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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Bislang kannte ich Richard Plant…

Aktualisiert: 29. Mai 2023


... nur als Autor des Buches »Rosa Winkel. Der Krieg der Nazis gegen die Homosexuellen«, aber vorletzte Woche tauchte er wieder vor mir auf, als ich die Homepage des Berliner Gans Verlages besuchte, der mir (ich gestehe!) bis dato kein Begriff war, der aber durch den Gewinn des Alfred-Döblin-Preises 2023 des Romans »Krüppelpassion – oder vom Gehen« von Jan Kuhlbrodt einen wichtigen weiteren Schritt in die Öffentlichkeit absolviert hat. So fand ich dort unter den Gans-Novitäten zur diesjährigen Leipziger Buchmesse Richard Plant wieder, aber zu meinem großen Erstaunen als Kinderbuchautor!


Da hatte ich damals bei der Lektüre der Campus-Ausgabe seines »Rosa Winkel« aus dem Jahre 1996 wohl etwas übersehen, allerdings stand dazu auch nichts in der Ausgabe von Plants Werk über den Rosa Winkel, was ich eben noch einmal in meinem Exemplar überprüfen konnte. Dennoch hat mich jetzt die Kenntnis über dieses neue Detail der Bio-Bibliografie des Autors motiviert, mich mit seinem Kinderbuch zu beschäftigen, gerade weil ich mich wieder erinnere, welch wichtige Rolle einmal sein Buch über den Rosa Winkel in meiner persönlichen Vergangenheit, sprich: bei meinem eigenen Coming-Out gespielt hat.


Grüße aus Berlin von Erich Kästner


Dieser Roman für Kinder ab 9 Jahren hat alle Qualitäten einer Geschichte in bester Erich-Kästner-Emil-und-die Detektive-Kinderbuch-Manier: die vier Kinder der Familie Baumann blieben allein zu Haus, weil ihre Eltern zur Kur nach Bar Ragaz fahren, denn Herrn Baumann plagt ein heftiger und ihn schon lange malträtierender Rheumatismus. Aber kein Problem, Bertha ist ja da, die Haushälterin, die sich um die Vier kümmern und ihnen das Essen kochen kann.

Aber sie muss plötzlich ins Krankenhaus - ein Blinddarm treibt sein Unwesen, und sie muss operiert werden, aber die Kinder beschließen, den Eltern nichts zu verraten und ihre verdiente Kur bis zum Ende auskosten zu lassen.


Alles geht gut zunächst, bis aber jemand aus der dem Buch seinen Titel gebenden Kiste im Keller des Hauses die Glühbirnen für das geplante Sommernachtsfest gestohlen werden. Aber auch das will die Viererbande mit ihren eigenen Mitteln lösen (was ihnen natürlich gelingt, es handelt sich doch um ein Buch für Kinder!).


Die Liebe des Autors zu seinen Protagonisten


Den durchgängigen Reiz des Buches macht die spürbare Liebe des Autors zu seinen Protagonisten aus, welche Selbstständigkeit und welches Verantwortungsbewusstsein er jedem von ihnen zutraut und ihnen zuschreibt. Nicht zu überlesen ist in dem Zusammenhang auch die feinfühlige Sorgfalt des Autors um die Geschichte zwischen Peter und seinem neuen Freund Karl (das sind die beiden sich umarmenden Jungen vom Titelblatt - siehe oben), in der sich - ebenso deutlich spürbar und ohne jede Aufdringlichkeit - eine frühe und schöne Coming-Out-Story zu verstecken scheint.


Mein gegebener Bezug auf Kästner kommt nicht von ungefähr: die Detektivgeschichte bildet den Mittelpunkt des Buches, aber ich wage die These, dass solche Geschichten immer noch junge Leser fesseln können, wie das in unserer Kindheit Emil Tischbein, Pony Hütchen, Gustav mit der Hupe, der kleine Dienstag und der Fliegende Hirsch in Kästners Berlin der 20er Jahre gelingen konnte.


Nur bilden in diesem Fall das Detektiv-Team die vier Kids der Familie Baumann, Hannelie, die älteste, schon kurz vor ihrem Schritt ins Teenager-Alter, in der Mitte die Zwillingen Mutz und Peter und als Nesthäkchen Nüsslein.


Und eine Lehre hält das Buch auch parat, von der der Autor nun wirklich noch nichts ahnen konnte: es gibt ein Leben ohne Handys, Tablets, Netflix und TikTok...


Das Buch schließt mit einem Nachwort von Barbara Meter ab, sie ist die Tochter von Leo Meter, dem Illustrator dieser Ausgabe, mit einem weiteren neunseitigen Nachwort zu Leben und Werk von Richard Plant von Raimund Wolfert (mit dem unmissverständlichen Titel: "Richard Plant. Als Jude geflüchtet, um als Homosexueller zu überleben") und einer editorischen Notiz von Ulrich Leinz, dem Verleger des Gans Verlages.


Die Illustrationen


Diese Neuausgabe der »Kiste« hat der Verlag mit den Illustrationen ausgestattet, die in einer niederländischen Lizenzausgabe im Jahre 1937 erschienen und die von dem Leo Meter, dem Schwager Richard Plants, stammen. In der deutschsprachigen Erstausgabe, die ein Jahr zuvor im H.R. Sauerländer Verlag im schweizerischen Aarau erschienen war, stammten die Illustrationen von Lucy Sandreuter. Die Bilder von Leo Meter sind durchaus reizvoll, sehr künstlerisch, alle in schwarz-weiß gehalten, dennoch in eher groben Strichen, fast expressionistisch fallen sie aus.

Leider bekommt diese Ausgabe dadurch einen beinahe bibliophilen bis antiquierten Charakter, keinesfalls entspricht diese Ausstattung den optischen Ansprüchen eines heutigen Kinderbuchs, zumal auch das Cover des Buches auf den ersten Blick nicht erkennen lässt, dass es sich um eine Publikation handelt, die sich an Mädchen und Jungen im Alter ab 9 bis 10 Jahren wendet. Das ist ein bisschen schade, denn ich fürchte, damit hat man dieser Neuentdeckung nach fast 90 Jahren einiges an Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit vorenthalten, die man ihr unter Umständen in einer zeitgemäßen, auffälligeren Ausstattung ermöglicht hätte.


Einen Walter Trier kann man nicht mehr fragen... Aber eine Melanie Garanin könnte man sich für solch einen Auftrag vorstellen, die im vergangenen Jahr beispielsweise Völlig meschugge?? von Andreas Steinhöfel (Carlsen, Hamburg 2022) illustriert hat.


Und noch eine Klage am Ende, die ungerecht erscheinen könnte, aber natürlich schafft der Ladenpreis von € 29,90 eine fast unüberwindliche Kaufbarriere für ein solches Kinderbuch. Dreißig Euro, das sind einfach mindestens fünfzehn Euro zu viel. Aber vielleicht hilft da eine wohlfeilere Lizenzausgabe im TB-Format mit neuen Illustrationen, z.B. bei dtv junior.


Denn eine noch größere Verbreitung hätten der Autor und sein Roman für Kinder posthum mehr als verdient.

 
 

Richard Plant


Richard Plant wurde am 22. Juli 1910 als Sohn des Arztes und sozialdemokratischen Stadtrat Theodor Plaut in Frankfurt geboren. Seinen Familiennamen Plaut änderte er später im Exil in Plant um. Zu den Freunden der Familie zählte Siegfried Kracauer, dem er sein Interesse für den Film verdankte. Nach dem Abitur 1929 studierte Plant Germanistik, Geschichte und Philosophie in seiner Heimatstadt, bis er - seiner jüdischen Herkunft, seiner homosexuellen Präferenzen und seiner politischen Haltung wegen - im Februar 1933 in unmittelbarer Reaktion auf den Reichstagbrand nach Basel emigrierte. Er promovierte dort über Arthur Schnitzler, schrieb regelmäßig Beiträge für die Baseler Nationalzeitung sowie Kinderbücher und Kriminalromane.


Auf Anraten seines früheren Professors Paul Tillich und mithilfe eines Affidavits der Schriftstellerin Vicky Baum ging er im Sommer 1938 nach New York ins Exil. Hier schlug er sich zunächst als amerikanischer Filmkorrespondent der Nationalzeitung durch, schrieb Kurzgeschichten und Kritiken u.a. für The New Yorker, wurde zwischenzeitlich Privatsekretär bei Klaus Mann, bis er schließlich 1942 in der deutschen (Antinazipropaganda-) Abteilung von NBC seine erste feste Anstellung bekam.

Ab Herbst 1945 konnte Plant sich aufgrund eines Stipendiums zwei Jahre lang seinem autobiographischen Roman The Dragon in the Forest widmen, schätzte seine Aussichten als freier Schriftsteller aber so düster ein, daß er eine Dozentur für Germanistik am City College in New York vorzog. Bis 1973 wirkte er als akademischer Lehrer, verfasste jedoch währenddessen weiterhin kleinere Arbeiten, darunter auch 1965 das Szenario für das Libretto der Oper Lizzie Borden · A Family Portrait (Musik: Jack Beeson; Libretto: Kenward Elmslie).


In einem Autorenkollektiv, das sich Stephan Brockhoff nannte und das er zusammen mit Dieter Cunz und Oskar Seidlin bildete, schrieb Plant zwischen 1935 und 1955 mehrere Kriminalromane (siehe hier: http://www.krimilexikon.de/brockhoff.htm).


Nach einer Emeritierung konzentrierte er sich auf Studien zu einem Buchprojekt, das ihn schon lange beschäftigt hatte. Dieses Buch erschien dann endlich 1986 in den USA unter dem Titel bei The Pink Triangel bei Henry Holt and Company, New York und 1991 auf Deutsch unter dem Titel Rosa Winkel · Der Krieg der Nazis gegen die Homosexuellen im Campus Verlag, Frankfurt/New York (übers. Von Danny Lee Lewis und Thomas Plaichinger, in einer Neuausgabe 1996 im Verlag Rosa Winkel.) *)


Richard Plant starb am 3. März 1998 in New York City.


(Quelle: Entnommen der dt. Ausgabe von Rosa Winkel von Richard Plant und Wikipedia.)


*) Vielleicht macht sich der Gans-Verlag stark, eine Neuauflage des Buches in seinen Katalog aufzunehmen, nach wie vor bildet es ein zentrales Werk zum Thema der Verfolgung von Homosexuellen und queeren Menschen, geschrieben von einem Autor, der sicherlich auf ein größeres Werk hätte zurückblicken können, hätte er sich nicht so früh aus nicht nur einem Grund gezwungen gesehen, das Land seiner Muttersprache verlassen zu müssen. Die Rechte als solche werden günstig zu erwerben sein.

 

Weblinks:

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.


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