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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Generalsempfang am Bremer Hauptbahnhof

Aktualisiert: 15. Nov. 2020


Es muss an dem von vielen Verpflichtungen befreiten Volumen von Zeit liegen, das einem der Status des Pensionärs beschert, wenn manches Mal sehr geringe Anstöße ausreichen, plötzlich Szenen und Erinnerungen aus der Kinderzeit aufblitzen zu lassen. So geschah es wieder mal gestern, als ich mit einem meiner besten Freunde telefonierte, der sich gerade zu Besuch in Berlin aufhält und mir von den Plänen dieser Tage erzählte, die er noch absolvieren wolle. Eines der Ziele sollte das Deutsche Technikmuseum in Kreuzberg sein, denn er wollte die in der Sammlung ausgestellte Lokomotive wiedersehen, der er bereits einmal im Februar 1962 im Hamburger Hauptbahnhof begegnet sei. Damals sei dort Buster Keaton mit dieser Lok eingefahren, als er auf Promotiontour durch Deutschland unterwegs war, um die Wiederentdeckung des Stummfilmklassikers Der General zu unterstützen, der das deutsche Publikum dem atlas Filmverleih von Hanns Eckelkamp (*1927) zu verdanken hatte.



Und da schoss es mir durch den Kopf, dass ich mich an das gleiche Erlebnis erinnern konnte, nur dass es nicht in Hamburg stattgefunden hatte, sondern auf dem Bahnsteig 5 des Bremer Hauptbahnhofs, pünktlich zur Premiere der renovierten Fassung des Films im damaligen „studio für filmkunst“ am Herdentor, wo alle Filme des Neuen Deutschen Films und solche cineastischen Juwelen wie der Keaton-Film gezeigt wurden.


Meine Mutter war die Meldung in der „Stadtumschau“ des Weser-Kurier ins Auge gefallen und – weil sie meine Leidenschaft nicht nur für Eisenbahnen kannte, sondern auch mein Faible für den Kintopp – schlug sie mir vor, mir ein solch einmaliges Ereignis doch nicht entgehen zu lassen.


Geradezu leidenschaftlich war ich in diesen Jahren der Sendung „Es darf gelacht werden“ verfallen, die von dem legendären Conférencier und Schauspieler Werner Schwier (1921-1981) moderiert wurde. Sie lief seit 1961 im Abendprogramm der ARD (das zweite, das ZDF, gab es erst ab 1963, die dritten Programme auch erst seit 1964; die Bayern waren die ersten). Jedenfalls ließ ich keine einzige der insgesamt 54 Folgen aus, die jeweils 45 Minuten dauerten und zur besten Sendezeit liefen, immer sonntags ab 20:15.


Dazu besuchte ich immer irgendeine der Familien, die mit uns im Mietshaus am Buntentorsteinweg wohnten, denn in unserem eigenen Haushalt wurde der erste Fernseher erst 1969 angeschafft, als der jüngste und letzte Spross der Familie die elterliche Wohnung verließ, das war ich. Dieses Vergnügen an den alten Filmen teilten auch meine Eltern, so kamen der eine oder die andere oder beide zusammen manchmal mit. Meine Mutter konnte so herzhaft dazu lachen („Ichmachmirindiehose!“). Ja, so pflegte man damals durchaus die Nachbarschaften…


Aber zurück zum Besuch des großen Buster Keaton. Tatsächlich lief die voluminöse schwarze Lokomotive wie angekündigt auf Bahnsteig 5 ein, und ebenso tatsächlich lehnte sich aus dem Führerhaus mit verschränkten Armen der (natürlich inzwischen stark gealterte) Filmstar aus dem Fenster. Und natürlich ging die große Frage um, lacht er, lächelt er wenigstens einmal? Der, dem man den Beinamen „Der Mann, der niemals lachte“ gegeben hatte. Wie es sich gehörte, tat er es nicht.


Die Leute machten Fotos, ich leider nicht, Bitten um Autogramme nahm er nicht wahr, er stierte stoisch von seinem hoch gelegenen Ausguck im Führerhaus über die Köpfe der Zuschauer hinweg, den Bahnsteig hoch und wieder hinunter. Stieg aber dann doch von seinem Bock herunter, ölte mit einer riesengroßen Kanne (vielleicht sogar eine Original-Requisite von 1926?) die Gestänge der Lok. Es muss der Wahrhaftigkeit nachgetragen werden, dass es sich nicht um die Lokomotive aus dem Film handelte, aber dennoch war es immerhin die damals „älteste noch täglich fahrende Lokomotive Europas“, wie der Weser-Kurier schrieb.


Ob er dann auf der Weiterfahrt nach Hamburg noch einmal vom Führerstand in einen der mitgeführten Waggons umgestiegen war und kurz vor Hamburg Hbf. wieder zurück, erschloss sich für mich an dem Mittag auf dem Bahnhof nicht. Darüber klärte der Weser-Kurier allerdings am nächsten Tag auf:


„Unterwegs – am anderen Ende des Bahnsteigs 5 – hielt die Lokomotive noch einmal. Mr Keaton stieg aus und begab sich ins Park-Hotel in Bremen.“

Ich hatte gleich am ersten Nachmittag des allerersten Vorführungstages im „studio“ gesessen, um mir Der General anzusehen. Bei dem einen Mal blieb es nicht, ich sah mir den Film mehrmals mit nicht nachlassendem Vergnügen an.


Und das mache ich heute Abend in alter Ruhe wieder. Vielleicht zusammen mit Euch, die Ihr meine Erinnerung gerade gelesen habt.


Gelegenheit dazu gibt es: ich habe ihn unten auf YouTube verlinkt. Viel Spaß dabei.

 

Weblinks:


Video | Der General:

Video | SWR | Buster Keaton in Ulm:

DIE ZEIT | Uwe Nettelbeck zum Tod von B.K.:

Video | WDR | Über den atlas Filmverleih:


 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.

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