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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Der schönste Tag im Jahr...

Aktualisiert: 23. Mai 2023


... für Autoren, Verlage, Buchhandlungen, Leser und Floristen. Die vielen Jahre, die ich in Barcelona gelebt habe, gehörte der 23. April immer zu den höchsten Festtagen des Jahres. Allein schon aus beruflichen Motiven, aber vor allem, weil sich an diesem Tag das mediterrane Leben von einer seiner unbekümmertsten und liebenswertesten Seiten zeigt. Das gerade eben auch in Katalonien, weil vor allem hier der Día de Sant Jordi gefeiert wird, damit der Tag des katalanischen Nationalheiligen, der als der höchste Feiertag des Landes empfunden wird, wenn er auch kein freier Tag im Arbeitsleben bedeutet.


Alljährlich zu diesem Datum – gleichzeitig jähren sich an diesem Tag die Daten der Todestage von Miguel de Cervantes, von William Shakespeare und vom spanisch-katalanischen Autor Josep Pla – feiert man aber eben auch den Tag des Buches. An ihm füllen sich die Straßen Barcelonas und ebenso die aller kleinen Orte Kataloniens mit Bücherständen und Verkaufsständen für Rosen. Allein an diesem einzigen Tag eines Jahres werden in der katalanischen Autonomie zwischen 1,5 und 2 Millionen Bücher verkauft und wird damit um die 10 % des jährlichen Buchgesamtumsatzes abgewickelt, in Ziffern: über 20 Millionen Euro! Ebenso betrifft das den Verkauf von Rosen: am letzten noch nicht durch die Pandemie beeinträchtigten Sant Jordi, also 2020, lag der Verkauf von Rosen an diesem Tag bei 7.000.000! So hoffen alle, die vom Verkauf der Bücher und der Rosen leben, dass diese Rekorde in diesem Jahr zumindest gehalten, wenn nicht sogar übertroffen werden, zumal er auf einen Sonntag fällt. Zum Glück aller ist es auch der erste St.-Georgs-Tag, der seitdem wir die Pandemie hinter uns gebracht haben ohne jede Restriktion abgehalten werden kann. ENDLICH! Nur das Wetter muss natürlich auch mitspielen!


Gutes Wetter ist an diesem Tag fast eine Garantie


Aber eigentlich gilt es als feste Regel, dass an diesem Tag immer ein wunderbares und sonniges Frühlingswetter herrscht. Ich habe ihn aber auch schon mit wolkenbruchartigen Regenfällen erlebt, was dem Treiben aber keinen wirklichen Abbruch abverlangt. Denn so kommen auch die Hersteller von Plastikplanen und die Baumärkte einmal auf ihre Kosten, denn alle Auslagen gehören zum Schutz der Bücher abgedeckt, die dann aber umgehend wieder befreit werden, sobald sich der Himmel wieder gnädig mit dem Volksfest zeigt.


Den Día de Sant Jordi zu feiern hat in Katalonien naturgemäß eine alte Tradition und demonstriert traditionell bis zum heutigen Tag den Anspruch des Landes auf seine Autonomie. Dass aber dieses Datum zum Tag des Lobpreises des Buches erkoren wurde, geht zurück in die Zeit der Zweiten Spanischen Republik der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, also in die Jahre der gerade mal knappen fünf Jahre der Demokratie, die dieses Land bis dahin in seiner Geschichte erlebte hatte, bevor im Juli 1936 der Spanische Bürgerkrieg zwischen den Republikanern und den Faschisten unter General Francisco Franco ausbrach.


Im Zuge seiner bildungspolitischen Aufgaben und Ambitionen in dem damals unterentwickelten Land wollte man die Bevölkerung zum Lesen animieren, gerade auch unter dem Aspekt, dass es in den 30er Jahren noch einen sehr hohen Anteil, um die 30 % , Analphabeten unter der Bevölkerung gab. Schon während des Bürgerkrieges, erst recht nach dem Sieg der Franco-Milizen wurde diese gute Maßnahme eingestellt und lebte erst wieder auf, nachdem Franco 1975 endlich gestorben war und das Land Schritt für Schritt zum demokratischen Leben zurückkehren konnte. Franco und seine Gesellen mochten partout keine Bücher, die Zensoren und mit ihnen die Geheimdienste waren die heimlichen Herrscher des Landes


Die Geburt des Welttages des Buches


Dass aus dem Tag aber ein Welttag des Buches wurde, geht zurück auf das Jahr 1995, als die UNESCO auf Antrag der spanischen, aber der Anregung der katalanischen Regierung diese Idee aufgriff und man seitdem diesen Tag feiert, und zwar in aller Welt jedes Jahr ein bisschen mehr, wie auch die Entwicklung in Deutschland bestens demonstriert.


Aber ich wage zu behaupten, man weiß erst, was diesen Tag wirklich ausmacht, wenn man ihn einmal an seinen Ursprüngen erlebt hat. Darum lade ich Sie herzlich ein zu einem Besuch der Stadt ein, die für 30 Jahre meine Wahlheimat ausgemacht hat: nach Barcelona.


Eine Reise in die Stadt der Bücher und Rosen


Am besten reisen Sie schon am Tag vorher an, denn am Nachmittag des 22-sten werden die vielen Empfänge, Soirées, Cocktails und ausladenden Abendessen vorbereitet. Natürlich beginnen die Vorbereitungen auf den Festtag schon Monate vorher, hierzulande ein Top Day für die Lancierung neuer Titel, vergleichbar mit Deutschland und welche Wichtigkeit hier der Start der Frankfurter Buchmesse auslöst. Aber nirgends im ganzen Land wir in seiner bibliophilen capital Barcelona, neben Madrid die andere Verlagshauptstadt Spaniens. Die beiden Metropolen kämpfen kontinuierlich um ihre Vorherrschaft in diesem Metier, fast wie man es vom Fußball und von der Konkurrenz zwischen Barça und Real Madrid kennt. Katalonien hat die Nase in den vergangenen Jahren vorn, der Anteil der Buchproduktion in dieser Autonomie liegt Jahr für Jahr bei guten 50 Prozent *.


An diesem Tag stellen auf allen Straßen, Plätzen und in allen Gassen die Buchhandlungen, ebenso die Verlage, daneben Schulen und gemeinnützige Organisationen Bücherbuden und -tische auf, und verkaufen von früh morgens bis spät in die Nacht Bücher – in der Regel mit einem Rabatt zwischen 5 % bis 10 % .


Daneben und dazwischen verkaufen Blumenhändler, jene mit festen Ständen wie ambulante Rosen - rote sollten es sein, die mit einer Kornähre und einer Schleife in den rot-gelben katalanischen Landesfarben zu einem kleinen Strauß gebunden werden.


Buch vs. Rose - Rose vs. Buch

Und der Tradition entsprechend schenkt der Mann seiner Frau oder seinem Mann, der Junge seiner Freundin, seinem Geliebten, seiner Mutter, seiner Schwester einen solchen Rosenbund. Und die Frau, das Mädchen ihrem Geliebten, ihren Frauen, ihren Männern, Vätern, Brüdern, Schwestern eben ein Buch. Und längst erlaubt der gesellschaftliche Wandel, der sich in Spanien vollzogen hat, sämtliche anderen zwischen den Geschlechtern denkbaren Verschenk-Varianten.


Dazu organisieren die Verlage an den Bücherständen Signierstunden für ihre prominenten Autoren, für die es immer eine große Auszeichnung ist, eingeladen zu sein, können sie so doch mit ihren Lesern auf Tuchfühlung gehen. Und am Ende des Tages wird das Ranking bekanntgegeben: welcher Autor, welche Autorin, welcher Verlag hat die meisten Bücher verkauft, wie gesagt, es fallen dann gut du gerne mal ein paar tausend auf jeden Kopf an, die Signierenden verweilen eine halbe Stunde an einem Stand und werden schnellstmöglich an den nächsten chauffiert. Also viel Hektik gehört an diesem Tag für die Akteure auch dazu. Aber die Egos der Literaten und Literatinnen kommen so auch auf ihre Kosten. Allerdings gehören die Schicksale manchen Mauerblümchens auch dazu…

Auf den Straßen ist kein Durchkommen, dennoch herrscht eine fröhliche und ausgelassene Stimmung. Und – wie gesagt - in der Regel nimmt der Schutzheilige seinen Auftrag durchaus ernst und beschenkt die Katalanen mit gutem Wetter Die Sonne im April hat schon viel Kraft und der Himmel in dieser Jahreszeit strahlt in diesem unvergleichlichen mediterranen Azurblau.


Wenn Sie unseren Reisetipp in die Tat umsetzen sollten, hier noch ein guter Rat am Ende: Gehen Sie am Morgen des 23. April ganz früh - noch vor dem Hellwerden - auf die Straße oder gar nicht erst ins Bett. Wenn in den letzten Stunden der Nacht und in den ersten des neuen Tages überall in der Stadt die Büchertische und Blumenstände aufgebaut werden, herrscht eine wunderbar emsige und aufgeregte Atmosphäre. Die ersten Büchernarren streichen dann schon um die Bücherstapel. Es ist noch etwas kühl, der Duft frischen Kaffees und frisch gebackener Croissants strömt schon aus den Cafés und lockt zu einem mediterranen Frühstück.


Sie werden den Tag nicht vergessen, auch wenn Sie abends matt in Ihr Hotelbett fallen. Denn das Schlendern, das Straßenpflaster und das Geschiebe zwischen den Massen fordern einen schweren Tribut.


Aber vielleicht steht auf Ihrem Nachttisch eine rote Rose und Ihre Reisebegleitung hat Ihnen ein schönes Buch geschenkt. Und Sie umgekehrt vielleicht auch? Das ließe dann einen erlebnisreichen Tag in der Stadt der Bücher und Rosen glücklich ausklingen.


Können Sie nun verstehen, warum ich an diesem Tag Wehmut empfinde und mich eine gehörige Portion Heimweh nach meiner Wahlheimat von 30 Jahren überkommt?

 

* Wer mehr über die Eckdaten des spanischen Buchmarktes erfahren möchte, bekommt hier interessante Daten an die Hand: https://es.statista.com/sectores/1178/tema/1544/mercado-editorial/.

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.


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