… direkte Demokratie? Nun denn, aber allemal auf Bürgerbeteiligung mit positivem Ergebnis, darauf könnte man sich doch verständigen, oder? Wer mich näher kennt, weiß, wie gerne ich mich einmische, durchaus gerne auf eine Art, dass man mich dabei auch bemerkt. Das stößt nicht immer auf Begeisterung, manchmal sogar auf heftigen Widerstreit. Aber heute kann ich eine Geschichte erzählen, die mithilfe einer öffentlichen Äußerung und Anregung das gewünschte Ziel erreichte und die - vermute ich - niemand in den falschen Hals bekommen wird. Ich will sie kurz erzählen:
Im Sommer dieses Jahres verstarb ein in Bremen sehr populärer, aber auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Karikaturist und Cartoonist: Volker Ernsting, am 4. Mai 1941 in Bremen-Vegesack geboren. Auf lokaler Ebene hat er sich fast unsterblich gemacht mit den Figuren der Familie Sengstake. Es gibt diesen Namen tatsächlich; im letztmaligen 1980 im Druck erschienenen Bremer Adressbuch tauchen gut 50 Haushalte mit diesem Familiennamen auf. Herr Sengstake mit der Bratwurst von Stockhinger oder Kiefert am Liebfrauenkirchhof, den Arm um die Schulter seiner Gattin gelegt, diese ihrerseits in der Hand einen Halbliterkrug mit Haake-Beck-Bier und dem Logo des Bremer Schüssels, dieser wiederum entworfen von dem Bremer Künstler Ernst Matzke (*1937 in Hamburg). Sie bilden ein dermaßen typisches Bremer Paar, dass ein anderer berühmter Bremer Kartoonist, Til Mette, den Ernsting-Figuren und seinem Schöpfer im Jahre 2000 attestierte: „Er hat im Gegensatz zu mir den Bogen raus, wie man den Bremer und die Bremerin karikiert“.
Dem ich allerdings energisch widersprechen möchte, denn nach nunmehr weiteren guten 20 Jahren kann kaum jemand beispielsweise den rot-grün-roten Bremer Senat und seine Protagonisten und Protagonistinnen detailgenauer karikieren als Til. Kollege Ernsting hätten sie zweifellos auch gefallen.
Abgesehen davon sind Ernstings Karikaturen auf den Tïtelblättern der HÖR ZU noch vielen in Erinnerung oder die Spieler des Kaders der Fußball-WM von 1974. Von manch einem dieser Karikierten hieß es, sie seien not very amused gewesen…
Zu seinem künstlerischem Schaffen gehören ebenso die unvergessenen Bestseller wie „Was’n in Bremen so sacht“, „Was’n in Bremen so ißt“, mit den Texten von Walter A. Kreye (1911-1991), seine Version von „Die Bremer Stadtmusikanten“, die sich bei Ernsting sogar in durcheinandergewürfelter Ordnung aufstellen konnten, der Esel on the top of the quartet, neben der deutschsprachigen Ausgabe in weiteren Sprachen erschienen, von Chinesisch über Spanisch oder Italienisch bis Japanisch und vielen mehr. Leider sind nahezu alle diese Buchausgaben heute vergriffen.
Jedenfalls verdankt Bremen ihrem Sohn Ernsting sehr viel. Umso enttäuschender fiel mir auf, wie wenig Worte, wenn überhaupt welche, man anlässlich seines Todes seitens der Administrationen der Stadt und des Landes Bremen verlor. Auf seiner Trauerfeier sah man niemanden aus der senatorischen Garde, zwei Bürgerschaftsabgeordnete konnte ich identifizieren, und ansonsten hatte sich nur der Ortsvorsteher von Vegesack eingefunden. Eine erstaunlich übersichtliche Gemeinde, die sich von ihm verabschiedete. Ebenso wäre ein teilnahmevolles Gedenken schon deshalb angebracht gewesen wegen der bekannten Tatsache, dass Volker Ernsting seit langen Jahren vor seinem Tod, seit Mitte der 90er Jahre, an einer schweren Nervenerkrankung litt und gegen Ende seines Lebens fast erblindet war, so dass es ihm bedrückend, endlos scheinende Zeit verwehrt war, sich mit seinen künstlerischen Mitteln zu artikulieren.
Das war alles Motivation genug, mich mit einem Leserbrief an die Bremer Tageszeitung Weser-Kurier zu wenden, in dem ich die Umbenennung eines zentralen Platzes in Ernstings Geburtsort Vegesack angeregt habe, um angemessen an ihn zu erinnern. Darüberhinaus habe ich ganz offiziell an den Vegesacker Ortsteilbeirat, also an das Stadtteilparlament dieses Viertels, in dem ich seit 2015 auch lebe, und seine Fraktionen (außer den dort sitzenden rechten Parteiangehörigen) eine Petition gerichtet, die dort auch ernsthaft diskutiert, und man nach einer praktikablen Lösung gesucht hat und die am Ende auch gefunden wurde.
Nunmehr – und nach dem notwendigen Einverständnis von Ernstings Witwe und seiner Familie – hat das Parlament in seiner letzten Sitzung einstimmig beschlossen, einen attraktiven Platz am Kai des historischen Hafens Vegesacks nach dem lokalen Künstler zu benennen.
Ich freue mich sehr darüber, zumal Ernsting mit seinen Karikaturen, so manche von ihnen erschienen in dem legendären Frankfurter Satiremagazin pardon, durchaus zu meiner ganz persönlichen Sozialisation beigetragen hat.
Wenn es dann demnächst zu der Taufe des bislang namenlosen Platzes kommen wird, könnte man diese gut mit einem Revival des Werkkatalogs, das aus Anlass der Ernsting-Werkausstellung im Jahre 2000 im Vegesacker Kulturzentrum KITO begleiten, der ebenfalls schon lange vergriffen ist, oder sogar eine Werksausstellung mit seinem Oeuvre auf die Beine stellen. Wie würde ihn das erfreuen, trotz der Bescheidenheit, die man dem Künstler von allen Seiten nachsagt.
Und ich freue mich darüber, dass meine bescheidene Idee auf so fruchtbaren Boden fiel. Ich werde mich also auch in Zukunft bemerkbar machen, auch um den Preis, dass es nicht allen gefallen könnte.
"Meine" Sengstakes
Weblinks:
Ernstings offizielle Homepage: https://volkerernsting.wordpress.com/
Dossier Volker-Ernsting-Platz in Vegesack: Link
Video | buten un binnen | Juli 2022: Link
Reaktionen:
»Großartig!« - Katrin Krämer, Kulturjournalistin, Radio Bremen zur Namensnennung des Volker-Ernsting-Platzes in Vegesack
»lieber guenny rodewald, danke über die freundliche erwähnung. hat mich sehr gefreut. vor allem aber der wirklich gut geschriebene nachruf auf volker ernsting samt deiner initiative der ehrung durch einen platz in vegesack. super!« - Til Mette, Cartoonist und Maler, Hamburg / New York / Bremen
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