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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Lorca lebt!


Man darf sich sicher sein, Federico García Lorca hätte es gefallen, sein Leben auf diese unkonventionelle Weise dargestellt zu sehen, eben als Graphic Novel. Die ist im November 2018 Jahres im spanischen Verlag Ediciones B herausgekommen, mit dem Text von Ian Gibson und den Zeichnungen von Quique Palomo, beide große Meister ihres Fachs. Mittlerweile hat der Comic schon seit seiner Veröffentlichung mehr als 30.000 Exemplare verkauft und sich damit in Spanien und Lateinamerika längst zu einem echten Bestseller entwickelt. Sogar in den Unterricht an den öffentlichen spanischen Schulen hat er mittlerweile Einzug gehalten und bringt so den Schülern das Leben und das Werk dieses vielleicht wichtigsten, aber sicher meist geliebten spanischen Dichters und Dramatikers des 20. Jahrhunderts in einem ihnen gemäßen Medium näher. Aber eben auch den brutalen Mord, den die Falangisten an Lorca in den noch dunklen frühen Morgenstunden des 18. August 1936 in den Bergen, zehn Kilometer nördlich von Granada, an ihm begingen.


Die spanische Tageszeitung El País bespricht diese Graphic Novel in seiner Ausgabe vom 8. November 2018 engagiert und treffsicher, darum lasse ich dem Rezensenten Jesús Ruiz Mantilla gerne den Vortritt und gebe seine Rezension auf Deutsch wieder.

 

Der Lorca-Comic: sein Leben, sein Tod und seine Homosexualität - nichts wird verschwiegen


Ian Gibson (Text) und Quique Palomo (Illustrationen) erzählen das Leben des Dichters in einer Graphic Novel, ohne etwas zu verschweigen und schildern detailliert die Umstände seiner Ermordung.

Eine Pistole in einer anonymen Hand ist auf Lorcas Kopf gerichtet und zeigt den Dichter im Angesicht des Todes. Das schüchterne Glühen des ersten Sonnenaufgangs hat die Schwärze der Nacht noch nicht ganz verschwinden lassen. Olivenbäume, Felssteine und der Schatten des Dichters umgeben das Grab um Alfacar (Granada). Auf der Rückseite des Comics sieht man zwei der weiteren drei Opfer, die Federico García Lorca in seiner letzten Stunde begleitet haben: langsam folgt ihm mit lahmem Fuß der republikanische Lehrer Dióscoro Galindo aus Pulianas. Und im Hintergrund auf der Ladefläche des LKWs hält ein Sturmgardist einen der zwei anarchistischen Stierkämpfer fest - entweder ist es Francisco Galadí oder Joaquín Arcollas – die ebenfalls beide an diesem Tag voller Hass, Blut und der Bitterkeit zu Tode kamen...

Die Zeichnung von der Hinrichtung wurde für das Cover des Comics ausgewählt, den Ian Gibson und der Illustrator Quique Palomo zusammen gemeinsam verwirklicht haben. Sie schildert uns Lorca ohne Tabus und Verschleierungen. Seine Kindheit in der Vega von Granada und seine Jugend in Madrid als Bewohner und Student der Residencia de Estudiantes. Seine Familie und seine heimlichen Lieben; seine globalen Triumphe - in Spanien, den USA und in Lateinamerika - und das Scheitern seiner privaten und intimen Beziehungen zu seinen Liebhabern. Die Gewalt und Brisanz seines Werkes und sein ausschweifendes Leben ließen ihn in die Hände seines Mordkommandos fallen. Eine Opfergabe, zur Drohung und Warnung dargeboten, durch die Hand der, so Gibson, "von dem Dichter kurz zuvor als die schlimmste Bourgeoisie Spaniens bezeichnete, die aus Granada."


Es ist nicht leicht, einen Mythos in Zeichnungen umzuwandeln. Denn jeder erinnert sich an eine bestimmte Geste, an ein Foto, hat ein eindringliches Lächelns des Dichters vor Augen. "Es existiert eine Lorca-Ikonographie", kommentiert Palomo. "Unter diesen Umständen gibt es Dinge, die einfach zu lösen sind und andere weniger. Das erste, was möglich ist, dass man gewisse Züge karikieren kann. In seinem Antlitz existiert eine auffällige Verbindung zwischen seinen Augenbrauen und seiner sehr charakteristischen Stirn. Auch mit seinem Kinn stimmt etwas nicht."


Seine Obsession für soziale Gerechtigkeit zeigte sich deutlich in seinen ersten Schriften, ebenso wie sein öffentlich pronunzierter und notorischer Antifaschismus", so Gibson


Aber das muss für mindestens 600 Bilder ausreichen. "Mit der Variationen dieser Elemente kann man es versuchen", versichert der Künstler. Und auch zwischen den verschiedenen Szenarien, die einen durch ein intensives Leben führen. "Wenn man sein Leben verfolgt und erforscht, erkennst du, dass er sein Leben genossen und die Verhältnisse genutzt hat, um aufs Ganze zu gehen". Und in mancher Beziehung hatte er es nicht leicht, denn "in den ersten Jahrzehnten des XX. Jahrhunderts homosexuell zu sein, war mit vielen Einschränkungen verbunden. Das aber verursacht in ihm Offenbarungen und Fragen, die sein Werk bereichern".


Seine sexuelle Identität war einer seiner ersten Antriebe, die er in seinem kreativen Eifer zum Ausdruck brachte. "Eine zentrale Achse in seinem Schaffen", kommentiert Palomo. Auch wie man sein Auftreten kriminalisiert wurde: "dieses Klima von Chaos und Repression musste auf jeden Fall in unserem Comic deutlich werden". Auch der Spott und die Verachtung, die sich in einer eiskalten düsteren Choreografie zeigte, aber ebenso und gleichzeitig seine Lust am Leben.


Wie das, was er aus seiner Kindheit überliefert hat, als er bei seinen Spielen auf der Straße mit großer Lust Gottesdienste zum Besten gab. Seine Faszination für die Wanderkomödianten, die Marionetten und populäre Musik, ebenso seine Verbundenheit mit der Mystik des heimatlichen Bodens und ländlichen Lebens, dazu hat ihn sein Vater angestiftet. Oder die Jugendzeit in Madrid, unzertrennbar verbunden mit seinen Freunden Salvador Dalí und Luis Buñuel. In Dalí verliebte er sich gründlich, mit ihm verband er das ausschweifende Leben und wahre Leidenschaft. Aber genervt war er von Buñuel, wütend auf ihn, weil dieser ihn durch die Bordelle der Stadt schleppte, um seinen Verdacht, homosexuell zu sein, zu entkräften oder eben - zu bestätigen.


"Wenn man sein Leben und Werk verfolgt und studiert, wird Dir bewusst, dass Lorca jemand war, der sein Leben und seine Begabungen genutzt hat, um sich für alle und alles einzusetzen", so Palomo.


Daneben defilieren auch noch weitere große Komplizen durch die Seiten des Buches: der Komponist Manuel de Falla, der Gitarrist Andrés Segovia, beide wie Lorca tiefverwurzelte Andalusier, die berühmte katalanische Schauspielerin Margarita Xirgu (sie spielte 1927 in der Uraufführung von Lorcas Mariana Pineda in Barcelona - Bühne: Salvador Dalí - und spielte immer wieder in Lorcas Dramen, wie in Yerma oder in La casa de Bernarda Alba). Und seine mehr oder weniger zeitgenössischen Dichterkollegen... Auch einige seiner brennend Geliebten tauchen auf, wie der Bildhauer Emilio Aladrén. Ebenso streifen wir die Orte, die ihn formten und an denen er triumphierte: New York, Cuba, Buenos Aires. Ein Parcours durch seine glänzende magnetisierende Karriere, bevor er in sein Martyrium gestürzt wurde.

Das unbestechliche Einverständnis zwischen Palomo und Gibson hat von Anfang an perfekt funktioniert: "Wir haben uns auf Anhieb verstanden", unterstreicht der Hispanist und Lorca-Experte. "Quique bewunderte Lorca schon vorher, insofern brauchten wir wirklich nicht bei null anfangen. Ich verfasste eine Synopsis von Lorcas Leben und Werk, und er las meine Biografie des Dichters (Anm.: siehe Gibsons Bio-Bibliografie im Anhang). In unseren ersten Sitzungen haben wir beschlossen, viel Gewicht auf die ausgedehnte Kindheit des zukünftigen Dichters in seiner andalusischen Heimat zu legen, der Vega von Granada, der Quelle und Wurzel seiner Welt. Und auf die außerordentliche Vitalität, die es ihm erlaubte in nur zwanzig Jahren (1916-1936) ein sehr vielfältiges Oeuvre zu schaffen, das heute in aller Welt bewundert und erforscht wird."


Abgesehen von den bereits erwähnten Themen betont Gibson weitere: "Seine Besessenheit für soziale Ungerechtigkeit, sichtbar in seinen frühen Schriften und seinem öffentlich pronunzierten und notorischen Antifaschismus. Seine Identifikation mit der muslimischen Kultur und Geschichte Granadas, die 1492 ausgelöscht wurde und von der Lorca glaubte, dass sie ihn gedrängt hatte, sich den damals Verfolgten nahe zu fühlen. Sein Engagement für die Kulturpolitik der spanischen Republik (1931-1936) und deren Programm und die unvergleichliche Kombination von verschiedenen Talenten, einschließlich seiner musikalischen Begabung. Die außergewöhnliche Mischung von Populärem mit Zeitgenössischem in seiner künstlerischen Produktion....", betont der Autor. Mit seinem ständigen Wunsch, sich seinen Lesern aus allen Schichten und Bereichen zu nähern und seiner eigenen Liebe fürs Zeichnen, hätte Lorca diese Verbeugung vor einem solch populären Medium wie einer Graphic Novel sicher sehr gefallen.

 

Notabene I: Schön wäre es, und sie hätte es zweifellos verdient, wenn diese spannend erzählte und kongeniale gezeichnete Graphic Novel des Duos Gibson/Palomo auch auf Deutsch (und in vielen weiteren Sprachen!) erscheinen würde, allein schon deshalb, um die Person, das Werk des Dichters und die Erinnerung an den brutalen Mord an dem damals erst 38-jährigen weiterleben zu lassen.


Notabene II: Nach dem großen Erfolg dieser grafischen Umsetzung von Lorcas Leben und seinem Tod setzten Ian Gibson und Quique Palomo ihre Zusammenarbeit fort: im November 2019 ist ihre Graphic Novel über das Leben des großen spanischen Dichters Antonio Machado (1875-1939) erschienen, ebenfalls ein Opfer des Franco-Faschismus: er starb im Februar 1939 in Collieure, der spanisch-französischen Grenzstadt am Mittelmeer, auf der Flucht in die Emigration, entkräftet, drei Tage vor seiner hochbetagten Mutter, die mit ihm auf der Flucht war.


In Vorbereitung ist eine weitere Graphic Novel, die Gibson und Palomo in Arbeit haben. Sie erzählt von den vier wichtigsten spanischen Lyrikern des XX. Jahrhunderts: Antonio Machado, Juan Ramón Jiménez, Federico García Lorca y Miguel Hernández, die nicht nur durch ihre tiefe Leidenschaft für die Lyrik, sondern auch durch ihr Engagement und als Verteidiger von Freiheit und Demokratie in einen Zusammenhang genannt gehören. Alle vier waren ebenso Opfer des Franco-Faschismus, Lorca ermordet, Machado auf der Flucht an Entkräftung und Pein gestorben, Hernández erst zum Tode und dann mit 30 Jahren Gefängnis bestraft und dort 1942 an Tuberkulose verstarb. Jiménez musste 1936 ins Exil fliehen und starb dort 1958 in Puerto Rico, ohne jemals nach Spanien zurückgekehrt sein können.

 
 

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