top of page
  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Das haben sie nicht verdient…

Aktualisiert: 9. März 2021


… all die jungen Künstler*innen, deren Werke in der Bremer Weserburg seit dem 1. Dezember und bis zum gestrigen Sonntag im Rahmen der Exposition "Shunted Sculptures Fleeting Words" ausgestellt waren, die aber so gut wie niemand hat sehen können. Auch diese jungen Meisterschüler*innen der Hochschule für Künste · HfK Bremen werden von den angestrengten, bisweilen als absurd empfundenen bis unbeholfen erscheinenden politischen Maßnahmen der Pandemie-Bekämpfung schmerzhaft getroffen. Das geschieht ihnen gerade in der für ein Künstler*innenleben so wichtigen ersten Phase, in der ihnen die Möglichkeit geboten wird, sich nach dem langen Studium, das sich meistens bis dahin eher im versteckten Ambiente der Akademie abspielte, einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.


Ich habe das Glück, einen der Meisterschüler, Felix Luczak, persönlich zu kennen, genau genommen seit dem allerersten Tag seines Lebens, denn ich durfte in unserer damaligen Hausgemeinschaft seine Geburt miterleben (das war 1980, nicht 1960, wie der Begleitkatalog behauptet). Felix hat uns kleine Gruppe aus Familie und Freunden mit einer Sonderlizenz durch die Räume führen dürfen, so dass wir – fast wie in geheimer Mission – in den Genuss kamen, die Stücke der insgesamt 19 ausstellenden HfK-Absolventen sehen zu dürfen.


Die Ausstellung erstreckt sich über mehrere Etagen, bis ins allerhöchste Stockwerk des ehemaligen Speicherhauses auf dem Teerhof zwischen der Weser und ihrem Nebenarm der Kleinen Weser, das vor nunmehr dreißig Jahren das Domizil der Weserburg geworden ist. Dort ganz oben unterm Dach findet man auch Installation To be Decided der kanadischen Künstlerin Kate Andrews (*1992 in Toronto), die damit den mit 15.000 € dotierten Karin Hollweg Preis 2020 gewonnen hat, der jeweils unter den Teilnehmern dieser regelmäßig stattfindenden Ausstellung gekürt und von der Karin und Uwe Hollweg Stiftung vergeben wird. Die eine Hälfte der Auszeichnung wird als Preisgeld ausgezahlt, die andere ist für die Realisierung einer Einzelausstellung reserviert.

Die preisgekrönte Installation von Kate Andrews

Die Installation von Kate Andrews besticht, durch die Komposition aus verschiedenen Elementen: Metall, Glas, Spiegel, Zeichnungen und anderen Elementen, aber auch gerade durch ihre Platzierung da ganz oben in dem Spitzboden, von dem hinunter der Blick durch die Sprossenfenster auf die Große und Kleine Weser und die Schiffe an der Schlachte fällt, hat sie einen sehr passenden Platz gefunden.


Ansonsten vereinigt die Sammlung Werke in den verschiedensten Formaten, womit das breite Spektrum deutlich wird, in dem an der HfK Bremen unterrichtet wird: multi-mediale Installationen, Malerei, Plastik und Fotografie.


Ohne auf alle Ausstellungsstücke eingehen zu können, möchte ich die Arbeiten dreier Künstler*innen hervorheben, die mir persönlich sehr gefallen haben: da ist Thomas Keiser (*1983 in Delmenhorst), der seiner Heimatstadt mit seiner Multimedia-Installation Delmenhorst 4.321 - Treff uns in der Cloud eine ironisch-muntere, begehbare farbenfröhliche Hommage widmet. Nach Sven Regener wohl erst der zweite Künstler, der der Bremer Nachbarschaftsstadt eine so exponierte Weihe schenkt.


Von den Malereien sprang mir, nicht nur wegen seines pompösen Formats, aber wegen seiner beeindruckenden Farbigkeit Der Garten von Leben und Tod von Alexander Esch van Dettum (*1986 in Bremen) ins Auge.


Und als Drittes hat die Gradwanderung von Jessica Ammann (*1990 in Basel) meine Aufmerksamkeit wecken können. Sie hat sich einfach eines Risses, der durch eine der weißen Innenwände der Weserburg verläuft, angenommen und ihm noch einen weiteren Weg um ein paar Ecken herum geschenkt. Minimal art. Ammann selbst bezeichnet ihre Arbeit noch schlichter als "Raumbezogene Intervention".



Natürlich – und damit zugegebenermaßen und unverhältnismäßig hoch beeinflusst von meiner persönlichen Voreingenommenheit (siehe oben) – war ich neugierig, die Installation von Felix Luczak nun auch in voller Funktion zu erleben. Von Einzelheiten, wie von der Beschaffung des zentralen Corpus seiner Installation, der Juke-Box, hatte ich schon einiges mitbekommen und von einigem Mehr während des Schaffensprozesses. Nun aber konnte ich das ganze Objekt in voller Aktion erleben.


Firebird - das ist der authentische Name dieser Juke-Box, die 100 CDs abspielt, und die aus den 80er Jahren stammt. So amerikanisch wie sie auch aussehen und ihr Name klingen mag, sie ist eine urdeutsche Konstruktion der 1949 gegründeten Firma NSM in Bingen am Rhein (heute Löwen Entertainment), die hauptsächlich Spielautomaten baut. Firebird - so nennt Luczak dann auch ohne weitere Allüren sein Objekt, das fast verloren, einsam an einer der großen hohen weißen Wände der Ausstellungshalle hängt, über ihr ein Lautsprecher, der deutlich sichtbar mit der Box, wie diese ebenso unverputzt mit der Steckdose verkabelt ist (1). Nichts wird hier versteckt.

Der Betrachter kann nun in Dialog mit der Box (2) treten: mit den roten Pfeiltasten (3) wählt man unter den 100 Bildern (4) aus, auf denen Skizzen, Objekte, Bilder oder Fotos des Künstlers, Collagen zu sehen sind, die teilweise mit Motiven aus den 60er Jahren der BRD spielen, einige ein wenig obszön (nur ein wenig!), komisch, satirisch, manche grell in ihren Farben, andere verblasst. Allein durch diese imaginären CD-Cover zu blättern macht schon Vergnügen. Wenn man dann die entsprechenden CDs zu den Bildern hören will, muss man eine Münze in den Zahlschlitz (5) werfen (die Höhe des Münzbetrages, die Währung, das Material ist dem einwerfenden Kunstliebhaber überlassen). Darauf wählt man die Nummer in der Tastatur (6), die CD senkt sich vor den Augen des Betrachters auf den Player, und es erklingt aus dem Lautsprecher (7) die entsprechende Musik in von Luczak komponierten Audio-Collagen. Und der Firebird blinkt einen dabei fröhlich-grell an. Eine vielschichtige Angelegenheit. Und sie macht einen Höllenspaß!

Felix Luczak

Somit ist Felix außer der Preisträgerin wahrscheinlich der Einzige, der die Ausstellung mit direktem finanziellen Gewinn abschließen kann, da die Installation nur durch Bezahlung zum Laufen gebracht werden kann. Bei unserer Visite öffnete der Künstler die Maschine und tatsächlich lag so einiges an Oboli in der Kassenschale. Alles frei nach dem Motto, das Luczak über seine amüsant-verschmitzte und phantasievolle Konstruktion stellt: pay something to get something“. Nicht auszudenken, wie hoch die Einnahmen für den Künstler ausgefallen wären, hätte die Ausstellung nicht unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden...


Man hätte den Künstler*innen seitens der Institutionen (Kurator der Ausstellung: Alejandro Perdomo Daniels) eine Dokumentation ihrer „Geister“-Ausstellung gegönnt, die etwas großzügiger und attraktiver ausgefallen wäre als die schwarz-weiße Lose-Blatt-Sammlung. Immerhin gibt es ein von Marike Plöger, Pascal Wehling und ihrer Produktionsfirma 3Some Productions gedrehtes Video der Exposition, das mit Ausgeglichenheit alle Exponenten in ein gleichberechtigtes Licht setzt.


Aber gerade höre ich, dass auch noch ein farbiger Hochglanzkatalog im Buchformat in Vorbereitung ist. Das haben die Macher*innen mehr als verdient, in so schmerzhafter Ermangelung eines größeren Publikums fïr ihre spannenden Kreationen. Allemal ein kleiner Trost.


Das Resumee der Schau: es ist mit ihr ein überzeugender Querschnitt gelungen, um die hohe und vielseitige Qualität der Meisterschüler*innen der HfK Bremen und das breite Panorama der Werke, die in den Räumen und unter dem Dach des Speicher XI entstehen, zu demonstrieren. Man möchte allen Künstler*innen nur das Allerbeste für ihre weiteren Karrieren wünschen, verdient hätten sie es alle.


Aber umso mehr kann man dem kommenden Jahrgang der HfK-Meisterschüler*innen nur von Herzen wünschen, dass dann nicht immer noch irgendwelche bösartigen Viren oder eine am Ende nicht sehr einfallsreiche oder flexible pandemische Kulturadministration verhindern wird, ihnen eine angemessene Öffentlichkeit zu geben.

 

Weblinks:

© Guenter G. Rodewald - 8. März 2021

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info - Ich freue mich über jede Reaktion.

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page