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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Ist es sehr schlimm...

Aktualisiert: 12. Mai 2022


... dass mein Glückwunsch nun doch den einen oder anderen Tag mit Verspätung eintrudelt? Denn es ist nun schon recht viele Tage her, dass Ernst Reinhard Piper am 29. März seinen Siebzigsten begangen hat, und da hatte die Presseabteilung des Ch. Links Verlag doch die schöne Idee, zu dem jüngst bei ihm von Ernst Piper erschienenen Buch »Diese Vergangenheit nicht zu kennen heißt, sich selbst nicht zu kennen - Deutsche Geschichte im Zeitalter der Extreme« meine Rezension synchron zu jenem Datum erscheinen zu lassen. So hatte man mir auch zu gegebener Zeit mit dem Hinweis auf den Ehrentag ein Besprechungsexemplar geliefert. So schön die Idee war, habe ich die Gelegenheit in dieser Konstellation verpasst, hole es aber nunmehr mit umso größerer Freude nach.


Und so nutze ich - den Spuren des Erinnerungskalenders folgend - den 10. Mai als Beziehungspunkt, den Tag also, an dem Hitlers NS-Regierung nur so wenige Monate nach ihrer Machtergreifung den Deutschen und der ganzen Welt unmissverständlich gezeigt hatte, wohin ihre faschistische, alles um sich herum vernichtende Politik laufen werde. So unverblümt dieses Zeichen auch ausfiel, so wenig wollte man sich das vorstellen, konnte es womöglich auch wirklich noch gar nicht.

Aber eben an diesem 10. Mai 1933 wurden im ganzen Land die Bücher der Autoren in Brand gesteckt, die den neuen Herren nicht genehm waren und die schon lange vorher auf langen, langen schwarzen Listen standen. Auf dem Opernplatz in Berlin (Bild oben), oder eben auch in Bremen, hier auf dem Spielplatz an der Nordstraße in der Nähe des Volkshauses, dem Bremer Gewerkschaftshaus.*) Und es gab sogar schon am 22. April eine erste Verbrennung von Büchern in Bremen, und zwar auf dem Neustädter Hohentorsplatz, und in Bremerhaven bereits am 6. Mai. **)


Das Buch versammelt sowohl frühere Arbeiten des Autors wie neue, und dabei greift Piper weit zurück: in das Kaiserreich, über den 1. Weltkrieg und seine inneren Folgen in die Zeit zwischen den Weltkriegen. Und aus durchaus persönlichen Gründen fragt sich Piper das, denn sein Vater als Verleger des Piper Verlages, hat in Zeiten der Jahre 33-45 weiter in Deutschland Bücher verlegt. Eine ähnliche, vielleicht noch krassere Verbindung allerdings, die auch mich durch meine Familie mit dieser Zeit verbindet (Link). Über diese historische Verknüpfung seiner Familie schreibt Piper in seiner somit sehr persönlichen Einleitung.


Das Buch versammelt ansonsten sowohl frühere Arbeiten des Autors wie neue, und dabei greift Piper weit zurück: in das Kaiserreich, über den 1. Weltkrieg und seine inneren Folgen, die Zeit zwischen den Weltkriegen, mitten hinein in die unseligen Zeiten, die darauf folgten und aber auch in die Zeit danach. Hier das Inhaltsverzeichnis:

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Mir macht es immer besonderen Spaß, zumal ich diese Tätigkeit als angenehmen Zeitvertreib, also nicht professionell ausübe, Bücher von Autoren zu besprechen, zu denen auf irgendeine Art ein persönlicher Bezug existiert, was in den allermeisten Fällen den Besprochenen vor allzu heftigem Verriss schützt. Ernst Piper durfte ich kennenlernen, als er noch der Verleger des Verlages war, dessen Familienname eben auch gleichzeitig im Firmennamen auftauchte. Das war an sich alles andere als ein Zufall, war er doch der Enkel von Reinhard Piper (1879-1953) der den Verlag 1904 zusammen mit Georg Müller (1877-1917) in München gegründet hatte. Und Sohn und Nachfolger wiederum von Klaus Piper (1911-2000), der 1932 zunächst auch als Mitarbeiter, später als Teilhaber in den Verlag seines Vaters einstieg.

Ernst trat - allerdings erst, nachdem er das Studium der Geschichte in München und Berlin abgeschlossen und promoviert hatte - 1982 in den Verlag ein, ab 1983 auch als dessen Teilhaber. Ende der achtziger Jahre war es dann wohl, dass ich ihn kennenlernte, als wir ihm mit unserer Agentur in Barcelona die Rechte an der deutschen Ausgabe des Romans Los santos inocentes von Miguel Delibes vermitteln konnten, die dann in der Übersetzung von Curt Meyer-Clason unter dem Titel Die heiligen Narren 1992 erschien, übrigens damals auch aus Anlass, dass Spanien das Gastland der Frankfurter Buchmesse war - wie in diesem Jahr.


Der Piper Verlag wurde 1995 an die schwedische Verlagsgruppe Bonnier verkauft, aber bereits 1994 schied Ernst aus dem Verlag aus. Von 1997 bis 2003 war er dann noch Verleger in der Prospero Presse und im Pendo Verlag, gründete dann aber im Jahre in Berlin mit der Literarischen Agentur Piper & Poppenhusen seine eigene Agentur, die er seit 2014 allein als Literaturagentur Ernst Piper betreibt (man sagt nicht ohne Grund, die besten Literaturagenten seien sowieso die, die früher selbst als Verleger gewirkt hätten, schliesslich kennen sie damit die Interessen, beziehungsweise die "Tricks" beider Seiten, die des Autors und der Autorin auf Steuerbord und den anderen Partner auf Backbord).


Nicht zu vergessen Pipers Arbeit als Autor weiterer historischer Werke, wobei die spannend zu lesende, tiefgehende Biographie Rosa Luxemburg · Ein Leben (München 2018, 832 Seiten) und der Titel Alfred Rosenberg · Hitlers Chefideologe (München 2007, 830 Seiten) besonders hervorgehoben.


Nun aber zurück zu dem Buch, über das ich schreiben möchte, wobei ich dafür jetzt meinerseits zu einem Trick greife: da er die Anthologie so gut bespricht, wie ich es besser nicht machen könnte: ich lasse einfach den Kritiker Hans von Trotha sprechen, den Joachim Scholl in der Sendereihe ‚Lesart‘ des Deutschlandfunk Kultur über dessen Eindruck bei und nach der Lektüre von Ernst Pipers Buch befragte:


DLF Kultur: Es geht um Geschichte mit dem neuen Buch von Ernst Piper, dem vielseitigen Publizisten, Verleger, Historiker, der in seinen zahlreichen Büchern elegant pendelt zwischen Wissenschaft und Feuilleton. „Diese Vergangenheit nicht zu kennen, heißt, sich selbst nicht zu kennen.“ So ist das neue Werk überschrieben. Hans von Trotha hat es gelesen, unser Kritiker ist im Studio. Untertitel, Herr von Trotha, heißt es „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Extreme“. Das klingt nach großformatiger Darstellung. Ist es das eine umfassende deutsche Geschichte?


Hans von Trotha: Nein, es ist keine großformatige Darstellung, sondern im Gegenteil eine Feier der kleinen Form. Aus Anlass des 70. Geburtstags von Ernst Piper, der ansteht, hat er sich quasi selbst ein Geschenk gemacht, an dem wir teilhaben können. Er hat Texte aus den letzten zehn, fünfzehn Jahren zusammengestellt, einige Originalbeiträge dazu, also kurze Texte, die aber alle um dieses deutsche Zeitalter der Extreme des 20. Jahrhunderts kreisen. Er kommt da auf seine wichtigen Themen zurück, sowohl als Publizist als auch als Forscher, auch als Verleger. Nämlich die - er nennt es unsere Memorial Kultur - das heißt die Erinnerung an die Geschichte, und für ihn ist es vor allem eine Erinnerung an den Nationalsozialismus, seine Vor-und seine Nachgeschichte und an den Holocaust. Das sind im Wesentlichen die Themen, auf die er immer wieder zurückkommt und um die das immer wieder kreist, wenn auch die Themen stark variieren.


Dlf Kultur: Erinnerungskultur, Holocaust. Es sind ganz aktuelle Debatten, Stichwort Anthony Dirk Moses, der den Holocaust als einen Katechismus der Deutschen bezeichnet hat. Kommt es auch bei Piper vor?


Hans von Trotha: Ja, es kommt bei ihm vor, nicht in den Aufsätzen. Da gibt es aber sehr wohl einen zum Historikerstreit, auf den diese Moses Debatte ja auch immer wieder bezogen wird. Aber Ernst Piper bettet diese Essays ein in eine sehr lesenswerte, ausführliche Einleitung, die einerseits biografisch ist, aber andererseits, so ist es bei Piper immer biografisch ist es immer auch zeithistorisch, also das 20. Jahrhundert abbildet. Und in dieser Einleitung geht er auf die Debatten ein, auf die er nicht ausdrücklich in den Essays eingeht, auch auf die Moses-Debatte. Und da hat er die ganz, ganz klare Gegenposition. Er hält es für eine typische antisemitische Verschwörungserzählung, wundert sich, dass die Feuilletons da so allen Ernstes darauf eingestiegen sind. Also wer die Gegenposition zu Moses haben will, ist bei Piper gut aufgehoben, nicht nur in diesen Absätzen darüber, sondern in einer breit angelegten Argumentation.


Dlf Kultur: Der Titel des Buches, der wandelt ein berühmtes Zitat ab. Welche Bedeutung hat denn die Geschichte für Ernst Pipers Gesellschaftsbild?


Hans von Trotha: Ja, das Originalzitat ist aus Raul Hilberg berühmtem Buch Die Vernichtung der europäischen Juden von 1961. Im Vorwort schreibt er: „Diese Vergangenheit nicht zu kennen, heißt, sich selbst nicht zu begreifen“. Und die Verschiebung zu „diese Vergangenheit nicht zu erkennen“, heißt „sich selbst nicht zu kennen“, ist natürlich signifikant. 1961 Raul Hilberg hatte ein Publikum, das die Erinnerung an den Holocaust sozusagen hatte und meinte, in sich entscheiden zu können, ob sich daran erinnert oder nicht. Ernst Piper hat ein Publikum, da gehört es nicht zur eigenen Erinnerung, und trotzdem macht er eben den Punkt ganz klar: Wir müssen uns an diese Zeit erinnern. Und es bedarf aber einer ganz anderen Argumentation, wenn es Erinnerungen unserer Väter und Großväter sind. Und die macht er ganz stark. Und für ihn ist Geschichte die entscheidende, prägende Instanz nicht nur für alle Gesellschaften, sondern auch für sämtliche Individuen, die eine Gesellschaft ausmachen. Geschichte ist das, was uns formt und prägt und gleichzeitig aber - und das treibt ihn eben auch sehr um das - was wir beeinflussen. Und das macht sie in seinen Augen so unglaublich wichtig.


Dlf Kultur: Ernst Piper gilt ja auch als homme de lettre, vielseitig kulturell gebildeter Mensch. Welche Rolle spielen denn Kultur, Kunst, Literatur in den Essays?


Hans von Trotha: Eine große. Also einerseits ist für die Geschichtswissenschaft ja längst der ganze kulturelle Bereich ein ganz, ganz, ganz wichtiger argumentativer Raum. Aber Ernst Piper, wie Sie sagen, ist selbst sehr, sehr breit gebildet, auch kulturell sehr interessiert und webt das immer ein in seine Argumentation. Es gibt aber auch einige Texte, die ausdrücklich auf Kultur und Kunst eingehen. Die spiegeln dann sein Themenfeld wieder sehr deutlich. Da gibt es zum Beispiel einen sehr lesenswerten Aufsatz über die Kulturmilitärpolitik des Kaiserreichs, dann Grundlinien einer national-sozialistischen Kulturpolitik, und dazwischen steht zum Beispiel ein Aufsatz über den heroischen Realismus bei Ernst Jünger im Krieg aus der Sicht des Historikers.


Dlf Kultur: Ernst Jünger und der Krieg. Das liest man in diesen Tagen wahrscheinlich auch mit ganz anderen Augen, oder?


Hans von Trotha: Allerdings, das sieht man mit völlig anderen Augen. Und es ist erschütternd, wie eins zu eins die Bilder, die wir jeden Tag sehen, zu diesen Beschreibungen und passen. Der Krieg hat sich irgendwie kaum verändert. Und auch dieses Bedürfnis, ihn zu heroisieren nach Heroismus, damit haben wir hier auch ganz stark zu tun, wie überhaupt nicht nur für diesen Artikel gilt: wenn wir dieser Tage zeithistorische Texte in die Finger bekommen, lesen die sich völlig anders als vor fünf Wochen. Und auch darüber gibt es einen Aufsatz bei Piper, der heißt Woran wir uns erinnern, wenn wir uns erinnern, und argumentiert ganz kurz gefasst so, dass die Gegenwart, in der wir etwas schreiben oder lesen, immer ganz stark das historische Bild beeinflussen. Und das erleben wir dieser Tage ganz extrem und man ist sehr gut aufgehoben in diesem Buch, um sich darin zu schulen.

Dem will ich nichts hinzufügen, außer dass das Buch von Ernst Piper im Ch. Links Verlag (Gruppe Aufbau Verlage) erschienen ist, 332 Seiten hat, 26,00 Euro kostet und in jeder guten Buchhandlung zu erwerben ist. Auch als E-Book erhältlich (€ 18,99).






 

*) Zur Geschichte des Bremer Gewerkschaftshauses: https://bit.ly/3M71Mex

**) Bücherverbrennungen in Bremen: https://bit.ly/3KX5cza

 

Weblinks:

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.

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