Wenn jemand seinen hundertsten Geburtstag feiert, soll man ihn angemessen begehen, erst recht, wenn man dem Befeierten sein Alter nun wirklich nicht ansieht und – wie in diesem Fall - nicht anhört! So geschehen gestern und vorgestern im schönsten Konzertsaal Bremen, dem legendären Sendesaal Bremen, der 1952 von der Bremer Architektengruppe Storm, Anker und Störmer für die damals unmittelbare hinter ihm liegende Anstalt von Radio Bremen erbaut wurde und dessen Abriss, nachdem das gesamte Areal von Radio Bremen verlassen wurde und man ins Zentrum der Stadt zog, von dem Verein Freunde des Sendesaals e. V. verhindert werden konnte. Heute steht er unter Denkmalsschutz.
Und eben dort wurden am vergangenen Wochenende an zwei Abenden und ebenso am Sonntag in der Oldenburger kulturetage das Tigerfest und damit Georg Kreisler gefeiert, da Kreisler in diesem Jahr am 18. Juli eben 100 Jahre alt geworden wäre. Und von keinem Geringeren als dem Chansonnier und Sänger Tim Fischer wurde er geehrte, in bestpassender Begleitung durch die Vollblutmusiker Oliver Potratz am Bass und als musikalischer Leiter, mit Sebastian Weiß am Piano und mit Hauke Renken am Vibraphon.
Georg Kreisler und Tim Fischer: die beiden waren ein Paar, nein, nein, nicht wie Sie unter Umständen zu schnell annehmen. Kreisler war zuletzt mit seiner vierten Ehefrau Barbara Peters verheiratet und Tim ist es mit seinem wunderbaren Rolando Jiménez Domìnguez. Aber gegenseitig haben die beiden Künstler sich verehrt, geschätzt und müssen sich sehr gemocht haben, seit vielen Jahren bis zu Kreislers Tod im November 2011 (siehe unten das Interview von Tim Fischer in den Weblinks).
Der Abend hat zwei Teile, die sich schon in der Kostümierung des Sängers extrem unterscheiden: der erste Part in klassischem dunklen Cabaret-Outfit mit Liedern, der den ebenso klassisch-ernsten-zynisch bis bösen Kreisler-Chansons vorbehalten ist. Aber keine wohlgefällige Sammlung der bekannten und viel gespielten Kreisler-Evergreens, die mit den zu vergiftenden Tauben im Park oder von dem armen Musiker mit seinem Triangel hinten im Orrrkäster drrrin, obwohl auch die natürlich immer noch wunderbar anzuhören sind, aber die überlässt Fischer gerne anderen.
Und zum zweiten Teil tritt Fischer dann in einem bestechenden Latex-Fummel auf, mit roter Perücke, verrucht, frivol, dazu singt er ebensolche Lieder, die bestens dazu passen und die Kreisler seiner Frau schrieb, mehr Schlager, wie Fischer sie charakterisierte. Womit ich nicht wirklich einhergehen mag, denn wenn das Schlager sein sollen, wäre ich längst ein Schlager-Fan. Denn auch diese Lieder zieren wunderbare Texte und scharfe Nuancen, rasante Tempi und Fischer die Gelegenheit, aufs Ganze zu gehen, und welche von seinen ganz feinen Säuen über die Bühne zu jagen.
Auch die drei Musiker, die den Abend begleiteten, hatten sichtbare Freude an ihrem Spiel, besonders Hauke Renken am Vibraphon und an seinem Mini-Schlagzeug sah man das an. Man spielt auch nicht einfach die Kreisler-Partituren nach, Oliver Potratz, der musikalische Leiter der Show, salzt und pfeffert sie mit eigenen Einfällen, Tempi und Spannungen, Eine ideale Truppe, homogen korrespondierend mit Fischers Stimme und seinem dramatischem Talent.
Tim Fischer demonstriert hier ein weiteres Mal, wie breit sein Repertoire ist und mit welcher Professionalität, aber eben auch seiner unbändigen Bühnenlust er alle seine Auftritte gestaltet. Ich bin fast geneigt zu gestehen, dass ich mich glücklich schätze, ihn schon ganz früh erlebt zu haben, damals mit seinen allerersten Auftritten in Bremen im Jungen Theater in der Friesenstraße, er noch keine zwanzig Jahre alt, aber sich schon wie ein/e Alte/r auf dem Konzertflügel räkelnd seine Rinnsteinprinzessin ins Publikum schmetterte. Bewunderswert schon damals und einfach zum Verlieben!
Viel herzlicher, aufrichtiger Beifall seiner treuen 300 Zuschauer, die der Saal fasst, nach jedem einzelnen Couplet. Überhaupt hat das Auditorium eine ideal passende Größe für ein Konzert, wie Fischer es darbietet. Ein lange nicht enden wollender Applaus zum Schluss, den Tim Fischer sichtlich genoss, sein Adieu und sein Dank an sein Publikum wollte gar kein Ende finden. Er bat noch darum, der Bremer Aids Stiftung zu spenden. Immerhin kamen dabei an den zwei Abenden € 2.000,- zusammen, wie Fischer einige Tage später auf seiner Facebook-Seite zufrieden verkündete.
Wenn an dem Abend vielleicht etwas fehlte, waren das mehr Worte, die Tim hätte zu Kreislers Leben und seinem Werk hätte verlieren können. Einmal weiß Fischer bestens zu moderieren, andererseits hat Kreislers Leben so viele Facetten aufzuweisen, dass sie verbreitet werden sollten, gerade unter denen, die ihn vielleicht (noch) nicht so gut kennen. Einer der zentralen, damit schmerzhaftesten Einschnitte in Kreislers Vita war sicherlich das Jahr 1938, als seine jüdische Familie mit ihm über Genua und Marseille in die USA emigrieren musste, nachdem die deutschen Nationalsozialisten in Österreich einmarschiert waren.
Weblinks:
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