Schon viele Jahre begleiten mich die Bücher und die Person von Friedo Lampe (1899-1945), einem Bremer Autor und Verlagslektor, der aufgrund seines recht frühen - dazu tragischen - Todes und wegen der Drangsale durch die Nazidiktatur ein eher kleines Werk hinterlassen hat, der aber zur Zeit eine erfreuliche Renaissance erlebt.
Unter anderem durch die löbliche und sehr geschmackvoll edierte Neuerscheinung seines bekanntesten Romas "Septembergewitter" im Wiener Milena Verlag. Die neue oder wiederholende Lektüre dieser Ausgabe wird für den Leser umfangreich, verständlich und sehr verständig durch ein Nachwort des Bremer Kulturredakteurs Hendrik Werner ergänzt.
Fast zeitgleich erschien im Göttinger Wallstein Verlag eine zweibändige Ausgabe von Briefen, Zeugnissen und Texten von Friedo Lampe, herausgegeben und gewissenhaft kommentiert durch den Literaturwissenschaftler Thomas Ehrsam (*1954), eine mit spürbar grosser Begeisterung entstandene Publikation, mit vielen unbekannten und unveröffentlichten Texten und Fotos und Abbildungen (in Band 2) ausgestattet. Nur wenige Verlage erlauben sich heute noch wie jetzt der Wallstein Verlag solche Ausgaben, die aber andererseits ohne die Unterstützung durch Institutionen wie in diesem Fall durch die Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz auch gar nicht möglich wären. Ein verlegerisches Juwel.
Im Wallstein Verlag ist ebenso eine Biografie von Friedo Lampe annonciert, die voraussichtlich im kommenden Jahr erscheinen wird, und die den Bremer Johann-Günther König zum Autor haben wird. (Anm. 30.11.2020: Friedo Lampe · Die Biographie von J.-G. König ist seit heute lieferbar! - www.wallstein-verlag.de)
Ich zitiere hier zu der Publikationsgeschichte von Friedo Lampes Werk zu seinen Lebzeiten und in den Jahren danach einen Auszug der Ausführungen des Literaturwissenschaftlers Lars Koch in seinem Aufsatz über Friedo Lampe in der Anthologie „Im Schatten der Literaturgeschichte - Autoren, die keiner mehr kennt?“:
„Sein erster Roman ‚Am Rande der Nacht‘ wurde kurz nach der Veröffentlichung im Herbst 1933 von den Zensurbehörden des NS-Regimes aufgrund der in ihm enthaltenen Darstellungen männlicher Homosexualität sowie anderer, den rassehygienischen Normen der neuen Regierung zuwiderlaufenden Tendenzen verboten. Sein zweiter Roman ‚Septembergewitter‘ kam dann im Jahre 1937 zu spät in die Buchläden, um noch am einträglichen Weihnachtsgeschäft partizipieren zu können und fand so kaum eine größere Aufmerksamkeit. Die Druckfahnen seines dritten Buches, der Novellensammlung ‚Von Tür zu Tür‘, wurden bei einem Luftangriff auf Leipzig im Jahre 1944 kurz vor dem geplanten Starttermin des Verkaufs vollständig zerstört.
Trotz dieser desaströsen Veröffentlichungsgeschichte hatten Lampes Texte einigen Einfluss auf andere junge Autoren der dreißiger und vierziger Jahre, die wie Lampe selbst den politischen und kulturellen Vorstellungen der Nazis prinzipiell fernstanden, aber nicht den Weg in die Emigration antraten, sondern mit ihren ersten publizistischen Versuchen innerhalb des zumindest bis 1939 noch nicht gänzlich geschlossenen literarischen Feldes des deutschen Marktes eine Nische zu behaupten trachteten und dann nach dem Ende des NS-Terrors zu führenden Vertretern der deutschen Nachkriegsliteratur avancierten.
So beriefen sich unter anderen Autoren wie Alfred Andersch, Peter Härtling und Hans Bender in ihren ästhetischen Programmen ausdrücklich auf Lampe. Wolfgang Koeppen nannte sein Werk 1957 gar ‚ein Lehrbuch für junge Schriftsteller‘ und verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass es ‚zum Bleibenden der deutschen Literatur‘ zählen werde.“
Nicht unterschlagen sollte man bezüglich des Bemühens um die Renaissance des Werkes von Lampe das Engagement des Bremer Autors und Übersetzers Jürgen Dierking (1946-2016), der sich über viele Jahre für die Wiederbelebung des Schaffens von Friedo Lampe verdient gemacht hat; sein Einsatz gipfelte in der Gründung der Friedo-Lampe-Gesellschaft, zu der manche ebenso an der Revitalisierung des vergessenen und unterschlagenen Autors Interessierte und Engagierte dazustiessen, aber die dann irgendwann ihren "Geist" aufgegeben hatte. Dierking war seinerseits auch damit befasst, eine Lampe-Biografie zu schreiben, die ebenso bei Wallstein erscheinen sollte, deren Vollendung dann aber Dierkings plötzlicher Tod im Sommer 2016 vereitelte.
Bereits 1968 produzierte Radio Bremen unter der Regie von Rainer Wolffhardt (1927-2017) einen TV-Spielfim nach „Septembergewitter“ (siehe: IMDb), der leider in den Archiven versunken ist. Jedoch scheint es jetzt gelungen, den Film am 15.11.2018 erstmalig wieder zur Aufführung zu bringen: „Die – einstweilen – einmalige Vorführung verdankt sich einer Initiative des Kriminologen Johannes Feest. Er schätzt die letzte Aufführung des Werks von Rainer Wolffhardt auf das Jahr 2002. Ein 'kleines filmisches Juwel' nannte es seinerzeit der Kulturjournalist Wilfried Hippen – und verglich die Staccato-Ästhetik des Buches und dessen Adaption mit Robert Altmans genialisch geschnittenem Episodenfilm 'Short Cuts' (1993).“ - WK vom 23.10.2018.
Aus ganz speziellem Grund erinnere ich mich an diese Produktion auch deshalb, weil meine Mutter damals als Statistin mitgewirkt hatte, ich glaube, in einer Szene in der "Meierei" im Bremer Bürgerpark war sie zu sehen. Natürlich auch dieses ein gewichtiger Grund mehr, mir den Film jetzt wieder anzusehen!
Im Jahre 2003 gab es auch eine zweiteilige Hörspielversion von „Septembergewitter“, ebenfalls eine Produktion von Radio Bremen; leider kann man diese zur Zeit nirgends nachhören oder downloaden, aber vielleicht kann man die ARD-Sender dazu animieren, die aufwendige Produktion einmal in einem oder mehreren ihrer vielen Sender zu wiederholen (mehr Info).
Es gab 1999 auch eine Audio-CD mit Texten von Lampe im Wallstein Verlag. Sie ebenso produziert von Radio Bremen, herausgegeben vom Bremer Autor Michael Augustin. Leider ist auch sie nicht mehr im Handel zu finden. Sehr schade. Rolf Michaelis schrieb seinerzeit treffend über sie in DIE ZEIT: „Das Schönste: Lampe ist endlich auch zu hören. Peter Kaempfe liest mit unaufdringlicher Virtuosität und kräftigen Passagen in Bremer Platt Ausschnitte aus Lampes Roman. In der Produktion von Radio Bremen sind dazwischengeschobene Erinnerungen des Verlegers Henssel und der Autoren Hans Bender und Peter Härtling. So wird wahr, was Wolfgang Koeppen an Lampes Werk gerühmt hat: ‚Voll von Lesefreuden. Es zählt zum Bleibenden der deutschen Literatur.‘“
Ich persönlich freue mich darüber, dass ein Leserbrief von mir vom 2. April 2016 in der Bremer Tageszeitung Weser-Kurier ernst genommen wurde, mit dem ich vorschlug, an der Universität Bremen eine Friedo-Lampe-Professur einzurichten, wie ein anderes schönes Beispiel vorführt, nämlich die Brüder-Grimm-Poetikprofessur der Universität Kassel, die 2016 an Sven Regener vergeben wurde. Zumindest wurde mein Brief so ernst genommen, dass der oben bereits erwähnte Hendrik Werner ihn zum Anlass nahm, einen langen Artikel in seiner Zeitung über Lampe zu schreiben. Und in seiner Zeitung auch immer wieder auf den Autor und seine Werke hinzuweisen.
Unter Umständen könnte es einen guten Sinn ergeben, die neuen vielseitigen Initiativen und Geschehnisse um die Wiederbelebung des Bremer Schriftstellers zum Anlass zu nehmen, die Friedo-Lampe-Gesellschaft wieder neu aufleben zu lassen, die sicher wirksam ihren Einfluss geltend machen könnte, Friedo Lampe einen grösseren Raum im kulturellen Bewusstsein der Hansestadt zu geben als das bislang geschehen ist, wo es bis dato nur zu einer wenige hundert Meter langen Sackgasse in Bremen-Oberneuland gereicht hat, die seinen Namen trägt.
Neben der Idee einer Gastprofessur oder der Stiftung durch den Senat der Stadt eines nach ihm benannten Literaturpreises, könnte eine weitere bedeuten, Lampe ein Denkmal auf der Krone des Osterdeichs zu errichten, auf Höhe des Hauses Nummer 86, in dem Lampe mit seiner Familie von 1914 bis 1920 gelebt hat. Vielleicht eine Büste, wie sie von Admiral Brommy in Knoops Park am Ufer der Lesum steht: Friedo Lampe hätte dann den Blick über Bremens Weser, wie er ihn sicher manches Mal aus seinem Elternhaus über den Fluss geworfen hat. Oder in der Nähe am Körnerwall, wie Hendrik Werner im Weser-Kurier vom 30.11.2016 vorschlug, um ihn dort gegen die Statue des „pathetischen Kriegstreiber“ Theodor Körner auszutauschen, wie Werner diesen wohl aus gutem Grund darstellt.
Das wäre eine Wiedergutmachung für die gewaltsame Einflussnahme, die das Nazi-Regime seinem Werk angetan hat - nicht nur durch seine Zensur, sondern auch durch die Anzettelung eines unseligen Weltkrieges, als Friedo Lampe nur ganz wenige Tage vor dessen Ende am 2. Mai 1945 in Kleinmachnow bei Berlin von einer sowjetischen Militärpatrouille auf der Straße erschossen wurde, weil man ihn irrtümlich und irrwitzerweise für einen SS-Mann oder einen "Werwolf" gehalten hatte.
Bild links:
Osterdeich Nummer 68 © Google Maps
Download: Friedo Lampe im Weser-Kurier
Download: Friedo Lampe in DIE ZEIT
Anmerkung:
Am 2. November 2018 und 19:30 h liest die Schauspielerin Manuela Weichenrieder in der Logbuch Buchhandlung (Vegesacker Straße 1, 28217 Bremen - www.logbuchladen.de) aus "Septembergewitter".
Am 15. November 2018 um 17:00 h zeigt das City46 (Birkenstraße 1, 28195 Bremen - www.city46.de die 1968 von Radio Bremen produzierte TV-Verfilmung von "Septembergewitter" in der Regie von Rainer Wolffhardt.
Am 7. März 2019 stellt in der Buchhandlung Storm (Langenstrasse 11, 28195 Bremen - https://storm-bremen.buchhandlung.de) die zwei Bände "Friedo Lampe - Briefe und Zeugnisse" ihr Herausgeber Thomas Ehrsam vor, zusammen mit dem Verleger des Wallstein Verlages, Thedel von Wallmoden.
Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info - Ich freue mich über jede Reaktion.
Von Johann-Günther König, ebenso sehr verdient um die Wiederbelebung von Friedo Lampe, bekomme ich einen ergänzenden Kommentar zugeschickt, den ich hier gerne wiedergebe:
Vielen Dank für die Info, lieber Guenter,
Ich möchte zu Ihrem Blog-Text eine Anmerkung machen, und zwar zur "Wiederentdeckung" von FL, dessen Biografie ich gerade für den Wallstein Verlag verfasse:
1985 eröffnete sich im Rowohlt Verlag, bei dem ich (auch) veröffentliche, die Chance, das Gesamtwerk erneut herauszugeben. Die Chance entstand, weil Jürgen Dierking und ich damals für Radio Bremen / Heimatfunk eine 60-minütige Sendung "Zum 40. Todestag des Bremer Schriftstellers Friedo Lampe" geschrieben hatten. Wir beide haben seit 1985 - nicht zuletzt durch die 1995 erfolgte Gründung der Friedo-Lampe-Gesellschaft, zu deren Mitbegründern ich gehöre - im Übrigen…