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Ganz, sogar sehr nah

Autorenbild: Guenter G. RodewaldGuenter G. Rodewald
Ausschnitt des Covers der Graphic Novel »Un ricordo indelebile« (Eine unauslöschliche Erinnerung)
Ausschnitt des Covers der Graphic Novel »Un ricordo indelebile« (Eine unauslöschliche Erinnerung)

4. Februar 2025 - »Eine Annäherung«, diesen Untertitel gibt Ulrike Petzold ihrer im vergangenen Herbst bei der Edition Temmen erschienenen Biografie des Offiziers der Handelsmarine, des Kapitänsleutnants in der Kriegsmarine, des Ingenieurs, Architekten und des am Ende seines Lebens zum Widerstandskämpfer gewordenen Rudolf Jacobs. Am 26. Juli 1914 in Bremen geboren und am 3. November 1944 bei einer Aktion der Partisanen gegen Faschisten der Brigate Nere und gegen Soldaten der deutschen Wehrmacht, in der italienischen Kleinstadt Sarzana in Ligurien erschossen. Die Brigate Nere, die Schwarzen Brigaden, waren eine paramilitärische Kampforganisation der Partito Fascista Repubblicano, die als die brutalste Gruppierung galt, die der italienische Faschismus hervorgebracht hat.


Von wegen Annäherung


Man kann diesem tapferen Mann wohl kaum näher kommen, als dass der Autorin mit ihrem spannend zu lesenden und mit vielen schwarz-weiß- und Farbillustrationen ausgestatteten Feature gelungen ist. Nicht zu übersehen, zu überlesen (bzw. zu überhören) ihre schriftstellerischen Wurzeln als Radioredakteurin. Man hat das Gefühl, man höre ihr zu, wenn man das Buch liest. Petzold lässt keine Fährte aus, um dem Leben und der mutigen, lebensbedrohlichen Entscheidung von Rudolf Jacobs so dicht wie nur irgend möglich zu folgen und ihm nahezukommen.


Petzold hat sehr viele von Jacobs' Zeitzeugen aufgespürt, sei es in der Jacobschen Familie wie unter den Veteranen der Resistenza in Italien selbst oder den Nachfahren der Partisanen, denen sich Jacobs angeschlossen hatte, als er trotz seines hohen Postens in der Wehrmacht 1943 desertiert war, angesichts der Kriegsverbrechen der deutschen Besatzungstruppen der SS und der Wehrmacht, deren Zeuge er werden musste.


L’asalto alla tana del lupo


Rudolf Jacobs und sein Adjutant Johann Fritz schlossen sich den Partisanen der Garibaldi-Brigade »Ugo Muccini« an. Sehr bald fand er hohe Anerkennung unter seinen Partisanen-Kameraden und Kameradinnen. Sein Tarnname war »Primo«, also der »Erste«, obwohl er sehr bald von allen - in Italien bis heute - nur noch »Comandante Rodolfo« genannt wurde. Nach verschiedenen erfolg-, aber immer auch verlustreichen Aktionen seiner Gruppe, leitete Jacobs am 3. November 1944 einen Angriff in der ligurischen Kleinstadt Sarzana, etwa 15 Kilometer Luftlinie östlich von La Spezia gelegen, auf das zentrale Hotel des Ortes, die Villa Laurina, in das sich die deutschen Besatzungstruppen einquartiert und es sich als ihr Kasino einverleibt hatten.


Ulrike Petzold schreibt (S. 68-69):


»1944 ist dieser Bau einer der finstersten Orte der Region: Hier residiert das Kommando der Schwarzen Brigaden. Geiselnahme, Verhöre, Folter und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Hinter Stacheldraht, spanischen Reitern und Anti-Personen-Minen kommandiert ein Offizier der RSI, der Repubblica Sociale Italiana. Er ist berüchtigt für seine Grausamkeit. Eines Tages setzen sie vierzehn Geiseln fest, die meisten Verwandte von Partisanen. […] Für Jacobs, seinen Freund Fritz, ist dies der Moment, den Angriff auf die Faschisten-Zentrale zu wagen 'L’asalto alla tana del lupo‘, den ‚Überfall auf die Höhle des Wolfes‘. Nicht nur einmal haben Partisanen versucht, das verhasste Haus zu zerstören, bisher vergeblich. Nun soll der erneute Angriff der Auftakt sein zur Befreiung von Sarzana, ein hoch symbolisches Ziel für die Resistenza.«


Jacobs, Fritz, drei Partisanen aus Sowjetrussland und fünf Italiener griffen das Laurina an, aber der Überraschungsangriff misslang. Jacobs wurde als einziger seiner Gruppe erschossen, neben ihm starben zwei Soldaten der Faschisten.


Seine Familie, das waren seine Frau Herta, mit der Rudolf sich 1938 verheiratet hatte, und seine beiden Söhne Rudolf und Wilhelm, dieser geboren zwei Jahre nach Rudolf, erfuhren erst im Februar 1957 von seinem Tod.


Gedenken an Jacobs


Wir begleiten Petzold auf ihren diversen Reisen nach Italien, speziell nach Sarzana, um sich dort mit bihr auf die Spuren von Jacobs zu machen. Dort sind der »Comandante« und natürlich die gesamte Geschichte des Fascismo und der Resistenza und die Erinnerung an die Opfer und die Grausamkeiten der faschistischen italienischen Armee und der deutschen Wehrmacht sehr präsent und werden gepflegt. Das erzählt Petzold auch hier in sympathischer Ausführlichkeit. Überhaupt erfährt man viel und detailliert manches aus der Widerstandsgeschichte Italiens.


Aber auch in Bremen stechen zwei Initiativen hervor, die an Rudolf Jacobs erinnern, einmal die Internationale Friedensschule Bremen in Vegesack und zum zweiten das Hermann-Böse-Gymnasium in Bremen, die Schule, die Jacobs selbst von 1925 bis 1932 besucht hatte. Damals hieß sie noch Realgymnasium. Schüler der Schule haben in einer Arbeitsgruppe dort vor ein paar Jahren, übrigens zusammen mit Ulrike Petzold, die Geschichte ihres früheren Mitschülers ermittelt und sind sogar in diesem Zusammenhang nach Sarzana gereist. Auch dieser Recherche widmet Petzold ein interessant zu lesendes Kapitel ihres Buches. (Siehe dazu unten die Weblinks.)


Eine Bremensie


Manchmal hat man das Gefühl, Publikationen, die in den Buchhandlungen und Bibliotheken und dort in den Regalen als Bremensien zu stehen kommen, gibt es kaum noch, sie werden in jedem Fall immer weniger. Eine Sparte im Bremer Buchhandel der früheren, wenn auch noch nicht so lange vergangenen Jahren, durch die dieser immer wichtige Einkünfte erwirtschaftete. Aber Ulrike Petzolds Buch wird eben auch solchen speziell Bremer Leserinteressen gerecht: sie erzählt viel über die Familiengeschichte der Jacobs. So war sein Vater Heinrich Rudolf Jacobs (1879-1946) ein erfolgreicher Bremer Architekt. Einige der durch ihn entworfenen Bauwerke stehen auch heute noch in der Stadt, wie das 'Deutsche Haus' an der Ecke vom Marktplatz zur Obernstraße oder das frühere Postamt 5 neben dem Hauptbahnhof.


Kurios, dass Jacobs, mit vollem Vornamen: Rudolf Heinrich Otto Max, in der absoluten Mitte seiner Geburtstagsstadt geboren wurde, nämlich am Marktplatz 15 - 16, Gebäude, das im 2. Weltkrieg den Bombern zum Opfern zum Opfer fiel. Später lebte die Familie Am Dobben, an der Ecke Humboldtstraße, da wo bis vor einigen Jahren die Einhorn-Apotheke ihr Geschäft betrieb. Und 1927 zog Familie Jacobs in die Friedrich-Mißler-Strasse 10, das der Vater selbst erbaut hatte. Es existiert da heute noch. Selbstverständlich, versucht man zu sagen, sucht Petzold auch diese historische Stätte auf und recherchiert in deren Innerem.


Auch generell von dem Leben in der Stadt zwischen den Kriegen und während der Naziherrschaft 1933 - 1945 erfährt man einiges. Damit ist Petzold in der Tat ein Buch gelungen, das im besten Sinne auch das Prädikat Bremensie tragen darf.

 

Postskriptum: Vielleicht kann diese Publikation jetzt endlich dabei helfen, der spröden Bereitschaft des Bremer Senats auf die Sprünge zu helfen, verdienten Widerstandskämpfern oder -Kämpferinnen der Stadt würdige Straßen (und keine kurzen Sackgassen!) zu widmen.


Das sollte höchste Zeit sein, nach so reichlich in der Lokalpresse erschienenen Artikeln, einem Hörfunk-Feature und einem Video-Beitrag bei 'buten un binnen' im ARD-Sender Radio Bremen und den diversen Acts der Erinnerung an Rudolf Jacobs in Bremen-Nord oder eben am Hermann-Böse-Gymnasium.


Da könnte doch der Autor des Vorworts zu diesem Band, der ehemalige Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen, Dr. Henning Scherf, seinem dritten Nachfolger im Amt auf die sprichwörtlichen »Füße treten«. Immerhin schreibt auch er: »In Parma ist eine Straße nach Rudolf Jacobs benannt worden. Es kann für uns in Deutschland zum Vorbild werden, wie in Norditalien die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg lebendig gehalten wird.«

 
 

Weblinks:

  • Audio-Feature von Ulrike Petzold über 'Comandante Rodolfo' | RB: Link

  • Internationale Friedensschule Bremen | Rudolf Jacobs: Link

  • Hermann-Böse-Gymnasium | Rudolf Jacobs: Link

  • Homepage | Edition Temmen: Link

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info

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