top of page
AutorenbildGuenter G. Rodewald

Eine weitere Neustädter Kindheit

Aktualisiert: 15. Nov. 2020


Bei den Recherchen zu meinem BLOG-Artikel "Eine Kindheit in Huckelriede - Erinnerungen an eine unbeschwerte Zeit" stieß ich auf eine Bremensie, verfasst von Norbert Sonntag mit dem Titel "Als wir noch draußen spielten - Eine Bremer Kindheit an der Weser", die im Bremer Kellner Verlag erschienen ist, und die sich ebenfalls mit einer Kindheit in den gleichen Jahren wie meiner beschäftigt. Nicht nur, dass ich darüber stolperte, dass da jemand über das gleiche Thema wie ich etwas geschrieben hatte, auch bei dem Namen des Autors stutzte ich. War ich doch mit jemandem gleichen Namens zur Schule gegangen, auf das Alte Gymnasium in der Dechanatstraße, hatte sogar mit ihm zusammen, wenn auch in verschiedenen Klassen, Ende der sechziger das Abitur gemacht.


Jetzt habe ich das Buch in Händen, finde auch im Archiv des Weser-Kurier ein Porträt des Autors, und natürlich - das ist der Norbert, den ich kenne.


Umso neugieriger war ich auf die Geschichten, die er von seiner Kindheit zu erzählen hat, und lese, da sind sehr viele Parallelen zu meinen Erlebnissen in den fünfziger Jahren, begleitet von manch ähnlichen Sozialisierungserscheinungen, die diese Generation derjenigen erfahren hat, die bereits in die junge Republik hineingeboren wurden, aber durchaus noch die Folgen der Zerstörungen des Weltkrieges vor Augen hatten, ohne sie schon begreifen zu können, die aber diese Zeiten wohl alle bereits ohne Hunger erleben durften.

Das Buch

In seinem Vorwort enthüllt Sonntag das Motiv, warum er dieses Buch zu schreiben in Angriff genommen hat: es sind die Geschichten aus seiner Kindheit, die er seiner Tochter immer gerne erzählt hatte, wenn er sie zu Bett brachte. Und die auch ihm guttaten, weil sie ihm seine Erinnerungen wieder ins Bewusstsein brachten.


Das Leben bei ihm zuhause lief in für die fünfziger Jahre so typischen Weise ab: der Vater ging seiner Arbeit nach, verdiente das Geld für die Familie, die bis 1953 noch zusammen mit den Grosseltern in der vorderen Neustadt in der Rückertstraße in eher beengten Verhältnissen lebte. Aber dann doch bald in das neue, auf den Ruinen des Krieges errichtete Viertel zwischen der Kleinen und der Großen Weser in eine Wohnung einer dieser Reihenhäuser zogen, die den neuen Bewohnern damals mit ihrem "Luxus" wie wahrhafte Paläste erscheinen mussten.


Die Mutter war zuständig für das Großziehen der Kinder, neben Norbert waren das sein Bruder Martin und bald auch seine Schwester Katharina. Und darüber oblag ihr das gesamte Management des Haushalts, das damals um ein Vielfaches mehr an Aufwand bedeutete als zwei Dezennien später oder erst recht heutzutage.


Den Kindern standen die noch wenig befahrenen Straßen, die Gärten der Werder-Halbinsel, der Badestrand an der Weser, die Trümmergrundstücke zum Spielen zur Verfügung, überhaupt gab es viel mehr Kinder als später oder heute, im Winter diente der "Schwarze Berg" am Hang der "umgedrehten Kommode", dem Wasserwerk zum Schlittenfahren.


Sonntag erzählt so viele Geschichten, die auch in mir die Erinnerungen wachrufen, manche vergessene, manche, an die ich mich auch schon immer und gerne erinnere, ob das die Geschichten um Großeltern, vor allem des Großvaters sind, die Familienausflüge, die man zu Fuß unternahm, ein Auto gab es ja noch nicht, die neuen Teile für die elektrische Eisenbahn an Weihnachten, die Besuche und das Leben bei und mit den Großeltern auf deren Parzelle.


Und irgendwann tat sich dann auch etwas von der großen Stadt auf: Norbert besuchte die katholische Grundschule St. Johann, gewissermaßen in Sichtweise des Elternhauses in Werrastraße, nur getrennt durch die Weser, aber doch schon drüben in der Altstadt, der Schulweg zwar deshalb recht kurz, aber auf dem auch auf die Kürze Blödsinn zu machen möglich gewesen sein mag. Als es dann aufs Gymnasium ging, blieb das in fast identischer Nähe, denn das Alte Gymnasium grenzt ja dicht an die Johannesschule.

Vater Sonntag mit seinen Söhnen da, wo bald die Neustadter Häfen zu finden sein werden

Die Erzählungen - so schlicht wie sie geschrieben sind, aber damit entsprechen sie bestens dem Anspruch als Vorlesegeschichten - machen einfach viel Spaß zu lesen, weil Sonntag in ihnen eine Zeit aufblühen lässt, die nur ein halbes Jahrhundert zurückliegt, aber doch so verschieden zu der heutigen zu sein scheint. Man entdeckt, dass unsere Phantasie ausreichte und die eher wenigen ökonomischen Ressourcen es nicht verhinderten, dass wir damals eine äußerst lebendige, aufregende und entdeckungsfreudige Kindheit verleben konnten und es uns an sehr wenig fehlte.


Die vielen schwarz-weißen Fotos, die aus dem privaten Archiv des Autors stammen, illustrieren die Anekdoten auf lebendige Weise und tragen ihrerseits effektiv zu den Assoziationen an die eigene Kindheit bei.


Dass dann unsere Jahre der Pubertät durchaus danach noch in die restriktiven Jahre der bundesrepublikanischen und weiterhin kleinbürgerlichen Restauration fielen und uns das Leben dann doch erschwerten, ist ja nicht das Thema dieses Bändchens. Und außerdem ist es ja den meisten von uns gelungen, uns recht weitgehend auch davon zu befreien und mit neuer Phantasie uns in den dann folgenden Jahren viele aufregende Erlebnisse zu bescheren.

 

Norbert als Amor und ich in "Der Arzt wider Willen" - 1965, Aula des Alten Gymnasiums

Natürlich werde ich versuchen, Kontakt zu Norbert aufzunehmen, um ihm diese Rezension zu schicken, aber auch, um ihm das nebenstehende Foto zu zeigen, das ich wiederum in meinem Fundus wiederentdeckt habe und auf dem der Autor in der Rolle des Amor in einer Theateraufführung von Molieres Komödie "Der Arzt wider Willen" zu sehen ist, die wir 1965 in unserer Schule aufgeführt hatten. Vor ihm wiederum stehe ich in der Rolle des Dieners Géronte. Der arme Norbert - er musste den ganzen zweiten Akt, halbnackt, ohne sich zu bewegen, mit dem Bogen und dem Pfeil im Anschlag auf dem leicht wackeligen Podest ausharren. Aber immerhin hat er dafür Applaus auf offener Szene erhalten.

 

Norbert Sonntag: "Als wir noch draußen spielten - Eine Bremer Kindheit an der Weser", Kellner Verlag, 2. Auflage 2017 - 136 Seiten - 56 s/w-Fotos des Autors - € 12,90 - ISBN 978-3-95651-140-0

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info - Ich freue mich über jede Reaktion.

90 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page