Diese Aufforderung muss in den vergangenen Wochen durch die Räume der Intendanz, Dramaturgie, durchs Künstlerische Betriebsbüro, die Geschäftsführung, durch den Chorsaal, durch sämtliche Werkstätten, die Presseabteilung, einfach durch sämtliche Räume und in den Ohren aller Beteiligten einer großen Opernproduktion geschallt haben, als klar wurde, dass nicht mehr die Pandemie den Spielplan bestimmen würde, sondern endlich wieder die, die dafür zuständig sind an einem Theater wie dem unserer Stadt.
Und so griff man auch gleich in die Vollen und nahm sich zum Start des Musiktheaters der neuen Spielzeit als erste Neuinszenierung dann auch gleich ein Schwergewicht vor die Brust, die hohe bis sehr hohe Ansprüche an die Regie, das Bühnenbild und vor allem an ein breites Ensemble, einen großen Chor und einen vollgefüllten Orchestergraben stellt, dieser so komplett besetzt, dass Amandine Carbuccia mit ihrer Harfe auf der linken Vorbühne Platz nehmen musste. Kein schlechter Platz, denn Verdi hat diesem Instrument in dieser Oper wunderschöne Passagen in die Saiten geschrieben und die so famos zu hören waren.
Es sollte also der Don Carlo von Giuseppe Verdi am vergangenen Sonntag werden, sehr zu meinem Gefallen, denn dieses gewaltige Opernstück zählt zu meinen absoluten Favoriten.
Die Inszenierung übertrug man Frank Hilbrich, der ab dieser Spielzeit zusammen mit Brigitte Heusinger das Musiktheater am THEATERBREMEN verantwortlich leitet. Intime und noch frische Kenntnis der Oper war ihm gewiss, denn er hatte im Winter 2021 das gleiche Werk schon am Erkel-Theater von Budapest, sozusagen der dortigen Volksoper, auf die Bühne gebracht.
Von den dortigen Aufführungsfotos und Videos kann man sehen, dass er ein paar Ideen aus seiner dortigen Inszenierung mit nach Bremen gebracht zu haben schien. So sehe ich dort den gleichen armen Mönch (hier in der Rolle: Stephen Clark, einer der drei stimmgewaltigen Bässe, die die Partitur verlangt und die uns in bester Qualität geliefert wurden), der in Bremen wie ein gerade vom Kreuz abgenommener Christus erschien, denn eine Dornenkrone trug er doch auch, und der immer wieder auf der Bühne auftauchte und fortwährend - einem Sisyphus gleich – eine Riesenkugel, die aus Büchern gebildet war und mit einem dicken Seil kreuzweise umtäut war – die Stufen der steilen fast bis in den Bühnenturm ragenden Kulissenkonstruktion hinaufrollen musste und die ihm von oben aber immer wieder in die Tiefe stürzte. Das letzte Mal ganz am Schluss des letzten, des 5. Aktes, ja, und war es nun der Geist von Karl V., der sich da noch einmal in das Geschehen einmischte?
Das Bühnenbild (Katrin Connan) erinnerte ein wenig - vor allem im ersten Teil, den ersten drei Akten – an Zeichnungen von M.C. Escher, ein steil ansteigendes Halbrund von unten bis oben mit Büchern vollgestellt, ohne dass diese auf ihren Rücken oder auf den Titelseiten Schriftzüge trugen. Das Halbrund verlor sich ähnlich wie Eschers Konstruktionen in der Höhe des Bühnenturms und verlangten allen Akteuren, Solisten, Choristen und den Komparsen viel Gelenkigkeit ab. Hin und wieder fürchtete man, dass jemand abstürzen könnte…
Das gleiche Rund bildete auch in der zweiten Hälfte, den Akten 4 und 5, das Spielrund. Dann ohne die Bücher, sondern mit Pastellfarben bemalt. Diese Konstruktion erlaubte immer mal wieder überraschende Perspektiven, wenn jemand von dem allerobersten Absatz hinunter zu denen auf dem Bühnenboden sang, der eine oder andere Akteur die Stufen herunterfiel (wohlgemerkt gewollt!). Bisweilen schuf sie aber auch intimere Situationen, dennoch engte das Rund die Handlungsräume hin und wieder, gerade bei den Massenszenen, erheblich ein. Die Bühne des Theaters am Goetheplatz zählt nun schon nicht gerade zu den größten der Republik, und dieses starre Konstrukt machte sie immer mal wieder unverständlicherweise noch kleiner.
Und wo ich schon am Bemängeln bin, das erste Bild der Aufführung, sie spielt des Nachts im Wald von Fontainebleau, enttäuschte, zumindest von unseren Plätzen aus (wir saßen im Parkett in der dritten Reihe, recht weit nach rechts dazu). So erschlossen sich einem die Projektionen, die auf den Gazevorhang, der im Bühnenportal hing, geworfen und die von einem Videoteam (Cantufan Klose und Lio Klose) hinter ihm von den Sängern – Elisabeth, Carlo und Tebaldo – gefilmt wurden, nicht mit wirklichem Sinn. Es machte alles einen zu gewollten Effekt. Da sind die visuellen Mittel und Effekte heute doch schon raffinierter, um mit der Dunkelheit auf der Bühne zu spielen als mit der Wirkung der Mittel, die man in den 60er-Jahren begonnen hatte zu entdecken und gerade auch auf der Bremer Bühne damals anzuwenden.
Klar wurde uns auch nicht so recht die animalische, dazu schlechtsitzende Kostümierung der sechs Schergen des autoritären Regimes von Philipp, die zum Ende des dritten Aktes dann allerdings spektakulär den Aufständischen an der Kante zum Orchestergraben in dichtem Angesicht des Publikums die Gurgel durchschnitten, dass das Blut nur so spritzte, in dem die Ermordeten dann sogar noch liegenblieben, als das Licht im Zuschauerraum schon hochgedreht wurde.
Die stärkste Passage der gesamten Aufführung wurde für mich der vierte Akt, der mit der wunderbaren zehnminütigen Arie des Philipp „Ella giammai m’amò!“ startet, einfach großartig in der Rolle, stimmlich, wie darstellerisch Patrick Zielke. Und im Anschluss daran das einzigartige und glänzend gesungene Duett und professionelle Spiel von Taras Shtonda in der Rolle des Großinquisitors, zusammen mit Philipp, für mich eines von Verdis masterpieces, eines von denen, die einem den Schauer über den Rücken laufen lassen.
Eine ebenfalls über den gesamten Abend garantierte Bestleitung: Michael Partyka als Marquis von Posa. Obwohl Intendant Michael Börgerding zu Beginn des Abends vors Publikum trat, einmal um uns zu begrüßen, aber vor allem auch um Partykas leichte Indisposition zu entschuldigen. Das tat nicht not. Er schien im nahezu vollen Besitz seiner baritonalen Stimme zu sein, dazu von erfreulich lebendiger Spiellust.
Angenehm auch, jemanden wie ihn als jungen Mann, schlank und jugendlich, zu erleben. Die Zeiten ändern sich: ich kenne in dieser Rolle noch den mächtigen Bremer Kammersänger Caspar Bröcheler (1911–1983) mit seiner gewaltigen Stimme eben als Posa oder als Goldschmied in Cadillac oder als Wotan, aber eben auch in seiner ganzen massiven körperlichen Erscheinung.
Mächtig auch die Bremer Eboli Nathalie Mittelbach, darstellerisch, wie gesanglich, vor allem in ihrer zweiten Arie, der „O don fatale“!
Und ein gelungenes Debüt auf der Bremer Bühne und ihres ersten festen Engagements die junge Elisa Birkenheier in der Rolle des Tebaldo, sehr sicher in der Stimme und spielfreudig wie das gesamte Ensemble.
Und mit ihrem die Bühne und den Zuschauerraum bis in die letzte Reihe füllenden und auch in den ganz hohen Lagen firmen Sopran Sarah-Jane Brandon, auch in ihrem Fall eine reine Freude, ihr bei der Darstellung dieses unglücklichen Individuums zuzusehen. Es sind anstrengende Partien, die Verdi hier seinen Protagonisten zumutet, er verlangt ihnen sehr viel ab. Umso besser, wenn man solch professionellen Sängern zuhören darf.
Eben auch im Falle von Luis Olivares Sandoval, mit und von ihm weiß man in Bremen schon lange, was wir an ihm haben. Vielleicht zu Beginn mit noch nicht ganz warmer Stimme, drehte er bald zu seinem schönen tenoralen Timbre und zu mächtiger Kraft auf.
Wunderschön vor allem die zwei Duette der beiden am Ende („E dessa!“ und „Ma lassú ci vedremo…“)!
Die Bremer Philharmoniker unter Generalmusikdirektor Marko Letonja demonstrierten ihre ganze Meisterschaft und ihre Lust an Verdis Partitur.
So belohnte am Ende das Publikum mit standing ovations die Solisten und den Chor und Extrachor, seine Leiterin Alice Meregaglia, ebenso die ins Ensemble perfekt integrierte Gruppe der Statisten, die Regie von Frank Hilbrich, die Bühne von Katrin Connan, die Kostüme von Alexandre Corazzola und das Dirigat von Marko Letonja und damit die Leistung der Philharmoniker.
Und laut hörbar schepperten dann auch noch die von Intendant Börgerdings Herzen fallenden Steine, als er sich bei der anschließenden öffentlichen Premierenfeier bei allen Beteiligten namentlich für ihre Leistungen und ihr Engagement bedankte. Man kann allen wie all den immer noch an den Folgen der Pandemie leidenden Künstlern unserer Stadt, des ganzen Landes, der ganzen Welt wünschen, dass sich die Horizonte in ihrer Gänze aufhellen und sich nicht wieder verdunkeln. Sie, wir alle hätten das verdient!
So am Ende meine eindringliche Empfehlung: gönnen Sie sich diese Aufführung, die Produktion, die Protagonisten, alle Beteiligten, das THEATERBREMEN haben es nicht nur verdient, sondern auch einen massenhaften Besuch nötig. Und jede/r, der/die in den Genuss der wunderbaren Stimmen, der Klängen der Musiker, des vitalen Geschehens auf der Bühne kommen will, sollte sich schnell einen Platz in einer der noch folgenden zehn Aufführungen dieser Spielzeit sichern:
Samstag, 24.09.2022 · 18 Uhr
Freitag, 30.09.2022 · 19 Uhr
Sonntag, 16.10.2022 · 15:30 Uhr
Samstag, 22.10.2022 · 18 Uhr
Montag, 31.10.2022 · 18 Uhr
Sonntag, 13.11.2022 · 15:30 Uhr
Sonntag, 20.11.2022 · 18 Uhr
Samstag, 03.12.2022 · 19 Uhr
Samstag, 10.12.2022 · 18 Uhr
Freitag, 16.12.2022 · 19 Uhr
Und man begeht keinen Fehler, wenn man sich obendrein den
Bremer Theaterfreunden
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