Immer mal wieder werden Hartmut und ich danach gefragt, wie es uns damals im Jahre 1985 von Bremen ausgerechnet nach Barcelona vertrieben hat. Der Geschichte entbehrt es einerseits nicht an Kuriositäten, zum anderen wäre sie in dieser zweifellos nahezu naiven Konstellation heutzutage wohl nur noch schwer zu wiederholen.
Fangen wir ganz vorne an: wir lernten uns im Sommer zwei Jahre vorher kennen, wo wohl? Natürlich im Buchladen im Ostertor, wo ich damals in meinem geliebten Kollektiv mit Monika, Gitti, Aki, Knud, Holger und Mario zusammenarbeitete.
Ein kleiner Tipp zur Berufswahl nebenbei: abgesehen davon, dass es sich beim Buchhändler um eine sehr reizvolle und anregende Profession handelt – die gemeinhin schlechte Bezahlung mal außer Acht gelassen, bietet sie doch die Möglichkeit, sich vollkommen unverfänglich einem Kunden oder einer Kundin, je nach Orientierung, zu nähern, die Person, die einem gefällt, mit einer ganz risikolosen Ansprache wie beispielsweise „Kann ich Ihnen helfen?“ anzusprechen – und schon ist der erste Kontakt gemacht. Daraus können sich dann, wenn auch die andere Seite Gefallen an einem tieferen Kennenlernen findet, diverse Folgeunterhaltungen oder -Verabredungen entwickeln, je nach Phantasie, Temperament und Einfallsreichtum. Ich spreche da aus Erfahrung.
Nun machen wir vorne weiter: Schon bald verließen wir beide unsere damaligen jeweiligen Wohnverhältnisse - Hartmut seine Wohn-, ich meine Hausgemeinschaft, und zogen zusammen in eine gemeinsame Wohnung. Wenn dieses Wohnmodell auch voll und ganz unseren einträchtigen Wunschvorstellungen entsprach, befiel uns dann doch nicht viel später eine neue Sehnsucht, nämlich Bremen verlassen zu wollen, und wenn schon, denn schon, dann weit weg, ins Ausland. Hartmut hatte einfach Lust, sich anderswo zu erleben, und ich empfand die in vielen Jahren soziale, berufliche und politische Verbundenheit mit dem guten alten Bremer Ostertor- und Steintorkiez immer enger werdend. Dieser definitive Entschluss nach einem radikalen Ortswechsel wurde zugegebenermaßen unter beträchtlichem Alkoholeinfluss im Bremer Ratskeller geschlossen, aber an den wir uns aber beide noch am folgenden Morgen, ganz ohne Kater und mit der gleichen Begeisterung wie in der Nacht zuvor, erinnern konnten. Dieser Abend war sogar der Bremer Tageszeitung WESER-KURIER im September 2002 eine Schlagzeile wert: „Reisepläne im Ratskeller geschmiedet“.
Aber was wir zunächst keineswegs klarsahen: wohin wollten wir eigentlich auswandern? Als von uns gemeinsam gesprochene Sprachen konnten wir nur auf unsere Muttersprache und aufs Englische zurückgreifen, aber weder Österreich, die Schweiz, noch Großbritannien oder Nordamerika reizten uns. Und so kamen wir irgendwie auf Spanien, auf Barcelona, was von uns beiden bislang nur ich kannte, von einer Woche Ferien, die ich dort mal verbracht hatte. Spanisch sprachen wir beide nicht, aber all' das schien uns kein Hindernis. Kann man doch alles schnell lernen, wenn man erst einmal da wäre. Dass das eine übermäßige Fehleinschätzung wurde uns dann sehr schnell klar, als wir dort gelandet waren.
Damit Hartmut die Stadt auch schon mal im Vorfeld kennenlernen konnte, flogen wir im August via Gerona im Charterflug das erste Mal in den Süden. Ich hatte von Bremen aus sogar schon ein Interview in der deutschen Buchhandlung in Barcelona, damals noch unter dem Firmennamen Librería Herder, verabredet. Daraus wurde dann aber nichts. In unserer Unerfahrenheit hatten wir gedacht, in den zwei Wochen unseres Aufenthalts würden wir schon eine Menge Leute kennenlernen, unsere ersten Spanischerkenntnisse erwerben können, eine Ahnung, dass man dort eher Katalanisch sprach, war ebenso unserer Unwissenheit geschuldet. Aber irgendwie gefiel uns beiden das Ambiente, die wunderbare Sonne sowieso, die noch vollkommen vom Tourismus verschont gebliebene Stadt, das (zumindest damals noch) preiswerte Leben dort unten.
So blieb es bei unserer Entscheidung: Barcelona sollte es sein und bleiben. Irgendwann im Frühjahr war diese Entscheidung getroffen worden und nun setzten wir unseren Plan schnell in die Tat um: Hartmut beantragte ein Studienjahr an der Uni in Barcelona mit entsprechendem Auslands-BAföG, ich meldete mich arbeitslos, was damals noch mit wesentlich weniger hohen Hürden möglich war als später und erst recht heutzutage. Zu Bargeld für die Reisekasse kamen wir durch den Verkauf meiner Querflöte und durch einen kleinen Kredit von 1.000,- DM meiner Kollegen aus dem Buchladen. Die Wohnung konnten wir an meine Kollegin Aki und ihren Mann Achim weitergeben, ebenso viel unseres Mobiliars. Alles andere, meine Bücher, unser mobiler Hausrat wurde im Keller des Buchladens eingelagert.
Der Umzugswagen war auch bald gefunden: unser Freund Friedel hatte vor, im Süden Ferien zu machen, und bot uns an, dass er uns in seinem Volvo 240 Kombi mitnehmen könne. Darin konnten wir natürlich unsere beiden Überseekoffer und unser sonstiges großzügiges Gepäck unterbringen, Friedel sein Rennrad. Ich glaube, es entbrannte damals seine Leidenschaft, mit dem Rennrad die Welt zu entdecken, die ihn bis heute begeistert.
Der Abschied: Und dann wollten wir uns doch gerne von unseren vielen Freunden, die wir in Bremen hinter uns lassen würden, angemessen verabschieden. So reservierten wir den Samstag vor unserer großen Fahrt die Räume unseres geliebten Café Grün im Fedelhören und feierten ein rauschendes und uns unvergesslich in der Erinnerung gebliebene Abschiedsfest. Es war die Zeit vor den Smart- und iPhones, und keiner hatte ans Fotografieren gedacht, so gibt es von dem Abend keinerlei Bilddokumente. Schade.
Unsere Einladung zum Fest hatten wir einem Comic mit dem angemessenen Titel „Picasso-Raub in Barcelona“ entnommen (siehe am Ende dieses posts). Die bodega, die man darauf sieht, ist das „Portalón“ und es gibt sie tatsächlich, und wir waren dort manchen Abend versackt, als wir bei unserer Probereise im Sommer vor unserem Umzug Barcelona das erste Mal zusammen kennengelernt hatten. Ebenso danach, als wir schon in Barcelona lebten, denn wir wohnten sieben Jahre lang ein paar Schritte um die Eche davon entfernt. Und es gibt sie immer noch, aber der schmuddelige Charme, der sie damals ausmachte, ist lange verschwunden und längst dem glatten Geschmack des modernen und schnellen Tourismus gewichen.
Das vielleicht wichtigste Abschiedsgeschenk: das hatten uns meine Kollegen aus dem Buchladen gemacht. Wenn wir denn nicht da unten klarkämen, könnten wir jederzeit zurückkommen, mein Arbeitsplatz bei ihnen sei mir sicher. Und da es sich in der Tat alles sehr viel schwieriger darstellte, als wir unten gelandet waren, war diese Rückversicherung die entscheidende Hilfe, wenn wir uns immer mal wieder in der Situation fanden, dass wir fürchteten, wir schaffen das neue Leben in der neuen Umgebung wohl nie. Das war uns aber nach einer unerwartet langen Zeit dann irgendwann doch gelungen. Aber das erzähle ich ein andermal.
Nur ganz kurz zum Ende: sehr schnell fanden wir eine Wohnung, eine, wie wir uns erträumt hatten: mitten im barrio gotico, in unmittelbarer Nähe der Plaça del Pi, mit Balkons auf die Straße. Das war in der Tat ein gelungener Start. Aus unserem Abenteuer wurden dann 31 sehr erlebnisreiche und unvergessliche Jahre, nach denen wir wieder nach Bremen zurückkehrten. Viele Freunde von damals, als wir die Stadt verlassen hatten, trafen wir wieder, andere lebten nicht mehr oder man hatte den Kontakt über die Jahre verloren, Bremen hatte sich mehr verändert, als wir vermutet hatten. Aber auch das norddeutsche Leben macht uns wieder viel Spaß und vieles von den geliebten mediterranen Reizen und Angewohnheiten haben wir mit in unseren großen Möbelwagen packen können.
Hier kann man den ganzen
Dagobert-Comic lesen, indem
man links auf das Titelbild
klickt. Dann öffnet sich
via www.issue.com das Heft
und man kann durch das ganze
Heft blättern (nicht downloaden); auf Seite 28 unten findet sich die Vorlage für unsere Einladung.
Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.
So schreibt mir Knud: "Lieber Günny. Eine wunderbare Erinnerung an deinen und Hartmuts Schritt nach Barcelona zu gehen. Ich erinnere mich noch gut an das schöne Fest im Café Grün. Und wie traurig ich über den Abschied war, aber dennoch froh für euch, weil ihr so ein großes Abenteuer vor euch hattet. Ich habe euch dann ja auch öfter besucht und gesehen wie glücklich ihr dort wart. Es war eine gute Entscheidung damals. Alles Liebe von deinem alten Freund Knud"
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