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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Komplizenschaft Barcelona-Bremen


10.IV.2022 - "Para Guenter G. Rodewald - cómplice barcelonés en Bremen / Für Guenter G. Rodewald, Barcelonenser Komplize in Bremen - 19/3/2022" das steht nunmehr - mit sehr energischer Hand geschrieben - auf der Titelseite meines Exemplars der deutschen Ausgabe von Matthes & Seitz des letzten Romans von Cristina Morales. Sein Titel: Leichte Sprache - Lectura facil im Original.


Seit langem hatte ich vor, endlich einmal das Instituto Cervantes Bremen zu besuchen, auf das ich aus der Ferne, als ich noch in Barcelona lebte, immer so stolz war. Hatte doch Bremen seinerzeit im September 1995 das Rennen gegen den damals viel massiver auftretenden Konkurrenten in Gestalt der Stadt Hamburg für sich entscheiden können, die ebenfalls dem spanischen Kulturinstitut ein Domizil schaffen wollte.


Was am Ende den Ausschlag gegeben haben mag, warum die Leitung des Cervantes, das direkt dem spanischen Kulturministerium untersteht, sich für die eher bescheidene Bremer Bürgervilla am Schwachhauser Ring, in nur wenigen Fussminuten von Bremens einladendem Bürgerpark entfernt, entschieden hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Darüber können sicher andere berichten, die zu Zeiten der Entscheidung den Ereignissen näherstanden als ich aus der Ferne in Catalunya. Immerhin wurde es überhaupt so nach München erst das zweite Instituto Cervantes im deutschsprachigen Raum, da waren aber immerhin auch schon 20 Jahre nach dem Tod des Diktators Franco vergangen. Inzwischen gibt es vier weitere Institute in Deutschland, in Berlin, München, Frankfurt, eben Bremen, und mittlerweile auch längst eines in Hamburg. Ein weiteres gibt es in Wien, keines in der Schweiz! (Siehe Weser Kurier vom 9. Juli 1995).

Wie gesagt, ich hatte schon lange vor, dem Instituto meine "Aufwartung" zu machen. Vor kurzem schien mir eine gute Gelegenheit gekommen, denn für den 18. März, einen Samstag, war eine Präsentation des Romans Lectura facil / Leichte Sprache von der Gewinnerin zweier hoch angesehener spanischer Literaturpreise, den Premio Herralde de Novela 2018 (€ 18.000,-) und des Premio Nacional de Narrativa 2019 (€ 20.000,-), der Autorin und Tänzerin Cristina Morales, in Spanien bereits in seiner 17. Auflage, und in Deutschland gerade bei Matthes & Seitz in Berlin in der allseits hochgepriesenen Übersetzung von Friederike von Criegern erschienen.


Ich freute mich auf einen Abend, an dem ich mal wieder so richtig "schönes" Spanisch hören könnte, vielleicht auch mal wieder meine eigene schlichte Kenntnis des iberischen Idioms zu riskieren. Beides gelang!


Ich konnte das Buch aus Zeitgründen noch nicht lesen (bin aber dabei, es mir als Audiobook auf Spanisch von der Schauspielerin Paloma Jiménez mit wunderbarem andalusischen Akzent vorlesen zu lassen!), darum blende ich hier den Werbetext von Matthes & Seitz ein, der - nachdem wie der Roman am Abend im Cervantes diskutiert und von der Journalistin Janina Perez Arias im Dialog mit der Autorin präsentiert wurde, der angenehm, authentisch und mit Witz von Beate Löwe-Navarro übersetzt wurde, konnte man so schon einen recht guten Eindruck gewinnen. Und natürlich werde ich ihn demnächst selbst zu Ende gelesen / gehört haben!


Auch der von Gianna Lange an dem Abend professionell vorgelesene ungefähr 20 Minuten lange Auszug der deutschen Übersetzung hat schon viel von dem Charakter und dem Reiz von Morales' feministischem bis queeren, radikalen, nonkonformistischem bis subkulturellem Werk und seiner literarischen Qualität vermitteln können.

Spannend fand ich - habe ich mich doch während meiner langen Jahre in Barcelona in dem gleichen Ambiente getummelt - die schneidende, aber wohl bestens passende Charakterisierung der spanischen Verlagsszene, die Cristina Morales parat hatte: nein, die iberische Literaturindustrie sei keineswegs als patriarchalisch zu bezeichnen, denn sie werde von vielen Frauen bestimmt, in diversen Verlagen durchaus auch in den höheren Ebenen, in den mittleren sowieso (das ist aber in der ganzen Welt so). Auch die meisten Literaturagenturen, gerade die einflussreichsten, werden von Frauen dirigiert. So würde diese weibliche Vorherrschaft, gerade die in den weiblich besetzten höheren Etagen, gerne als patriarcado de faldas betitelt, als Patriarchat der Röcke.


(Anm.: Dazu passt eine Publikation aus dem vergangegnen Monat: die Autorin Carme Riera hat eine Biografie der legendären Literaturagentin Carmen Balcells geschrieben, "Carmen Balcells. Traficante de palabras" (in etwa: "Sie dealte mit Worten"). Dazu mehr in diesem Blog in den kommenden Tagen.)


Von einem interessanten Vorkommnis in der Genesis der Publikation von Lectura facil erzählte die Autorin: in ihrem Manuskript des Romans war in dessen Mitte ein etwa 100-seitiges Fanzine als Faksimile integriert, das das Original einer Schmähschrift (so würden wir es wohl nach Jan Böhmermanns Auseinandersetzung mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nennen) reproduzierte, das von dem in Spanien recht bekannten Autor Pablo Pineda Ferrer verfasst worden war, und in dem dieser seine sehr radikale und kritische Darstellung der Rolle der Behinderten in der spanischen Gesellschaft abgibt. Er selbst arbeitet außerdem als Lehrer für Pädagogische Psychologie und als Schauspieler, daneben ist er der erste Europäer mit Down-Syndrom, der einen Universitätsabschluss erlangte.


Der spanische Verlag Seix Barral, historisch gesehen einer der emblematischen literarischen Häuser Spaniens, aber bereits seit 1982 im Besitz der Grupo Planeta, der mächtigsten Mediengruppe Spaniens und Lateinamerikas, wollte Morales' Roman in sein Programm aufnehmen. Ein Deal, der der Autorin ebenfalls gut zu Gesicht gestanden hätte, da Seix jedoch unbeweglich darauf bestand, das Buch ohne den Mittelteil, also Pinedas radikales Fanzine zu publizieren, entschied Cristina sich gegen eine Veröffentlichung in diesem Verlag.


Dass sie und ihre Agentin Ella Sher dann quasi im nächsten Zug mit dem Roman den Premio Herralde gewonnen haben, kann als ein wirklich gelungener Coup gewertet werden, der Preis wird von vielen begehrt, Autoren, Autorinnen und Agenten und Agentinnen, und ist hoch angesehen, sowohl auf dem spanischen wie dem lateinamerikanischen Markt.


Dass dann Anagrama von dem Fanzine am Ende auch einen erheblichen Teil von guten 60 Seiten gekürzt hat, hat die Autorin dann am Ende akzeptiert und schob das bei der Veranstaltung im Cervantes auf die weit verbreiteten Scheren in den Köpfen der Lektorate, bzw. noch mehr vor allem in denen des Marketing, die zugunsten der Verkaufbarkeit von Literatur und dem Wunsch, nicht allzu sehr "aufzufallen", leichter zuschnappen als gerade in den Zeiten nach dem Gewinn der Publikationsfreiheiten, auf die man in Spanien während der dreineinhalb Jahrzehnte Franco-Diktatur und der strengen Zensur mit ihren bisweilen lächerlichen Auwirkungen zu verzichten gezwungen war.


Immerhin schmückt das spanische Cover des Romans das Graffiti: NI AMO | NI DIOS | NI MARIDO | NI PATIDO | NI FUTBOL, das dem spanischen Publikum sofort offensiv bis provokativ ins Auge springt, aber dem deutschen eher nicht viel sagen würde, auch nicht in seiner Übersetzung, die ich mal recht frei so formuliere KEINE HERREN | KEIN GOTT | KEIN EHEMANN | KEINE PARTEI | KEIN BAYERN MÜNCHEN (ich gebe zu, auf Spanisch klingt das 1.000 mal besser...). Aber es ist ein Motto, das die in Spanien auf eine lange Tradition zurückblickende und sich bis heute deutlich artikulierende politische Bewegung Gruppe der Anarchosyndikalisten kreiert hat.


So hat sich der deutsche Verlag ein anderes Motiv für das Cover ausgesucht, das sich nun auch nicht gerade prüde darstellt, ist es doch ein mit leichtem Strich hingeworfener weiblicher Akt, ein Torso mit weit auseinander gestreckten Beinen.


Ich wünsche der Autorin viel Glück mit der Ausgabe ihres Romans in unserer Sprache, ebenso dem Verlag Matthes & Seitz, der großen Mutes nit seiner Veröffentlichung beweist, denn der politische und gesellschaftliche Hintergrund und die dortige aktuelle Diskussion dem Erfolg des Romans in Spanien sicher nützliche und begrüssenswerte Unterstützung gegeben hat und weiter gibt, auf die kann der Verleger so direkt hier nicht spekulieren. Da muss der Roman mit seinen eigenen Kräften überzeugen, das Zeug dazu hat er aber allemal, hat er doch - das sei wiederholt - auch kräftige Hilfe duch seine Übersetzerin!


Was aber war an dem Abend im Cerevantes schief gelaufen?

Ich kann nicht verhehlen, dass ich mich an dem Abend gewaltig schämte: waren doch tatsächlich noch nicht einmal zehn Besucher zu der Veranstaltung gekommen, plus den Mitarbeitern des Instituts, den an der Lesung unmittelbar beteiligten Personen und der einsamen Buchhandelskollegin der Schweitzer Buchhandlung aus der Balgebrückstrasse; ich hoffe, sie konnte noch das eine oder andere Exemplar mehr von Cristinas Roman verkaufen, mein Exemplar war ihr erster Verkauf an dem Abend...


Immerhin hatte sich Cristina noch am Vorabend bei der lit.cologne über einen ausverkauften Kleinen Sendesaal des WDR freuen können, da finden immerhin über 150 Zuhörer Platz. So hoffe ich, dass sie auch an den fehlenden drei Tagen ihrer Tournee in Wien (am 21.3.), München (am 22.3.) und in Berlin (am 23.3.) von größeren Auditorien empfangen wurde.


Aber warum waren wir so wenige? Sind es immer noch die Auswirkungen der Pandemie, dass sich potentiell an der modernen spanischen Literatur und der spanischen (Sub-)Kultur Interessierte sich immer noch nicht wieder unter größere Gruppen wagen? War es das frühlingshafte sonnige, wenn auch durch den eiskalten Ostwind beeinträchtigte Wetter an dem Tag, dass in Frage kommende Besucher der Lesung sich vielleicht lieber auf ihre Räder haben schwingen und sich in die Weiten der Blocklandwiesen haben schlagen lassen?


Oder hatten die Veranstalter, vor allem das federführende Instituto Cervantes, wirklich ausreichend die Werbetrommeln gerührt? Eine bescheidene Ankündigung fand sich auf der Veranstaltungsseite des Weser-Kurier am Veranstaltungstag selbst, auf der Internetseite des Literaturmagazins Bremen, dort auch eine kurze Rezension von der Leiterin des Bremer Cervantes und Gastgeberin des Abends mit Cristian Morales, Mila Crespo Picó, eine Notiz auf der Facebook-Seite des Instituts, alles in allem gab es nicht viel mehr an Ankündigungen, Ein Hinweis noch auf der Homepage des Cervantes selbst, die allerdings die gleiche für alle 70 Cervantes in aller Welt ist, mit extrem unübersichtlichen Verweisen auf jeweils die örtlichen Institute. Allerdings nicht zu übersehen sind dabei die flott ins Auge fallenden Buttoms, die auf die Seiten zum Erlernen der spanischen Sprache verlinken, na ja, die bringen dann ja auch Geld ein...


Auf der Bremer Homepage des Cervantes tauchen allerdings um die 50 Institutionen auf, die als "Kooperationspartner" gefúhrt werden, von der Bremer Uni bis zum Bremer Theater. Wenn von der Hälfte dieser fünfzig Partner nur jeweils eine Person gekommen wäre, wären wir so schon um die 30 gewesen, die Cristina in Bremen empfangen hätten.


Nun ja, ich frage mich schon sowieso schon seit Ewigkeiten, wann das spanische Kulturministerium endlich einmal ein paar Euros auf den Markt und eine Initiative in Gang schmeisst, um eine neue Internetseite zu krieren, die auch heutigen Möglichkeiten und Sehgewohnheiten entspricht. Der aktuellen Seite attestiere ich ihren damaligen Start gefühlt in die Jahre, bevor Steve Jobs und Steve Wozniak ihre Tátigkeit in jener legendären Garage starteten.


Man kann nur hoffen, dass das Cervantes die Gelegenheit nutzt, der Einladung der spanischen Literatur als Gast der Frankfurter Buchmesse 2022 gerecht zu werden. Eine reizvolle Möglichkeit wäre das, der spanischen Literatur in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz einen weiteren Schub zu verschaffen. Denn nach wie vor hat sie es nicht leicht, sich auf dem hiesigen Markt zu platzieren, im Vergleich zu anderen fremdsprachigen Publikationen, wie (natürlich) die, die den anglo-amerikanischen Markt betreffen, aber auch Frankreich, Italien oder die skandinavischen Länder. Ich kenne diesen harten "Kampf" um solchen Platzgewinn aus meiner aktiven Zeit als Agent noch sehr gut, an der sich so mächtig viel nicht geändert zu haben scheint. Dabei ist der spanische Markt - auf der Iberischen Halbinsel wie in Lateinamerika, wie auch der katalanische - sehr vital und vielseitig und im besten Sinne autonom.


P.S.: In dem Zusammenhang freut es mich besonders, dass im Herbst tatsächlich einer der emblematischsten Romane des XX. Jahrhunderts, Niebla (Nebel) von Miguel de Unamuno (1864-1936) wieder neu erscheint, und zwar im Bonner Weidle Verlag, mit einem Nachwort von Wilhelm Muster (1916-2014), der war übrigens 1970 der Gewinner des Übersetzerpreises der von Hans Joachim Sell (1929-2001) gegründeten Deutschen Miguel-de-Unamuno-Gesellschaft mit Sitz damals in Bremen. Die Verleihung des Preises fand seinerzeit im Bremer Focke-Museum statt.

Siehe die Genesis von Niebla/Nebel in der deutschen Sprache, die reicht zurück bis ins Jahr 1927: https://bit.ly/3jjIlm9

 

Weblinks:

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info - Ich freue mich über jede Reaktion.

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