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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Der Gefallen ist immer groß…

Aktualisiert: 19. Juni 2023


Früher gab es auch einmal eine Freimarktsbahn: Triebwagen für Piraten | Hänger 1 für Prinzen und Prinzessinnen | Hänger 2 für den Wilden Westen

… wenn mir ein Buch in die Hände fällt, das einen persönlichen Bezug zu mir hat, zu meinem Leben, durchaus auch zu meinem Großwerden oder sonstigen biographischen Stationen. Dabei muss keine ausgefallene literarische Qualität das Lesen begleiten oder philosophisch tiefschürfende Gedankengänge aufzeigen. Es macht einfach Freude zu erkennen, wenn man sagen kann, das kenn‘ ich, ich weiß, wovon die Rede ist. Das ist dieser Tage mal wieder mit einer Veröffentlichung geschehen, die den zugegebenermaßen schlichten und in Umgangsdeutsch gehaltenen Titel trägt „Linie 4 verbindet · Strassenbahnreise von Arsten bis nach Lilienthal“, herausgekommen ist es im Bremer Kellner Verlag, sein Autor Heiner Brünjes (*1958) ist ebenfalls Bremer, Autor von verschiedenen Stadtteil-Bremensien und eben von Büchern über die Bremer Straßenbahn AG, kurz BSAG.


In der Linie 4 beschreibt Brünjes in flottem journalistischem Stil – den hat er beruflich erprobt und beweisen müssen, denn er war lange Mitarbeiter der Pressestelle der BSAG – eine Reise auf der 23,6 km langen Strecke und auf mit 49 zu bedienenden Haltestellen, von ihrer nördlichen Endstation im niedersächsischen Lilienthal bis zur entgegengesetzten Endstelle in Bremens neben Kattenesch südlichstem Ortsteil Arsten.


Wenn ich anfangs davon sprach, dass ich Bücher mag, die sich um Stationen meines persönlichen Lebens ranken, so sind das, was die Linie 4 betrifft, diverse. Früher startete die Linie 4 – das war ihr Verlauf seit kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges im Süden – von ihrer Endstelle an der Kattenturmer Heerstrasse / Ecke Arsterdamm. Dort hatte sie ihre Endschleife vor dem „Arli“, „unseren“ Arsterdamm-Lichtspielen, ein Mitte der 50er Jahre erbautes großräumiges Stadtteilkino, in dem ich mit Heinz-Erhardt- und Sissi-Filmen und zwischen Vor- und Hauptfilm aus den Bauchläden der Platzanweiserinnen gekauftem Langnese-Eiskrem-Konfekt meine Kino-Karriere startete. Der dazugehörige Betriebshof der BSAG, das "Depot", eine Haltestelle davor, mit der alten Hausnummer 698 des Buntentorsteinwegs; heute bildet dieser Straßenabschnitt den letzten Verlauf der Kornstraße.

Auf der entgegengesetzten Seite der Weser, im Nordosten der Stadt, in Horn, lag die andere Endhaltestelle der Linie 4, auch das von mir ein öfter angefahrener Punkt der Stadt, meist in Begleitung meiner Eltern oder meiner Mutter. Denn hinter dieser Endstation wohnte eine befreundete Familie, am Schorf, wobei wir auf dem Fußweg dorthin immer auch die Brücke der Autobahn nach Hamburg überquerten, Jedes Mal musste ich stehenbleiben und den vorbeirasenden Autofahrern zuwinken. Nun, rasen taten diese Fagrzeuge damals eigentlich noch nicht, aber mir kam es so vor, Tempo höchstens 130 km/h, geht doch!

Weitere – obwohl noch nicht einmal alle, die es gab - Berührungspunkte mit der Linie 4 schildere ich auch in meiner kürzlichen Kolumne im Schwachhauser · Magazin für Bremen. Aber es sollte hier doch in erster Linie etwas zu Brünjes‘ Veröffentlichung stehen. Wie schon in seinem Buch „Bremen mit der Linie 3 erleben. Straßenbahnreise von Gröpelingen bis zum Weserwehr“ (Kellner Verlag, Bremen 2022), in dem er die Fahrt aus Bremens Westen durch fünf emblematische Ortsteile der Hansestadt bis hin zum Osten schildert, ergänzt er jenen Reisebericht durch diesen neuen. Indem er wie in dem ersten Band an vielen historisch, kultturell und gesellschaftspolitisch interessanten und relevanten Orten die Bahn verlässt oder zumindest im Vorüberfahren auf sie zu sprechen kommt, beschreibt er jetzt seine neue Exkursion über eine noch viel längere und mindestens ebenso spannende Distanz.


Er schildert auch die über 25 Jahre ewig dauernden Kämpfe zwischen Administrationen, Bürgern und Anwohnern und die damit begleitenden Bauarbeiten, ähnlich wie sie sich jetzt in anderer Richtung, bei der Verlängerung der Linie 6 in Huchting oder Richtung Weyhe und Leeste wiederholen. Bislang ist die Linie 4 (noch) die einzige der BSAG, die neben den Schienen der Hansestadt auch Bahnstrecken in Niedersachsen befährt.


Neulich erlaubte ich mir, dem Autor gewissermaßen hinterherzufahren: ich war mit meinem E-Dreirad von Vegesack, wo ich wohne, bis zur Endhaltestelle in Falkenberg geradelt und war da in den Gelenkzug der 4 gestiegen. Als einziger Fahrgast zunächst. Diese Endhaltestelle kannte ich nur allzu gut, denn in den 70ern war ich drei Jahre als Einmannbusfahrer bei der BSAG angestellt und fuhr unter anderem die 30er Linien und somit auch die der 30, deren Strecke von der Domsheide, mit der Haltestelle vor ‚Die Glocke‘, eben bis nach Falkenberg reichte.


So erlebt man auf der ganzen Länge der Fahrt viele verschiedene Stationen des städtischen Lebens, zunächst sogar das eher dörfliche Ambiente Lilienthals und Borgfelds, dann geht's über die Wümme und die angrenzenden Wiesen, die Fahrt über den ‚Langen Jammer‘, vorbei an der Horner Mühle, und der Zug wird von Station zu Station immer voller, bunter, lebendiger.


Vorbei geht es am letzten traditionellen Bremer Buchantiquariat ‚Das Haus der Bücher‘ in der Leher Heerstraße, Halt machen wir an der klassizistischen Horner Saalkirche, dann kommt die scharfe und enge 90º-Rechtskurve, in deren Scheitelpunkt es links abgeht zum Rhododendronpark. Rechts bald das Focke-Museum, kurz vor der Kirchbachstrasse das Landhaus Horn, erbaut in den End-20ern nach den Entwürfen von Herbert Stoffregen im Art-Deco-Stil, links eines der schönsten Bremer Kinos, die ‚Gondel‘, daneben die kleine feine traditionelle Buchhandlung Melchers, betrieben von einem der letzten Urgesteine des Bremer Buchhandels Irene Nehen. Rechts bald vorbei am St. Joseph-Stift und all den neuentstandenen Bauten um es herum, auch an St. Ansgarii, durch den Concordia-Tunnel, der so heißt, weil auch hier einmal ein großes Kino stand, eben das ‚Concordia‘.


In seinen letzten Jahren bis zu seinem bedauerlichen Abriss 2017 diente es als Studiobühne des Bremer Theaters, bespielt zunächst von Kurt Hübners legendärer Truppe u.a. mit R.W. Fassbinders ‚Bremer Freiheit‘, dem Drama um Gesche Gottfried, als Hausbühne des Bremer Tanztheaters, danach George Taboris weltweit gerühmte Produktion des ‚Hungerkünstler‘ nach Franz Kafka. Zum Schluss nutzte die bremer shakespeare company noch das Haus.

Bald landen wir am Hauptbahnhof, vorbei an der Wallmühle durch den Schüsselkorb, nicht mehr wie früher den Domshof oder den Markplatz überquerend, zur Domsheide und von da die Weser über die Bremer Brücke mit den vier Namen rüber in die Neustadt – Große Weserbrücke, 1933 bis 1939 Adolf-Hitler-, dann bis zum April 1945 und bis zu ihrer unsinnigen Sprengung durch die letzten nationalsozialistischen Machthaber in Bremen Lüderitzbrücke, aber nach ihrem Wiederaufbau glücklicherweise erneut Große Weser- und heute – hoffentlich bis in alle Ewigkeit - Wilhelm-Kaisen-Brücke.


Am Leibnizplatz geht’s ab nach links, eintauchend in die tiefe Neustadt, auf die in den 70er Jahren nach Hausnummern längste Straße Bremens, bis zur nº 660, heute ist es die Kornstraße mit der Nummer 648. Nun, und in der nº 578 bin ich groß geworden, also an den „Gestaden“ der Linie 4, lange hatten wir genau vor unserer Haustür die Haltestelle „Huckelriede“.

Hinter der heutigen Haltestelle "Huckelriede" wird aus der Straßenbahn eine Hochbahn, versorgt auf dieser Trasse die früheren Dörfer Habenhausen und Arsten und die in den 60er bis 70er Jahren dort neu gebauten Viertel, mit Haltestelle an Bremens zweitgrößter Klinik, dem Krankenhaus Links der Weser, das "Ell-Deh-Weh".


Und irgendwann ist Schluss, fast auf der Wiese, eine bescheidene, knallenge Wendeschleife, keine weiteren Installationen sind zu entdecken, wo dürfen die einsamen Fahrer der immer länger werdenden Züge, der immer größer werdenden Mengen an Passagieren, die tagtäglich von A nach B von ihnen chauffiert werden, wo können sie ihre Pausen machen, oder was sonst nach langen Fahrten nötig werden kann, ab in die Büsche?


Die ganze Fahrt dauert eine gute Stunde, hin und retour das Doppelte, wenn man sich einer der beiden Endhaltestellen mit einem eigenen Fahrzeug nähern will, gibt es in beiden Richtungen Parkmöglichkeiten für PKW oder Bikes. Nehmen Sie etwas zu trinken und/oder zu naschen mit, an den jeweiligen Endhaltestellen gibt es keine Gastronomieangebote, das fehlt noch in den Zügen der BSAG, ein nettes kleines Bistro…


Aber vor allem, haben Sie den detaillierten Reiseführer für die Linie 4 von Heiner Brünjes dabei. Kaum eine Frage bleibt dann unbeantwortet, vor, nach oder während der Reise!

 

Weblinks:

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.



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