… überkommt einen jedes Mal, wenn man sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf der asphaltierten Route hinter dem östlichen Weserdeich zum Denkort Bunker Valentin in Bremen-Farge aufmacht, und sich ganz plötzlich hinter den stattlich hohen Bäumen in seinem schmutzigen Grau der noch viel mächtiger in die Wolken ragende Betonkoloss vor einem auftürmt. Ich bin jedes Mal über die räumlichen Ausmaße dieses Relikts aus dunklen Bremer und deutschen Zeiten erschrocken.
Es ist nun schon wieder eine längere Zeit her, Anfang des Sommers, Anfang Juni war es, dass ich mich auf die Fahrt mit meinem E-Dreirad dorthin auf den Weg gemacht hatte. Die Ankündigung der Vernissage einer Fotoausstellung, besser einer Fotoprojektion, im Bunker war der Grund. Es sollten Fotos von der in den Niederlanden geborenen, schon seit vielen Jahren in Deutschland lebenden Künstlerin und Foto-Designerin Annet van der Voort im Inneren des Bunkers zu sehen sein, die sie von den nach wie vor massiven an Europas Westküsten existierenden Überresten der Ruinen des sogenannten Atlantikwalls gemacht hat.
Der ‚Atlantikwall‘
Nachdem das nationalsozialistische Regime mit seinen Truppen im Zweiten Weltkrieg Westeuropa okkupiert und diese Länder annektiert hatte, begann es 1941 damit, entlang seiner gesamten Westküste als Wehr gegen die zu erwartenden Angriffe der Alliierten den Atlantikwall zu errichten. Er sollte eine Kette von Bunkern und einer entsprechenden Infrastruktur bilden, wie Waffen- und Munitionslagern, Lazaretten, Baubüros, Unterkünfte für die zehntausenden von Arbeitern, der Großteil Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge, Kriegsgefangenen. Nach einer Untersuchung des französischen Historikers Alain Chazette arbeiteten allein in Frankreich 291.000 Menschen am Atlantikwall, darunter 50.000 Zwangsarbeiter.
Der ganze Wall hatte am Ende eine Gesamtlänge von 6000 Kilometern. Er reichte von der nördlichsten Spitze Norwegens hinunter über die Küsten von Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, den britischen Kanalinseln bis hin zur Küste Frankreichs, bis direkt an die französisch-spanische Grenze im Baskenland.
Bei einem Sommerurlaub in der Bretagne vor mittlerweile schon einigen Jahren besuchten wir den monströsen U-Boot-Bunker von St. Nazaire an der Loire-Mündung 60 km vor Nantes, der heute ebenfalls als Denkort erhalten und betrieben wird. Erschütternd ohne Zweifel seine Größe, um ein Vielfaches mächtiger als der Bunker Farge, die den Besucher hier schon bei der Besichtigung erschreckt. Aber mit dem großen Unterschied, dass der Farger Bau niemals zu Ende gebaut worden wurde. Glücklicherweise verhinderte das Kriegsende dessen Vollendung.
Der Bunker St. Nazaire bildete die Operations-Basis des U-Boots U 96 der Kriegsmarine, das man aus dem Roman »Das Boot« von Lothar-Günther Buchheim kennt. In der Verfilmung mit dem gleichen Titel von Wolfgang Petersen bildet allerdings der ebenfalls noch existierende Bunker von La Rochelle die Kulisse, der noch einmal knapp doppelt so groß wie der von St. Nazaire.
Im Jahre 1994 beschloss die Stadt Saint-Nazaire, das brachliegende Bunkerareal unter Beibehaltung der historischen Bauten zu einem Standort für verschiedene Museen umzubauen.
Zurück in Farge
Die Ausstellung im Denkort Bunker Farge wurde am 6. Juni mit einem fast einstündigen Gespräch eröffnet, zwischen Annet van der Voort, der wissenschaftlichen Co-Leiterin des Denkorts, Dr. Christel Trouvé und der Kulturwissenschaftlerin Carla Frese, seit einigen Jahren freiberuflich am Denkort tätig. Dabei beschrieb die Künstlerin das Projekt, die Geschichte des ‚Atlantikwalls‘ und seinen heutigen Zu- und Bestand.
Aber vor allem, wie sie – streng genommen eher durch Zufall - zu diesem Vorhaben ihrer Fotos der Ruinen dieses irrwitzigen Wahnsinnsbauvorhabens gekommen ist. Der 4. August 1944, dem D-Day in der Normandie, läutete den Beginn des Endes von The Wall und das endgültige Aus des Naziterrors in Europa ein, der ‚Atlantikwall‘ hatte nicht gehalten, er war überrannt worden. Aber auch das wieder nur zum Preis von grausig hohen menschlichen Verlusten.
Während des einführenden Gesprächs lief über den Köpfen der drei Gesprächsteilnehmerinnen die großflächige Reproduktion von Voorts Fotografien. Leider waren nur recht wenige Besucher zu dem spannenden Gespräch gekommen. Der gesamte Diskurs wurde aufgezeichnet und kann auf der Homepage des Denkorts angehört und heruntergeladen werden. (Siehe auch unten bei den Weblinks.)
Die Bilder faszinieren, es geht von ihnen eine unheimliche Stille aus, die Projektion wird untermalt von andauerndem Meeresrauchens. Ich habe nicht mitgezählt, aber ich habe fast den Eindruck, als würde die gleiche Zahl der Fotos an die Wand geworfen, die auch in dem opulenten illustrierten Fotoband versammelt sind, der im Bunker ausliegt. Wenn nicht, dann war es aber ohne Zweifel deren allergrößter Teil.
Aber sehr schade, dass der Beamer die hochwertigen Fotografien von Annet van der Voort, deren Originale in ihrer Farbigkeit zwar schon auch verhalten gehalten sind, aber keineswegs blass erscheinen. Einmal schien mir seine Leuchtkraft etwas schwach auf der Brust, aber vor allem hatte man die großen Wände im Innern des Bunkers nicht angemessen präpariert, auf die der Projektor die Bilder warf. Deren weiße Farbe war verschmutzt, schon eher bleich, sie boten keinerlei Reflex, so dass die Bilder einiges, streng genommen sträflich viel, von ihrer Eindrücklichkeit verloren haben. Den Vergleich konnte man im Foyer des Denkorts unmittelbar anstellen, denn da lag das exzellent vom Berliner Distanz Verlag (in englischer Sprache) produzierte Buch The Wall aus, in dem die Ausdruckskraft der Arbeiten der Künstlerin deutlich werden. Insgesamt zeigt der umfangreiche Band eine Auswahl von guten 150 Bildern. Ich bleib dabei, eine Reflex-Leinwand hätte die Projektionen optimal wiedergegeben. Wie gesagt, schade.
Ich kann mir schon vorstellen, dass man das seitens der Kuratoren die Gestaltung der Projektion bewusst so gewählt hat, um jedweden Hochglanz in dem düsteren Ort zu vermeiden. Dennoch bleibe ich dabei, man wird der künstlerischen Qualität der Bilder der Künstlerin nicht im vollen Umfang gerecht.
Trotz dieses Einwands bleibt der Besuch dieser Ausstellung in eindrucksvoller Erinnerung, und dabei wie immer des Geländes und des Bunker-Kolosses überhaupt. Und für jeden und jede, glaube ich, der oder die es damals erleben durfte, tauchen eindringliche Erinnerungen an die legendäre Theaterproduktion von 1999 im Bunker Valentin von Johann Kresnik (1939 - 2019) des monumentalen Dramas »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus vor ihren Augen auf.
Beifang:
Weblinks:
· Homepage | Annet van der Voort: https://annetvandervoort.com/de/
· Homepage | Denkort Bunker Valentin: https://www.denkort-bunker-valentin.de/
· Download Gespräch Vernissage: https://youtu.be/Lv4VRqiKneQ?feature=shared
· Download des Flyers der Ausstellung: https://bit.ly/4dv7TGY
· Erinnerung an Kresniks »Die letzten Tage der Menschheit«: https://bit.ly/3A9toyx
Reaktionen:
»Vielen, vielen herzlichen Dank für den wunderbaren Text! Ich habe mich wirklich sehr darüber gefreut. Und bestimmt werden dadurch mehr Besucher kommen.« - Annet van der Voort - Drensteinfurt
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