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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Kein „X“, aber ein „E“ für ein „U“ vormachen…

Aktualisiert: 14. Nov. 2021


8. November 2021 - … das gelingt - wenn man denn so will – dem Filmemacher Axel Brüggemann, was er am Dienstag vergangener Woche eindrucksvoll in Bremens gemütlichstem Kinosaal, der Gondel in Schwachhausen, mit seinem Opus Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt unter Beweis stellen konnte, denn es wurde tatsächlich ein sehr unterhaltsamer Blick auf Bayreuth, seinen künstlerischen Herrscher und eben – den Rest der Welt.


Als erstes landen wir in Venedig – von der Musik des Vorspiels zum 1. Akt des Lohengrin begleitet, wie Richard Wagner natürlich für den Soundtrack des ganzen Films gewissermaßen selbst verantwortlich zeichnet. Wir fahren mit dem Vaporetto auf den Palazzo Vendramin-Calergi am Ufer des Canale Grande zu, der heute in den Räumen des Casino di Venezia das dortige Richard-Wagner-Museum beherbergt, in den Räumen, in denen der Komponist bei seinen vielen Besuchen in der Lagunenstadt gerne abstieg, seine letzten fünf Lebensmonaten verlebte, aber eben auch der Ort, an dem er am 13. Februar 1883 mit fast siebzig Jahren starb.


Dort sind wir Gäste bei dem erlauchten in Pandemie-fernen Zeiten jährlich tagenden Wagner Kongress des Richard-Wagner-Verbandes International, wir besuchen im Film den des Jahres 2019. Der nächste findet im kommenden Februar in Madrid statt – verlockend das Programm: allein das Abendessen am 26.2. in La Posada de la Villa, dem ältesten Restaurant der Stadt, in dem ich einmal das beste Filete de Toro (natürlich poco hecho) meines Lebens serviert bekommen hatte.


Die Vizepräsidentin der Gesellschaft Alessandra Althoff-Pugliese schwärmt in klassisch venezianischem Ambiente vom Maestro, ebenso von ihrem Gatten, dem Gründer des Museums, und später führt sie mit großem Stolz die Ur-Enkelin Wagner, Katharina, ans Piano, an dem ihr Urgroßvater einstmals saß jnd spielte. Aus dem Schrein gegenüber schaut ihnen Wagners Totenmaske über die Schultern.


Minute 9:40 - SCHNITT.


Gegensätze - Würste kommen ins Bild, denn wir wurden vom Canale Grande nach Oberfranken gebracht, in die Metzgerei von Georg und Ulrike Rauch in Bayreuth. Sie sitzen an ihrem Esszimmertisch vor der Kulisse ihres Wohnzimmers, das im authentischen Gelsenkirchener Barock gestaltet ist, und schwärmen von ihrer Liebe zu Wagner und seiner Musik. Fallen sich dabei immer wieder ins Wort, reden eher immer gleichzeitig, gestenreich, in ihrer oberfränkischen Mundart.


Gewissermaßen auf Du-und-Du mit dem Meister und eigentlich auch mit allen aus der Familie, sie scheinen auch Lohengrin, Tannhäuser, die Walküren bis hin zu Wotan sogar noch persönlich gekannt zu haben. Hatte nicht Loge noch die Räucherkammer der Metzgerei bedient? Brüggemann holt die beiden immer wieder ins Bild, so werden sie die absoluten Stars des Films, werden die unbestrittenen Lieblinge des Publikums, die Lacher belegen es - ein gelungener Einfall der Regie.


Durch die ganze Wagner-Welt


Ebenso der eindrückliche Besuch bei Jonathan Livny, dem Gründer der Richard-Wagner-Verbandes Israel in Tel Aviv, dessen Vater bei seiner Flucht in den 30-er Jahren nach Palästina an die 100 Schallplatten mit Wagners Opern im Gepäck hatte und seinem Sohn auf seine Frage, von wem denn diese Musik sei, zur Antwort gab: „Ein scheußlicher Mensch war das, der aber himmlische Musik geschrieben hat.“


Der Abstecher nach Newark (New Jersey) und der Initiative des Baritons Kevon Mayno, der mit seiner Gemeinde eine Aufführung unter freiem Himmel von Wagners Ring des Nibelungen und zwar ausschließlich und sicher das erste Mal in der Geschichte von farbigen Sängern und Musikern organisierte.


Nächste Station ist Riga, wo Wagner zwei Jahre von 1842 bis 1844 als Kapellmeister an der dortigen Oper tätig war. Dort erleben wir einen Chor, der singend durch die Stadt zieht, um Geld für den Wiederaufbau des ehemaligen Deutschen Theaters und den Umbau in ein Richard-Wagner-Haus zu sammeln, in dem Wagner damals gelebt hatte.

In New York treffen wir den US-Musikjournalisten Alex Ross, kritischer Kenner der Wagnerschen Musik und Biografie.


Es geht ebenso nach Abu Dhabi und nach Tokio, wo wir andere, bisweilen skurrile Wagner-Anhängerschaften kennenlerne, die aber allesamt die Liebe zu dieser Musik vereint.


Bei der Präsentation seines Films in Bremen berichtete Brüggemann über die sehr speziellen Bedingungen dieser Produktion, denn sie fand statt während der diversen Lockdowns, Reiseembargos und der bekannten widrigen Umstände. Somit war es dem Team nicht möglich, all die ausgewählten Protagonisten rund um die Welt zu besuchen. Also musste man sich Teams vor den Orten suchen, die dort die Dreharbeiten erledigten.


Alles das in unzähligen Zoom-Konferenzen, zeitversetzt, mit Abstimmung über die Kamera- und Lichteinstellungen, laut dem Regisseur eine ungeheure anstrengende, ungewohnte Arbeit. Das Gute: diese besonderen Bedingungen merkt man dem Film nicht an, es sind keine Brüche zu spüren, die Linie, die den Film durchzieht, bleibt stringent die gleiche. „Die CO2-Einsparung, die diese Form der Produktion gleichzeitig bewirkt hat, werden wir aber wohl wieder einholen; denn was wir uns nicht nehmen lassen werden, wenn denn alles mit der Pandemie vorbei ist, werden wir alle unsere Kollegen in der Welt besuchen, um das schöne Ergebnis zu gemeinsam zu feiern“, outet sich der Regisseur.


Verstrickungen


Dennoch bleibt bei mir nach dem Film das Gefühl über das Thema der Verstrickung des Wagner-Clans stecken. Allen voran von Wagners Witwe Cosima, die bereits 1930 den damals noch nicht an der Macht stehenden Adolf Hitler im Fenster des Festspielhauses mit einem brausenden Applaus von den auf dem Vorplatz stehenden Besuchern beschenkte, alle – auch der künftige „Führer“ - in schwarzen Anzügen und Fracks.


Die Rolle der Erben, Kinder und Kindeskinder von Richard und Cosima, die ihre offene Zuneigung zu Hitler und den Nazis niemals verheimlichten, erst recht nicht Schwiegertochter Winifred, gewissermaßen „zwangsverheiratet“ mit Wagners Erstgeborenem Siegfried (auf diesen Namen wurde der arme Kerl tatsächlich getauft), um dessen Homosexualität weitestgehend zu vertuschen, was natürlich nicht gelang. „Onkel Wolf“ durften deren Söhne Wolfgang und Wieland Hitler nennen, wenn er die Wagners in der Villa Wahnfried oder bei den Festspielen besuchte. Nach dem Krieg waren sie, erst Wieland und nach dessen Tod Wolfgang, Leiter der Bayreuther Festspiele.


Eine wohltuende Ausnahme gab es jedoch, Wagners Enkelin Friedelind (1918-1991), als das zweite Kind von Winifred und Siegfried geboren, ging aus Widerstand gegen die Verstrickung ihrer Familie mit Hitler und der NS-Diktatur 1940 ins Exil nach England, dabei übrigens finanziell von Arturo Toscanini unterstützt, der sich seit 1933 aus Protest gegen Hitlers Machtergreifung weigerte, weiter in Deutschland, speziell in Bayreuth zu dirigieren. Er selbst emigrierte 1937 in die USA.


Durchaus ein Verdienst des Features ist es, dass die unselige Vereinnahmung der Musik Wagners und der Festspiele, einer Oper wie „Die Meistersinger von Nürnberg“ ein latenter Antisemitismus aus dem berufenen Munde eines Barrie Kosky aufs Deutlichste attestiert wird. Wer könnte das authentischer belegen als er, dem jüdischen Regisseur der spektakulären, manchen frontal vor den Kopf stoßenden Inszenierung dieses Werks aus dem Jahre 2017.


Auch der Schwenk über die im Garten des Festspielhauses aufgestellten Erinnerungstafeln der Ausstellung „Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die Juden 1876-1945“ mit den Bildern und Daten der Musiker, Komponisten und Sänger·innen, die in Bayreuth unerwünscht waren und später in den KZs der Nazis umkamen oder das Land fliehend verlassen mussten.


Aber all das war eben nicht das Hauptthema dieses Films und verdient daher auch keine Einwände der eben geschilderten Historie, aber gut wäre das allemal als sinnvoller Hintergrund einer weiteren Film-Doku oder sogar einer TV-Drama-Serie nach dem Modell The Royals. Vorgearbeitet hat da bereits gründlich der Autor Oliver Hilmes mit seinen zwei Biografien über Cosima und eben ihre Nachkommen. Ein solches, gut gemachtes TV-Event hätte durchaus noch Platz zwischen der 10-teiligen Serie mit Richard Burton als der sächsische Komponist oder der Oliver-Berben-Produktion Der Wagner-Clan von 2014, in der Lars Eidinger sich als schwuler Wagnersohn Siegfried austoben darf und Iris Berben als „Cosima in schwerem Kitsch stirbt“ (SZ vom 22.2.2014).


Denn interessant an der ganzen Familiengeschichte ist doch gerade die Entwicklung des sich schon sehr früh im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im Kaiserreich abzeichnenden Antisemitismus, im Falle der Familie Wagner spielte der unselige Einfluss der Person des intriganten Sozialphilosophen und Schwiegersohns Wagners Houston Stewart Chamberlain und seinen pangermanischen- und antisemitischen Theorien und Pamphleten einen entscheidenden Einfluss.


Kommt Olaf Scholz 2022 nach Bayreuth?


Ähnliche Fanansammlungen wie der oben beschriebenen im Jahre 1930 zeigt der Film an seinem Ende, allerdings mit dem wohltuenden, elementar wichtigen Unterschied, dass die Besucher nicht mehr grüßend den rechten Arm in die Höhe reißen, dennoch aber mit gewisser Wollust zur heutigen Prominenz hochschauend, die sich da – wenn die Pandemie es denn zulässt – im kommenden Sommer sicher wieder versammeln wird, von Frau Merkel mit Herrn Sauer, über Herrn Spahn mit Gatten, den Herrn Soeder, in trauter kameradschaftlicher Begleitung des umstrittenen tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš, Frau von der Leyen, geb. Albrecht, die momentan noch geschäftsführende Digital-Staatsministerin Frau Bär von der CSU oder bis hin zum niederländischen Regierungschef Mijnheer Rutte. 2022 dürfen wir dann sicher auch mit Olaf Scholz rechnen.


Zum Finale des Films fährt nach Vorstellungsschluss im Festspielhaus die lange Mercedeskolonne blaulichtleuchtend, voraus die weißen Mäuse auf ihren Motorrädern, die Prominenz auf der Richard-Wagner-Allee hinunter in die Stadt und nach Hause, einige sicherlich auch ins Hotel Goldener Anker, dessen Besitzerin Anke Graf Regisseur Brüggemann erlaubt, ausgiebig vor der Kamera mit dem speziell wagnerianischen Bayreuther Stolz von ihren erlauchten Gästen zu schwärmen. Dort kommt dann die heutige Prominenz womöglich in den gleichen Zimmern unter, in denen außer Ausnahmekünstlern wie ein Patrice Chereau aber schon so kulturlose Gäste wie Hermann und Emmy Göring und Konsorten genächtigt haben, damals aber sicher wohl mit gehöriger Hoffart empfangen, muss man befürchten.

Den letzten Blick gönnt uns die Kameradrohne auf den Nukleus des Ganzen, mit Blick von ganz oben aus den Wolken auf das Festspielhaus auf dem Grünen Hügel, sie steigt höher und höher, dieses Mal unter den sphärischen Klängen aus Tristan und Isolde. Wohin mag sie fliegen? Natürlich nach Walhall, wohin denn sonst?


Ich muss gestehen, dass ich diesen Film bei all meiner Liebe zu der wunderbaren Musik Wagners einfach nicht ansehen kann, ohne all die Nebengedanken, die er bei mir aufruft, bin dabei aber sicher nicht allein. Aber er umschifft diese historisch-schmerzlichen Spuren keineswegs, lenkt die Zuschauer im Gegenteil immer wieder darauf, und das obwohl es nicht sein zentrales Thema ist. Dem Film also einen Vorwurf in dieser Stoßrichtung zu machen, wäre vollkommen unangebracht.


So bleibt ein großartiger Genuss eines unterhaltsamen, stimmig komponierten Films mit höchst ansehnlichen bis sensationellen Bildern eines vielleicht bislang (noch) unterschätzten Filmemachers, der tief hinter die Kulissen des Bayreuther Wagner-Spektakels gucken durfte. Obendrein ist er Bremer mit seinen familiären Wurzeln links der Weser, aufgewachsen in Kattenesch und Abiturient des Gymnasiums Huckelriede, damit in dem Stadtteil herangebildet, in dem ich meine Kinder- und Jugendzeit verbracht habe.


Es lohnt sich, am Ende sitzen zu bleiben und sich noch den Nachspann mit den Credits anzusehen, denn danach kommen noch einmal Herr und Frau Rauch abschließend zu einem gewichtigen Wort, eigentlich mit dem einzig gültigen Satz darüber, mit fränkischer Seele gesprochen, warum es das ganze Theater in Bayreuth überhaupt gibt.


Am Abend der Vorführung in der Gondel erzählte Regisseur Brüggemann dazu noch diese hübsche Anekdote: auf dem Nachhauseweg nach der Premiere des Films habe ihm Herr Rauch kommentiert: „Toller Film, mit so vielen wichtigen Leuten – aber nach dem Abspann kommt noch mal meine Frau. Und hat das letzte Wort. So wie zu Hause.“ – Diesen Monolog des Herrn Rauch sollte man unbedingt noch nachträglich in den Film einbauen und im off abspielen…


P.S.: Leider gab und gibt's den Film in Bremen nur noch zwei Mal zu sehen, gestern am Sonntagmittag in der Gondel, morgen im Atlantis. Da aber sowohl der Bayerische wie Mitteldeutsche Rundfunk als Koproduzenten beteiligt sind, kann man sicher davon ausgehen, dass der Film in nicht allzu weiter Ferne auch im öffentlich-rechtlichen TV laufen, und es damit ebenfalls in die Mediatheken schaffen wird. Aber vielleicht kann man den Film doch noch ein paar Male in der Gondel oder im Atlantis oder im Theater Bremen laufen lassen.


Vielleicht bequemt sich dann sogar auch der Weser-Kurier, diesen Film noch entsprechend in seinem Kulturressort zu würdigen, zu verreißen oder zu preisen, was auch immer ihm genehm sein mag. Ihn aber immerhin zur Kenntnis bringen, schließlich ist er das Produkt eines Bremer Filmemachers und Musikjournalisten, der dazu sogar einmal für das Blatt einige Folgen des Weser-Strandes moderiert hat.

 

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  • »Großartig, Deine drei Blogs, die mehr als Blogs sind - echte Perlen eines Kenners seiner Sujets! Das kann ich verstehen, dass Du so etwas am liebsten schreibst, denn es gelingt Dir perfekt, sehr nah und spannend für die LeserInnen. Es war eine schöne Lesestunde!« - Elisabeth R., Verlegerin Hamburg

 

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