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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Bremen at its best

Aktualisiert: 2. Feb. 2022


Wie bekannt sind heute jüngeren reisenden Lesern, oder denen, die vom Reisen träumen, noch die Merian-Hefte? Hefte nennen sie sich nach wie vor und untertreiben damit ihre hohe Qualität, die sie immer durch ihre lange Geschichte ausgemacht hat. Eher Reisealmanache von Städten, Regionen oder Ländern der Erde, als dass sie klassische Reiseführer wären. Auch nicht solche Reiseführer, die dem Reisenden alle, auch noch so versteckten Geheimtipps versuchen zu verraten und die darauf in der Regel durch ihre Enttarnung auch schon ihrer Geheimnisse wieder beraubt werden.


Die Tradition der Merian-Hefte, die in der Regel monatlich erschienen, auch heute noch im gleichem Rhythmus publiziert werden, reicht zurück in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Im Juli 1948 erschien das erste Heft im Verlag Hoffmann & Campe in Hamburg, es porträtierte Würzburg, eine Stadt, die durch die Bombardements des Krieges zu mehr als 80 % zerstört war. Die Grafik des Titelbildes nimmt diese Tragik – wenn auch eher versteckt - auf: der historische Kupferstich der Stadt aus dem Jahr 1650 des Verlegers und Kupferstechers Matthaeus Merian (1593 - 1650), dem Namenspatron der bis heute weit über 800 Hefte, ist umrahmt von einer holzschnittartigen Girlande, die zu ihren Füßen einen Waldboden darstellt, aus dem Bäume in den Himmel wachsen, die aber am oberen Rand sich in die Silhouetten von durch Bomben zerstörte Ruinen verästeln.


Um diese „Wiederherstellung“ wenigstens in gedruckten Zeugnissen der vielen deutschen Städte ging es dem Gründer des Magazins Kurt Ganske. Viola Schenz schrieb 2010 in der Süddeutschen Zeitung aus Anlass der über 60 Jahre, auf die das Reisemagazin damals schon zurückblicken konnte: „1948 dachte niemand in Deutschland ans Verreisen. Kurt Ganske dachte auch nicht ans Verreisen, er dachte ans Bewahren. Der Buchhändler Ganske wollte deutsche Städte festhalten, in einer ‚Monographienreihe‘, Monat für Monat, in Wort und Bild.“


So kommt es fast einem Kunststück gleich, dass im Merianheft Würzburg kein einziges Bild der Zerstörung zu sehen ist, so unmittelbar es auch nach dem Ende des Krieges erschien. Die gleiche Finesse gelingt im 1953 erschienenen Heft, das Bremen mit der Nummer 12 des 6. Jahrgangs porträtiert, kurioserweise in zwei „Halbheften“. Auch da: kein einziges Bild, kein einziger Beitrag zu den furchtbaren Zerstörungen, die die NS-Diktatur verursacht und verschuldet hatte. Nein, da wird, obwohl alles noch nur in schwarz-weiß und auf rauem, holzhaltigem Papier gedruckt, dem Aufschwung gehuldigt, als wäre nie etwas in den bei der Veröffentlichung des Heftes nur wenig zurückliegenden Zeiten über diese Stadt, dieses Land, fast die ganze Welt an Zerstörungen, Diskriminierungen, Entwurzelungen und Vernichtungen herübergerollt war.

Zwölf Jahre, bis 1965, dauerte es dann, bis ein neues Bremen-Heft erschien, an deren Zustandekommen mein Vater, der Buchhändler und Antiquar Wilhelm Rodewald (1912 - 1978), nicht ganz unschuldig war. In diesem Heft finden u.a. die ersten drei Jahre der turbulenten Intendanz und des Theaters von Kurt Hübner (1916 - 2007) noch eine eher bescheidene Erwähnung durch den Theaterkritiker Johannes Jacobi (1909 - 1969), während in dem Bremen-Heft Nummer 3, das als nächstes, in 1982, erschien, der großartige Bremer Kritiker Rainer Mammen (1950 - 2015) schon nur noch ein Trauerlied und Abgesang auf den Bremer Stil des Intendanten und dessen Ensemble anstimmen konnte, die, mit giftigen Intrigen vergällt, eine kleinbürgerliche Kulturpolitik am Ende aus der Stadt vertrieben hatte und damit erfolgreich und sich die Hände reibend das Konzept des Abonnement-Theaters mit fatalen Folgen restauriert hatte.


Noch ein weiteres Magazin über die Stadt erschien dann 2010 und nun im Sommer des vergangenen Jahres und nach einer wieder längeren Pause das Merian-Heft 2.0, das sehr optimistisch neue Zeiten versucht zu vermitteln, indem sein Untertitel Neuer Wind an der Weser heißt, den wir als Bewohner unserer Stadt so nicht immer verspüren können. Aber vielleicht bewegen wir uns zu sehr im eigenen Sud, als dass wir geeignet wären, ein klareres Bild unserer Heimatstadt abzugeben.


Aber wollen wir versuchen, vorurteilsfrei durch das Heft zu blättern und uns einer unvoreingenommenen Lektüre hingeben.

Zunächst fällt auf, dass auf allen, wirklich allen Außenaufnahmen die Sonne unter einem strahlend blauen Himmel scheint, grau ist es jedenfalls auf den Bildern nie. Und regnen tut es ebenso auf keinem der Fotos. Wir wissen es besser, dass es hin und wieder auch einmal anders kommen kann. Aber das braucht wirklich nicht weiter niemandem verraten werden. Obwohl - Nora Bossong, in Bremen geboren und aufgewachsen, plaudert es doch aus, ihr Beitrag beginnt mit: "Es regnet im Prinzip immer", und das bezieht sie auf ihre Heimatstadt.


Natürlich werden - ohne das geht es doch auch nicht - die Top-Sehenswürdigkeiten der Stadt bedacht, wie die Böttcherstraße, die Bremer Stadtmusikanten, das Viertel, der Schnoor, lange Artikel zur Kunsthalle gibt es, auch zur Überseestadt, zur Raumfahrtindustrie, ein Interview mit dem Frontmann der Band "Revolverhead", Johannes Strate (*1980 in Bremen, aufgewachsen im nahen Worpswede) und ein ausladendes Porträt von Paula Modersohn-Becker.

Sogar mein Lieblingsbäcker in meinem Stadtviertel Bremen-Nord, Joona Hellweg und seine Joona's Brotbude werden porträtiert, das hat er verdient, denn seine Brote sind ausgesprochen wohlschmeckend, ganz zu schweigen von seinem für die Weihnachtszeit obligaten Bremer Klaben, ein Kuchengebäck, das sowieso aus Bremer Sicht den Dresdner Christstollen um Längen schlägt.


Einige Seiten des Heftes sind auch Bremerhaven gewidmet, davon dem Klimahaus viele und ein paar weitere einem 48-Stunden-Rundgang durch die sogenannte Seestadt. Man hört - ich meine, sie sind berechtigt - Klagen von oben an der Nordsee, dass das zu wenig sei, dazu nur als Anhängsel der Beiträgen aus der "Hauptstadt". Die Stadt hätte tatsächlich mal eine eigene Merian-Würdigung verdient, immerhin gibt es Merian-Monographien über Städte gleicher Größenordnung, wie hier im Norden Oldenburg oder Osnabrück. Dazu nur ein paar Stichworte als Anregung an die Redaktion in Hamburg: das Alfred-Wegener-Institut, der Zoo am Meer, das Deutsche Auswandererhaus und die lange Geschichte der Columbuskaje, der zweitgrößte Containerhafen Deutschlands, das junge Stundentenleben mit der Hochschule Bemerhaven, die Heimat des Comedy-Duos Podewitz, ein rühriges Stadttheater, ein besuchenswertes Hinterland und vieles mehr.


Das Bremen-Heft - das ist aber eh das nahezu heilige Gesetz dieser Magazinreihe seit eh und je - weiß ansonsten nichts, reinweg nichts von womöglichen schlechten Seiten der Stadt zu berichten. Insofern eignet es sich als bestmögliche wohlfeile Promotionsbroschüre (€ 9,90) für das Land Bremen und als perfekter Köder für jede/n, der/die man in die Stadt locken möchte oder einfach als illustres Souvenir für Besucher derselben.

Und wenn die vier Stadtmusikanten hätten lesen können und hätte es vor 200 Jahren schon diese schöne farbenfrohe Broschüre gegeben, sie hätten ganz sicher nicht irgendwo vor den Toren der Stadt halt gemacht, da irgendwo in der Gegend um Lichtenhorst bei Rethem an der Aller, sondern es hätte sich der Rest des Weges bis hierher auch noch gelohnt. Denn: etwas Besseres als den Tod hätten sie hier in Bremen selbst auch damals allemal gefunden, und heute sogar obendrein das "Stadtmusikantenhaus", das hier im Entstehen ist, wie das Merian-Heft ebenso auf Seite 12 kolportiert.

 
 

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