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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Auf’n Riiiensbärch geehn...

Aktualisiert: 23. Apr.


Der Riensberger Friedhof - er gehörte bisweilen zu den Zielen der Radtouren mit meinen Eltern, wenn wir von der Neustadt über die Weser, immer auch gerne mal alle sechs Mann und Frau hoch - wir konnten insgesamt sechs werden, ich die ersten Ausfahrten, an die ich mich erinnere, vorne bei meiner Mutter hinter der Lenkstange im Korb (der damals noch aus echtem Korb war), später auf einem harten metallenen Schalensattel, in dem aus gutem Grund zur Polsterung immer ein Kissen lag, mit ausklappbaren Fußrasten an der Vorderradgabel – also die ganze Familie setzten wir von der Neustadt mit der Sielwall- oder Peterswerderfähre über auf die Altstadtseite. Von da ging es dann gerne weiter in den Bürgerpark, zu dem Dromedar im Tiergehege, bisweilen in der Meierei einkehrend, oft weiter durch den Stadtwald und dann hinten herum, am Rande des Blocklands entlang, natürlich alles viele Jahre, bevor dort die Bremer Uni entstand.


Und auch damals schon gab es dort einen Hintereingang zum Riensberg, so nennt der Bremer den Friedhof nur, ohne dass er eben das Wort Friedhof explizit noch dranhinge, „man geeht auf’n Riiiensbärch“, so schriebe man es bremisch-lautschriftlich.


So fand ich die Spaziergänge oder Besuche mit dem Rad, die man auf dem Areal des Riensbergs „drehen“ konnte, immer sehr beeindruckend, gleich zu welcher Jahreszeit, im Frühling, wenn es dort allerseits sprießt, im Sommer, wenn die riesigen, teilweise exotischen Laubbäume im tiefen norddeutschen Grün standen, im Herbst, wenn alles voller heruntergefallener Blätter lag und manchmal im Winter, wenn die Gräber aus dem Schnee ragten (ja, damals gab es noch Schnee und nicht nur auf dem Riensberg) und der See zu Füßen des mächtigen Krematoriums zugefroren war.


Am meisten faszinierten mich aber immer die Gräber selbst, die mächtigen Mausoleen, die Gruften, jene Familiengräber, an denen steinerne, oft überlebensgroße Skulpturen, immer wieder Engel, standen. Und das Krematorium, über seinem Portal das farbenprächtige Jugendstil-Glasmosaik von Georg Karl Ernst Rohde (1874-1959), auf das mein Vater dann immer sehr stolz zeigte und sagte: „Guck mal, das ist von dem gleichen Künstler, wie der von dem Bild an Omis Fenster, und der heißt fast, allerdings nur zur Hälfte, so wie wir, Rode!“ Dass in seinen Namen eigentlich noch ein „h“ stehen muss, konnte ich nicht hören.


Und dann waren da die Gräber der beiden Familien meines Vaters, der väterlichen, das aber seit vielen Jahren nicht mehr existiert, und der mütterlichen, in dem heute noch die Urnen meiner Mutter und meines Vaters liegen.


Und als lange in Bremen lebender Zeitgenosse verabschiedete man sich von so manchem an diesem Ort. Die mich wohl am tiefsten berührende Trauerfeier war die von unserem Vater im ehemaligen voll besetzten Krematorium mit der Rede von Domprediger Walter Dietsch, wenn auch mit dem skurrilen Abschluss, als der Sarg von der Halle mit dem Fahrstuhl ins Untergeschoss heruntergelassen wurde und dabei lautstarke quietschende Geräusche von sich gab…


Der Riensberg nimmt also in meinem persönlichen Leben einen gewissen Raum ein, ich will auch nicht verhehlen, dass ich auch schon frisch verliebt Arm in Arm umschlungen mit jemandem über ihn gelaufen bin.


Da fällt einem dann schon ein Buch ins Auge und weckt reges Interesse, das sich mit diesem geschichtsträchtigen, vielleicht ruhigsten Park der ganzen Stadt auseinandersetzt wie Der Riensberger Friedhof in Bremen 1811-2021 von Michael Weisser, auf das ich kürzlich in einem Facebook-Post stieß. Allerdings erinnerte ich mich auch wieder, etwas vor kurzem in einem Artikel im Bremer Weser-Kurier gelesen zu haben, mit dem der Autor nach Familien und deren möglicher Verbindung zum Riensberg suchte.


Ich bestellte mir das Buch, das mich nach verschlungenen postalischen Irrwegen am Ende erreichte (hatte es seinen Weg erst über den Hades nehmen müssen?), und war beeindruckt: schon von seinem Gewicht, denn es bringt geschlagene zwei Kilogramm auf die Waage, ein Buch, das man vor sich auf einem Tisch liegend lesen sollte. Der Grund sind die 448 Seiten schweren matten Papiers, auf denen die 600 fast ausschließlich farbigen Fotografien – fast alle vom Autor selbst beigetragen, dazu in hoher fotografischer Qualität – mit großer Sorgfalt gedruckt wurden. Überhaupt gewinnt das Werk durch seine hohe editorische Akkuratesse, begleitet von einem spürbar sorgsamen Lektorat von Jan Janssen Bakker. Nur einen würdigeren Einband hätte man der Ausgabe des Oldenburger Isensee Verlags gewünscht, der hätte den eh schon hohen Preis auch nicht mehr allzu schmerzlich verteuert.


Vom Stapel gelassen wird der Rundgang über den Riensberg mit dem Vorwort des Autors und den Grußworten von gewichtigen Honoratioren des Bremer Kulturlebens: dem Leiter des Bremer Staatsarchivs, Prof. Dr. Konrad Elmshäuser, dem Historiker und Vorstand der Wittheit zu Bremen, Prof. Dr. Hans Kloft, dem Bremer Landeskonservator Prof. Dr. Georg Skalecki, dem Direktor des Gerhard Marcks Haus, Dr. Arie Hartog, und dem Bremer Philosophen Dr. Helmut Hafner.


Plan des Friedhofs 1895

Michael Weisser, geboren 1948 in Deichesende an der Wurster Nordseeküste, ist ein multitalentierter Medienkünstler, Musikproduzent, Autor von Essays, Sachbüchern und SF-Romanen, aber eben auch hochinteressiert an der Geschichte der Stadt Bremen. In eben dieser Funktion hat er sich auf eine monatelange intensive Reise über den am 1. Mai 1875 eröffneten Riensberger Friedhof und auf die Suche nach den historischen Hintergründen der vielen Bremer Familien gemacht, die sich hier mit bisweilen monströsen Grabmälern, Mausoleen oder Gruften verewigt haben. Er hat es aber bei weitem nicht dabei belassen, die Grabstellen abzulichten, sondern liefert in allen Fällen die geschichtlichen Zusammenhänge.


Großen Raum nehmen die redaktionellen Kapitel über das mächtige Mausoleum der Bremer Architektenfamilie Rutenberg ein, wie der gesamten Entwicklungs- und Rezeptionsgeschichte des Friedhofs, die Entstehung des Krematoriums am Ufer des Riensberger Sees, dessen Betrieb im Jahre 1988 eingestellt wurde, das seit 2000 unter Denkmalschutz steht und seit 2002 das Kolumbarium beherbergt.

Der QR.Code zum Buch

Zu manchen Kapiteln schaltet Weisser QR-Codes in die Texte, so dass man – das Handy auf diese gerichtet - mit ihnen vom Buch zu weiteren informativen und/oder illustrativen Ebenen abtauchen kann. Eine reizvolle Idee, das dem Leser so manches Give-away beschert, ohne dass weitere Druck- oder Herstellungskosten für ihn produziert würden.


Es wäre kein Werk, das den Ansprüchen Weissers gerecht würde, wenn an seinem Ende nicht ein ausführliches Verzeichnis der Literatur und der Quellen stünde, ebenso wie ein langes Namensverzeichnis.



Es macht einfach viel Vergnügen, in diesem Buch zu stöbern, man erfährt dabei viele Details über Bremer und die allgemeine Geschichte Ende des 19. und den Beginn des 20. Jahrhunderts, manche Kuriositäten aus dem gesellschaftlichen Leben der Hansestadt, einige davon durchaus schon bekannt, aber gern wieder gehört, viele andere, die Weisser erstmals ans Tageslicht holt.


Weissers Werk geht in die Tiefe der Genesis dieses Parks und der Ruhestätten so vieler Bremen prägenden Persönlichkeiten, Familien und Dynastien, und schildert intensiv seine Reize – auch „Porträts“ der vielen gewaltigen Bäume, die den Park bevölkern, fehlen nicht - und eröffnet so viele unbekannte Perspektiven, angefüllt mit den Fotografien des Autors, die bei weitem das Buch nicht nur rein illustrativ begleiten, sondern die eben auch unter künstlerischen Gesichtspunkten sehenswert sind. So schreit das Projekt geradezu danach und verlangt, dass sich das in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliche, nur durch eine schmale Straße vom Riensberg getrennte FOCKE-MUSEUM des Materials annehmen sollte, um daraus eine attraktive, multimediale Ausstellung in deren Räumen zu organisieren und käme so seinem Auftrag als das Historische Museum der Stadt Bremen nach.


Für ein solches Projekt zusätzliche moralische Hilfe anzufordern sollte nicht nötig sein, denn es besteht zwischen dem heutigen Sitz des Focke-Museum eine gewisse verwandtschaftliche, beinahe verpflichtende Verbindung zu dem Friedhof: das Museum wurde 1944 an seinem alten Standort im Faulenquartier durch eine Bombennacht vollständig zerstört und bekam ab 1953 seinen neuen Sitz auf dem Gut Riensberg, das wiederum von seiner letzten Besitzerin Margarete von Post an die Stadt Bremen vermacht worden war. Und dieselbe Familie von Post hatte 1872 stolze 55 Morgen Land in der Feldmark Schwachhausen zum Bau des neuen Friedhofs Riensberg für die Summe von 55.000 Thalern Gold an den Bremer Staat verkauft. Auch all das erfährt man in Weissers groß angelegten Arbeit.


P.S.: Dankenswerterweise hatte Karina Skwirblies in einem Artikel des Bremer WESER-KURIER im Sommer 2020 den Autor unterstützt, Bremer und Bremerinnen bei der Suche nach Dokumenten rund um sein Projekt des Riensbergs zu helfen (https://bit.ly/36sPxG8). Der Aufruf hatte auch gefruchtet. So fragt man sich aber, warum bislang der gleiche Weser-Kurier das Buch noch nicht rezensiert hat. Ich bin mir sicher, die Redaktion hat vom Verlag längst ein Rezensionsexemplar erhalten, sonst sollten sie es dringend anfordern.

 

>>> Hier ein Interview mit Michael Weisser · Befragt von Guenter G. Rodewald

 

Weblinks:

 

Reaktionen:

  • »Trotz des hohen Preises des Buches hat mich Ihre Rezension motiviert, es sofort bei meinem Buchhändler zu bestellen; ich hoffe, mein Exemplar erreicht mich schneller als Ihres... Denn ich bin sehr gespannt darauf.« - Andreas B., Bremen

  • »Fürwahr ein schönes Buch, schau' 'mal auf Seite 142 oben rechts und dem dazugehörigen Bildtext unten; - ich scheine 'buch'stäblich unsterblich zu werden.« - Jub Mönster, Bremen

  • »Habe eben Deinen Text zum Riensberg gelesen. Ein echter Profi war am Werk. Wirklich super gemacht in jeder Hinsicht. Danke sagt Dir ein Leser und ein Autor. Den Text solltest Du einreichen zum Abdruck.« - Michael Weisser

  • »Überhaupt: in jeder Hinsicht ein gewichtiges Buch über den Riensberger Friedhof.« - Manfred Steglich, Sozialwissenschaftler Uni Bremen

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info - Ich freue mich über jede Reaktion.

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