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... des Bremer Philosophen, Schriftstellers und Journalisten Friedrich Wagenfeld (1810-1846). Das behauptet jedenfalls der umtriebige Bremer Autor Michael Augustin, der gerade in der Edition Temmen unter dem Titel »Hiesige Vorfälle · Kuriositäten aus dem Bremer Biedermeier« ein schmuckes, wohlfeiles Bändchen herausgegeben hat, in dem er Artikel von Wagenfeld zusammengestellt hat, die dieser in den Jahren 1844 bis 1846 als Redakteur des »Bremischen Unterhaltungsblattes« verfasst hat. Bevor ich etwas mehr zu dem im Oktavformat gedruckten Buch schreibe, kann ich jedoch erst einmal mit einer nahezu sensationellen Nachricht aufwarten:

Viele kennen sicherlich die Lithografie des schwedischen Graveurs, Lithograveurs und Zeichners Carl Johann Billmark (1804-1870), die das Bremer Rathaus und den Bremer Marktplatz um 1850 zeigt (links im Bild). Billmarks Legat ist in Stockholm in der Kungliga Biblioteket, der Schwedischen Nationalbibliothek, deponiert. Dort hat man jetzt tatsächlich eine weitere Lithografie des Künstlers gefunden, vom Künstler sogar eigenhändig koloriert (!), die in etwa das gleiche Motiv des Rathauses zeigt, aber in der Legende ist notiert: »HÔTEL DE VILLE DE BRÊME. Au premier plan Friedrich Wagenfeld«. Tatsächlich sehen wir dort auf einem Stuhl sitzend einen Herrn, bei dem es sich laut Billmark um Wagenfeld handeln soll. Wagenfeld starb 1846, so kann es durchaus sein, dass die beiden sich dort auf dem Marktplatz getroffen haben könnten. Immerhin gab es auch im 19. Jahrhundert noch recht enge Beziehungen zwischen der Hansestadt und dem skandinavischen Land, immer noch als Folge der "Schwedenzeit" (1652–1712), als Bremen unter der Verwaltung des schwedischen Königs stand.


Es wäre sicher hochinteressant, noch weiter in der Kungliga Biblioteke zu forschen, ob man dort womöglich noch eine weitere Lithografie von Billmark findet, auf der Wagenfeld auch von vorne zu sehen wäre, dann vielleicht mit dem Schütting als Hintergrund.

Nun aber wieder zurück zu Augustins "Hiesigen Vorfällen". Im Vorwort schildert der Herausgeber dieser schillernden Bremer Persönlichkeit, so gar nicht bieder, jedenfalls beschreibt Augustin Friedrich Wagenfeld als stadtbekannten "Hallodri", der ihm keineswegs ein unsympathischer Zeitgenosse gewesen zu sein scheint. Im Gegenteil: er gesteht freimütig, dass er mit ihm "gern einen ausgedehnten Zug durch die Gemeinde gemacht hätte". Wer den Herausgeber kennt, kann sich eine solche Konstellation durchaus gut passend vorstellen, ob dieser allerdings so weit gegangen wäre, nachts zusammen mit Wagenfeld auch den Wallgraben zu durchschwimmen, weil die Stadttore schon geschlossen waren, wollen wir dahingestellt lassen.


Wagenfeld war 1844 von dem Bremer Verleger und Buchhändler Wilhelm Kaiser als Redakteur für sein zweimal wöchentlich erscheinendes »Bremisches Unterhaltungsblatt · Ein Volksblatt« angeheuert worden. Die Zeitung erschien von 1820 und 1857 und erfreute sich großer Beliebtheit in der damals von guten 50.000 Menschen bewohnten Hansestadt, inmitten zahlreicher Konkurrenz; damals beherrschten noch sechs weitere Zeitungen den Bremer Zeitungsmarkt, wie Augustin erläutert.


Es deutet alles darauf hin, dass Wagenfelds Artikel den Nerv der Zeit bestens und äußerst erfolgreich traf. Augustin schreibt: »Kaum einer der Redakteure scheint damals allerdings das Zeug gehabt zu haben, mit dem stilsicheren, begnadet pointiert schreibenden und mit allen Wassern gewaschenen jungen Friedrich Wagenfeld zu konkurrieren, der in der Lage war, auch der drögesten Polizeimeldung eine Saft- und Kraftspritze zu verpassen.«


Es macht viel Spaß, sich durch die vielen Kuriositäten, Kolportagen und Dramolette aus dem gesellschaftlichen Leben Bremens jener Zeit zu lesen. Es sind die kleinen Anekdoten, die sich meist um die eher kleinen Leute drehen, vieles an Orten, die heute noch genauso wie damals vor knappen 200 Jahren existieren. Der etwas schnörkelige Schreibstil dieser Epoche für heutige Leser und Ohren verklärt, dass Wagenfeld ein früher authentischer Klatschreporter gewesen ist, zumal man bei manchen seiner Anekdoten vermuten darf, dass sie lediglich in seiner Phantasie stattgefunden haben. Aber das sollte das Lesevergnügen nicht beeinträchtigen, eher umso größeres Pläsier bereiten. Zeigt es doch auch, dass es Fake-News nicht erst in den Zeiten des sich gerade verabschiedenden 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gab, sondern auch schon im Bremer Biedermeier.

Gespickt ist das Büchlein mit 20 kleinen zeitgenössischen s/w-Abbildungen und einem Stadtplan Bremens aus dem Jahr 1844 im Vor- und Nachsatz, so dass auch das visuelle Bedürfnis gestillt wird.


Man spürt beim Lesen der "Hiesigen Vorfälle" auf jeder Seite das Vergnügen und die Lust, die es Augustin bereitet haben muss, das Buch zu komponieren. Er musste sich sicherlich hin und wieder beherrschen, es nicht mit noch mehr Material anzureichern, denn das wäre vermutlich noch vorhanden gewesen. So ist das Buch eine wunderbare Preziosität geworden, und ich warte gerne auf das Erscheinen von den »Hiesigen Vorfällen Volumen II«!


Bei Ratlosigkeit, was man in Bremen & umzu zu Weihnachten oder an in der Fremde darbende, in der Diaspora lebende Bremer verschenken könnte, hier ist schon mal eine gute Lösung!


P.S. 1: So schmuck und professionell der Verlag die Ausgabe gestaltet hat, vermisst man eine Kurzbiographie des Autors. Die liefere ich hier gerne nach. Kurioserweise sucht man die ebenso vergebens auf der Homepage des Verlages, aber sogar die der anderen Verlagsautoren.


P.S. 2: Eigentlich war für den 25. November 2020 eine Präsentation des Buches in der Buchhandlung Geist vorgesehen, die musste aus den bekannten momentanen Gründen leider abgesagt werden, soll aber zu gegebener Zeit nachgeholt werden.

 
 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.



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