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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Der Himmel über Bremen

Aktualisiert: 20. Apr.


Die, die mich kennen, wissen, dass ich auf das System Facebook – wenn auch vernünftigerweise verbunden mit den bekannten Vorbehalten – nicht allzu viel kommen lasse. War es doch eines dieser Vehikel, die mir beim Neuerlernen meiner Mobilität große virtuelle Hilfe geleistet haben. Mittlerweile schätze ich es als anregendes Medium, mir den einen oder anderen Vorschlag zu meiner Freizeitgestaltung zu liefern. Gestern war es, als mir ein Post meines (nicht nur Facebook-) Freundes Peter H. aus dem Fedelhören ins News-Fach flatterte: ein Blick in den offensichtlich in Bremen zu verortenden Blick in den Himmel vom höchsten, 40 Meter hohen Bremer Berg, dem Metalhenge.


Auf meine umgehende FB-Frage an Peter: wie komme ich darauf und dahin? bekam ich die schnelle Antwort geliefert, nämlich so: https://metalhenge.de/besucherinfos/.


Kurz entschlossen schwang ich mich auf mein elektromotorisiertes Dreirad Easy Rider, gab vorher noch die Route in das Handy ein und fuhr von unserem Zuhause in Vegesack an der Lesum auf dem Deich entlang über Burg-Grambke, vorbei an dem früheren Kirchdorf Wasserhorst und dem Dorf Wummensiede, danach scharf rechts ab auf der Waller Straße längs der Kleinen Wümme quer durch die weiten Wiesen des Blocklands. Weder sieht noch hört man dort schon etwas von der A27, auf die man aber notgedrungen zufahren muss, um zur Bremer Zugspitze zu gelangen.



Bevor man dort eintrifft, muss man sich jedoch noch an den hässlich-zweckmäßigen Kulissen der Recyclingfirma Nehlsen, der Kompostierungs- und Recycling-Station der Bremer Stadtreinigung und den aus diesen Einrichtungen ausströmenden Aromen vorbeikämpfen, wird aber freundlich empfangen von dem klaren Entrée des Metalhenge, in der drei Infotafeln über die Geschichte der Entstehung dieses Berges informieren und die auf seinem Gipfel konstruierte und dort zu erwartende Installation einstimmen.


Der Anstieg beginnt auf einer langen gepflasterten Rampe bis ungefähr zur halben Höhe des Hügels und wird dann auf sieben Treppen oder auf einer Serpentine mit ebenfalls sieben Kehren fortgesetzt; den letzten Teil bewältigt man auf einer weiteren ausgedehnten Rampe, die auf das Aussichtsrund auf dem Gipfel mündet.



Die Info-Tafeln unten im Tal bitten darum, sein Fahrrad dort stehen zu lass und zu Fuss den Aufstieg zu machen, räumt aber Rollstuhlfahrern ausdrücklich ein, mit ihrem Gefährt die Auffahrt unternehmen zu können. Da auch ich in meiner Fortbewegung gehandicapt bin, mache ich die Reise ebenfalls weiter mit meinem Scooter.


Oben erwartet den norddeutschen Alpinisten ein mit grobem Sand bedecktes Rondell von ca. 15-20 Meter Durchmesser, das von einem Ring heller Granitquader eingefasst wird, aus dem fünf weitere Granitblöcke herausragen, die als Bänke dienen. Das Rund umranden 25 verrostete Reste von zerschlissenen, verbogenen, teilweise mit Löchern durchbohrten Spundwänden, deren Aufstellung unter anderen der archäoastronomischen Stätte Stonehenge mit seinen legendären Megalithen des vor über 4.000 Jahren in der Jungsteinzeit errichteten Bauwerks im südwestenglischen Amesbury nachempfunden ist.


Das Ganze ist errichtet auf der Ende der 60-er Jahre in Betrieb genommenen Mülldeponie, in der Nachbarschaft der Müllverbrennungsanlage, der MVA, und in unverfänglicher Nähe zur Bundesautobahn, die damals erst nur bis zum Ihlpohler Kreis und von da weiter nach Blumenthal verlief. Erst später, ab 1977 führte die A27 bis Bremerhaven und weiter nach Cuxhaven. Wenn man damals etwas aus dem Haushalt loswerden wollte und die seinerzeit noch recht anarchisch ablaufende und organisierte Sperrmüllabfuhr gerade verpasst hatte, fuhr man seinen Müll einfach hoch auf den Müllberg. Ein gesellschaftliches Bewusstsein über eine 'saubere' Abfallbeseitigung oder gar Abfalltrennung war zu der Zeit noch nicht entwickelt...


Da mein gestriger Besuch mit Sicherheit nicht der letzte auf dem Monte di rifiuti sein wird, werde ich mich vor allem mit dem astronomischen Hintergrund dieser kongenialen architektonisch-landschaftlich-künstlerischen-astronomischen Komposition beschäftigen. Dann wird nämlich auch der downloadbare Audio-Guide zur Verfügung stehen, auf den auf der Homepage des Metalhenge verwiesen wird. Auch für Kinder ist einer in Vorbereitung.


So haben die verantwortlichen Väter dieses einfallsreichen Bauwerks – Thomas Roth, der Künstler, Dieter Vornholz, der Astronom, Dr. Christian Vater, Leiter der Deponie und der Recycling-Stationen und Alexander Wachowski, der Webdesigner, unterstützt von diversen Helfern – neben einer neuen, höchst attraktiven Bremer Sehenswürdigkeit mit Sicherheit auch ein Ziel für unzählige Wandertage von Schülern aus Bremen und der Umgebung kreiert.


Glück hatte ich gestern mit der Sicht (aber nächstes Mal bringe ich mein Fernglas mit!), so dass ich solch markante Punkte wie die Hafenanlagen im Nordwesten der Stadt, die Domtürme, das Weserstadion, die Uni, bis ganz tief ins Blockland den Weyerberg ausmachen konnte. Und einen wunderbaren Blick auf das viele, fast grenzenlose Grün in all seinen Schattierungen, das Bremen und seinen Horizont ausmacht.


Die Fahrt auf meinem Dreirad wieder hinunter von dem Berg gestalte ich mit meinen beiden angemessen kontrollierten Handbremsen und allergrößter Vorsicht, um auf keinen Fall vom gepflasterten Steig abzukommen. Denn der hätte fatale Folgen, Geländer säumen ihn an keiner Stelle.


Unten angekommen und den Blick noch einmal zurück auf die Spitze gewandt, denke ich mit gewissem Stolz, ein paar Millimeter habe auch ich zu seinem Wachstum beigetragen, denn in lange vergangenen Pre-Recycling-Times habe auch ich meinen Sperrmüll unsortiert aus dem Kofferraum auf die Kippe geschmissen, während auf der streng riechenden Halde Menschen herumstocherten, die nach noch brauchbaren Materialien und Möwen nach Fressbarem fischten.

 

Weblinks:

 

Reaktionen:

  • »Hast Du gut geschrieben. Gefällt mir.« - Peter H., Bremen

  • »München kann sogar noch höher: Der Fröttmaninger Berg (auch ein ehemaliger Müllhaufen) ist 75 Meter hoch, über Normalnull dürften es an die 600 Meter sein. Allerdings gibt es dort nur eine Windturbine und keine Skulpturen.« - Jürgen A., München

  • »lieber guenny, (darf ich so sagen?) ich danke dir für deine elektropost zu meiner installation „metalhenge“. ich finde es toll, daß du dich gleich aufgemacht hast und hochgefahren bist. in einem sind wir doch einer wie der andere: wir machen müll und bringen ihn weg. und selbst, wenn er zu einem berg geworden ist, vergessen wir ihn, weil er so schön begrünt und biotop genannt wird, oder freizeitanlage oder freilichtgalerie. ich habe metalhenge gebaut, um den müll als kultur zu behaupten. es ist so banal und einfach und doch merkwürdigerweise neu. wir sind heute so raffiniert in der erzeugung und verwaltung des mülls, daß wir nur ab und zu kurz stöhnen, wenn wir ihn als das endprodukt unserer freveltaten, die gleichbedeutend mit unserer lebensweise sind, wahrnehmen. er stinkt und ist gefährlich und abstoßend. also wird er verdrängt. aber wir brauchen eine aufarbeitung. und dazu muß er neu angeschaut werden als etwas, das uns angehört, das ein teil unserer kultur ist. psychologisch gesehen ist es wie mit allen aufarbeitungen. solange etwas verdrängt bleibt, geht nichts weiter, die leichen im keller werden wir so nicht los. metalhenge ist toll geworden, der ausblick ist herrlich, ein wandertag dorthin lohnt sich. aber um den metallkreis geht es nur in zweiter linie, er ist im grunde nicht dazu da, gesehen zu werden, sondern als anregung, zu sehen. die kultur, die man in metalhenge erlebt, ist die unter unseren füßen. die stadt zeigt unsere gegenwart, unsere lebensweise und wo der berg herkommt. die endlosen wiesen lassen ahnen woher wir kamen, aus einer unerbittlichen natur. alles und wir selbst sind untergebracht in diesem unbegreifbar riesigen kosmos über uns. das zu spüren und sich mit all dem verbunden zu fühlen, soll metalhenge durch das zitat eines uralten, erhabenen symbols anstoßen. damit wir uns neu ordnen und eines tages verbundener leben. deshalb ist mir der ASTRONOMISCHE aspekt auch so wichtig. wir machen uns auf ins all, weil wir es technisch können. wir sind nur ethisch noch nicht so weit, weil wir unseren irdischen müll noch nicht angeschaut haben. viele grüße thomas« - Thomas Roth, Erbauer von Metalhenge

  • »Vielen Dank für Ihren gelungenen Artikel.« - Dieter Vornholz - Olbers-Planetarium

  • »Vielen Dank für diesen sehr gelungenen Bericht über Ihren Besuch! Wir freuen uns sehr, dass es Ihnen gefallen hat. Der Audioguide dürfte im Laufe der nächsten Woche verfügbar sein!« - Facebookseite von Metalhenge Bremen

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info - Ich freue mich über jede Reaktion.

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