29.12.2024 - Ein wunderbarer und umfassender Nachruf auf die kurz vor Weihnachten verstorbene, 1920 in Hamburg geborene Schauspielerin Hannelore Hoger von André Boße erschien vorgestern auf ZEIT-ONLINE.
Ich erlaube mir, eine kleine persönliche Erinnerung an die großartige, authentische und vielseitige Künstlerin hinzuzufügen, als ich sie irgendwann im Jahre 1963 auf der Bühne des Bremer Theaters am Goetheplatz erlebt habe. Sie spielte die Rolle der Natella Abaschwili, der Frau des Gouverneurs, in Der kaukasische Kreidekreis von Bertolt Brecht (Musik: Paul Dessau) in einer Inszenierung von Peter Palitzsch (1918 -2004). Die Hauptrolle der Grusche spielte die ebenfalls unvergessliche Katharina Tüschen mit ihrer unverwechselbaren tiefen Stimme.
Das Stück und die Hoger – und überhaupt die ganze Produktion - haben mich damals sehr aufgewühlt. Ich war erst knappe 14 Jahre alt, und es war der allererste Brecht, den ich auf einer Bühne sah. Die nächsten zwei bildeten dann in den folgenden zwei Jahren, ebenfalls in Kurt Hübners Theater, Der Prozess der Jeanne d‘Arc zu Rouen 1431 (mit der Hoger in der Titelrolle · Premiere 13.10.1963) und Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (Premiere 8.9.1964). Auch diese beiden Inszenierungen waren von Palitzsch in Szene gesetzt worden.
So viel Brecht in so kurzen Distanzen auf den Bühnen Bremens war durchaus geeignet, einen großen Teil des Publikum der Hansestadt zu beunruhigen, ein anderer Teil war hocherfreut über diese neuen und frischen Winde, die das bislang eher konventionelle Repertoire des Hauses begannen zu durchwehen bis hin, dass sie Orkanen gleich über die Bretter des bislang meist betulichen Drei-Sparten-Hauses fegten.
Es war seinerzeit auch noch gar nicht so lange her, dass Brecht an den deutschen Bühnen noch ein scriptor non grata war, ein Dramatiker, den man sich nicht traute, den immer noch Nachkriegspublikum zu nennenden Besuchern der Stadttheater zuzumuten. Das macht schon der erste Absatz der Rezension des Kreidekreises eines Hans Berndt im Weser-Kurier vom 19. Januar 1963 deutlich:
„Brecht-Aufführungen bedeuten immer schwere Brocken für den Intendanten, für Regisseur und Darsteller, für Publikum und Kritik. Der Augsburger Fabrikantensohn, dessen Geburtstag sich am 10. Februar zum 65. Male jährt, hat nun einmal das bürgerliche Denken, den Nationalismus, Militär und Kirche zeitlebens bekämpft. Diese Einstellung führte ihn zwangsläufig in die Arme des Kommunismus. Als die Umarmung nach dem Kriege beklemmend eng wurde, verstummte der Dramatiker. Aber er blieb bis zu seinem Tode 1956 in Ostberlin.“
Kurios genug ist zu erwähnen, dass der Kreidekreis damals eine Produktion war, die für das Niederdeutsche Theater in Bremen-Walle eingerichtet worden war, übrigens mit Günther Neutze in der Rolle des Richter Azdak! Im April des gleichen Jahres wanderte diese Inszenierung dann aber in das “Große“ Haus am Goetheplatz.
Hannelore Hoger gehörte 1962 zu dem Tross des Ensembles, das Kurt Hübner aus seinen vorherigen drei Spielzeiten am Theater Ulm mit nach Bremen brachte; wie man weiß, mit Regie-Kapazitäten wie einen noch jungen Peter Zadek, einen Peter Palitzsch, einen Johannes Schaaf oder Bühnenbildner wie Wilfried Minks und Karl-Ernst Herrmann, und Schauspieler*innen wie eine Elisabeth Orth, eine Katharina Tüschen, einen Friedhelm Ptok oder einen Helmut Erfurth und manch andere, die Hübner in der gesamten Republik aufspürte und die alle bei ihm spielen wollten. Wie treffend schreibt André Boße in seinem Nachruf:
„In Ulm hatte Kurt Hübner, nach dem Zweiten Weltkrieg einer der Miterfinder des modernen Theaters in Deutschland, mutigen Regisseuren die Bühne überlassen, damit sie experimentieren und das Theater erneuern könnten.[…] Für sein Ensemble suchte er nach jungen Gesichtern, die bereit waren, bei darstellerischen Abenteuern mitzumachen. Hannelore Hoger wurde ausgewählt, sagte sofort zu. Einige Jahre später zog die Truppe weiter nach Bremen, entwickelte dort den heute legendären Bremer Stil, der Theater mit Popkultur und Zeitkritik kombinierte: Roy Lichtenstein traf Schiller.“
Lange blieb die Hoger nicht in Bremen, denn schon ein Jahr später wechselte sie nach Stuttgart ans Württembergische Staatstheater, auch dort saß in der Generalintendanz ein Menschenfänger, wie Hübner einer war, es war 24 Jahre lang Walter Erich Schäfer. Der verstand es wie Hübner (allerdings auch mit einem wesentlich praller gefüllte Subventionsetat), sein Theater wie ein Knusperhäuschen zu betreiben, das größte Talente anlockte. Das konnte man beispielhaft kürzlich in dem Film Cranko (D, 2023 · Regie: Joachim A. Lang; in der Rolle von John Cranko: Sam Riley) dokumentiert sehen.
Hier ein Querschnitt durch die historischen Seiten aus dem Weser-Kurier-Archiv, die in Bezug zu Hannelore Hogers kurzer Zugehörigkeit am Bremer Theater stehen:
Alles andere beschreibt und adelt André Boße in seinem Nekrolog:
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