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AutorenbildGuenter G. Rodewald

B.W. (44), Bremens Grand Dame du Livre


Gestern hätte sie Geburtstag gehabt, Bettina Wassmann, 79 ist sie geworden. 1985 ist ein Porträt über sie in der taz erschienen, geschrieben hatte es Klaus Johannes Thies. Ein Gespräch, das wohl, lediglich um ein paar wenige damals wichtige literarische Eckpunkte versetzt, gestern fast identisch hätte geführt werden können. Heute tauchten statt dessen womöglich Bettinas Ärger und Zorn über die unter dem Deckmantel, Bremen zur Métropole internationale du vélo zu machen, Schaefersche Verklitterung des historischen Wallringes oder ihre Gedanken zur Pfizerschen Übernahme der Welt auf. Aber ansonsten fiele Thies‘ Bild nicht viel anders aus. Denn eines kann über Bettina festgestellt werden: nach wie vor ist so streitlustig, so eisern in ihren Meinungen, so wenig angepasst, wie sie mit 44 Jahren war, als Thies sie porträtierte.


Wie schrieb er damals: „Bettina Wassmann behauptet, sie sei vierundvierzig. Ich weiß nicht, ob sie es vor zehn Jahren auch schon war. Sicher wird sie in zehn Jahren wieder vierundvierzig sein.“


Und heute, nach 36 Jahren auch noch, und wie sie wohl schon war, als ich sie kennenlernte, als kleiner Junge, ich noch keine zehn Jahre alt, als Bettina in meines Vaters Buchhandlung ihre Lehre als Buchhändlerin begann.


Und ebenso in 37 Jahren, also am 19. Dezember 2022, im kommenden Jahr, wenn wir Bettinas Achtzigsten feiern werden!

 

Klaus Johannes Thies:

Wir müssen da sein, wo wir sind


Ein Portrait der Bremer Buchhändlerin Bettina Wassmann / Vom literarischen Schwärmen einer „Bremer Institution“ / Ein Gespräch im Rotkäppchen mit einer Frau, die in der Literatur lebt


Bettina Wassmann behauptet, sie sei vierundvierzig. Ich weiß nicht, ob sie es vor zehn Jahren auch schon war. Sicher wird sie in zehn Jahren wieder vierundvierzig sein.


Die zeitlose Bettina – alles sagen zu ihr „du“ – thront „Am Wall 164“ wie eine italienische Matrone hinter der Kasse. Eine Bremer Institution für jeden, der Bücher liebt. Doch mit Lieben allein ist es nicht getan. Man muß Bettina erleben. Unwirsch, übellaunig, je nach Wetterlage und wie lang die Nacht vorher war. An anderen Tagen ist der Fernet Branca oder Espresso sofort da, kaum, daß man „Tag“ gesagt hat.

Unvorstellbar, daß sie je etwas anderes getan hätte, als von Schriftstellern und gut gemachten Büchern zu schwärmen. Dabei hat sie wie wir alle klein angefangen, bei Andreas Wolff, in der Wolffschen Buchhandlung in Berlin war sie Angestellte von 1963 bis 1969. Mit sechsundzwanzig hat sie sich selbstständig gemacht. Eine Frau, wie Bettina, muss unbedingt selbst schalten, und anders als in Hosen habe ich sie nie gesehen.


Bei Buchhändlern habe ich immer den Verdacht, sie würden noch lieber schreiben, als immer nur Bücher hergeben. Bettina sagt klipp und klar: „Nein! Ich spreche, statt daß ich schreibe. Mir fehlt die gegen das Sprechen gerichtete Disziplin beim Schreiben“.

50 Jahre BW · Mit Alfred Sohn-Rethel

Aber sie macht Bücher. Seit 1983 hat sie gemeinsam mit Brinkmann und Bose einen Messestand. Ihr erster Titel: Eine Festschrift für Alfred Sohn-Rethel. Alle 2000 verkauft. Im selben Jahr trennt sie sich vom Unibuchladen. Das Ende des Nachholbedarfs an Sozialisationsforschungstexten zwingt sie dazu. Ich habe nicht den Eindruck, daß sie diesen Schritt bereut. Im Gegenteil. Sie scheint in ihrem kleinen Lädchen zu wohnen.


Für den Herbst hat sie drei Neuerscheinungen vorbereitet. Einzige Werbung: Ein Lesezeichen. „Meine Bücher werden nicht verramscht“, sagt sie, „das musst du unbedingt aufschreiben, eher verschenke ich sie“.


Ihre Schwerpunkte? „Philosophie, dann habe ich Kunst, gute Bücher im weitesten Sine, und nach wie vor einen klaren Überblick auf den unüberschaubaren Buchmarkt“. „Die Italiener haben Literatur“, beginnt sie wieder zu schwärmen, als hätte sie Schokolade im Mund, „die erstechen die Frauen, wenn sie falsche Spaghetti kochen“. ‚Die Verbesserung durch Südeuropa‘ sei genau der richtige Untertitel für die diesjährige Buchmesse.


Ansonsten macht sie sich Gedanken, wie sie jetzt, in den Ferien, überleben kann. Die Frage sei: „Wie treffen wir in einer so kompletten Geldgesellschaft mit dem Buch, das meine Existenz darstellt, die Verkabelung“ – und fällt sich selbst ins Wort: „Ich bin wahnsinniger Tennis- und Fußballfan“ fährt sie fort, als hätte sie sich selbst eine Vorlage gegeben. In der Literatur müsse die spielerische Variante mehr zum Zuge kommen wie im Sport: „Das Leben weniger schwer machen!“ predigt sie und verzieht das Gesicht.


Die deutsche Literatur sei zu albern oder zu weinerlich. „Liest du?“ frage ich, „kommst du überhaupt dazu?“ „Ich nehme mehrere Bücher mit, wenn ich nicht gerade Tennis sehe. Zur Zeit Rudolf Borchardt, Altionische Dichtung, diktiert sie mir ins Heft, „um mich aus dieser Zeit abzulenken“. Bettina und Hexameter, wie das wohl zusammengeht, überlege ich. „Djuna Barnes‘ New York könnte man noch erwähnen“, ruft sie. „Deren Sätze schlagen sich wie Macheten den Weg frei. Oder Baudrillards Amerika. Das ist mein Buchtip des Jahres!“


Lasse ich Bettina auch nur einen Moment mit ihren Sätzen alleine, läuft sie ins nächste Buch hinein. „Für mich müsste Siebeck den Nobelpreis kriegen“, erklärt sie, ohne daß ich sie danach frage. Siebeck, das ist der Mann mit den wöchentlichen Feinschmeckerkolumnen für DIE ZEIT. Mit dem Essen hat sie’s. Die „kleine Schule des Essens und Trinkens“ von Detlev Claussen findet sich nicht umsonst in ihrem Programm. „Jetzt hätten wir wieder essen gelernt“, läßt sie beiläufig fallen, „manche hätten es schon vorher gewußt“.


Bettina‘s Augen sind wie ihre Gedanken, immer unterwegs. „Mutter verkauft ihre Kinder“ hat sie eben dem Tisch-Nachbarn aus der Bildzeitung rausgelesen und fügt aus der eigenen Küche hinzu: „Auch ‘ne Möglichkeit. Man hat eben nicht soviel zu verkaufen, das ist die Krise. Man müsse die Leute erreichen, die soviel falsch machen. Besser wäre es, sie würden sich Zeit nehmen, um sich zu verbessern, dem Fleisch Adieu sagen, das verwässert ist.“


Bettina zuzuhören macht Spaß. Ab und an, sagt sie, sehe sie sich gern am Nachmittag einen Krokodilfilm an. „Weil die so schön präzise zubeißen können. Früher sei sie so furchtbar moralisch gewesen, hätte jedem sein Liebstes am liebsten verboten. KBW-nonnenhaft-prüde. „Wir müssen da sein, wo wir sind“, sagt sie heute und polstert diesen Satz mit Benjamin ab: „Überzeugung ist unfruchtbar“. Das gilt besonders für Männer. „Wann hörst du auf, Bettina, hast du darüber schon mal nachgedacht?“ frage ich sie, weil ich an das Ende des Gespräches denke. „Ich mache weiter, bis mir das Kapital, Band eins von Marx auf den Kopf fällt“, sagt sie. Sage ich: „Hast du ihn da?“

 
 

Klaus Johannes Thies ist übrigens zu einer Veranstaltung des Theaters Bremen, des Bremer Literaturkontors und von KONTRAST · Männermode am 11. Januar 2022 im NOON eingeladen, aus seinen Texten zu lesen. Vielleicht kommt Bettina ja auch, um ihm mal wieder zuzuhören.


Link | Theater Bremen: https://bit.ly/3EcoA7S





 

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