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Medea - Und das mitten in Vegesack

Autorenbild: Guenter G. RodewaldGuenter G. Rodewald

9. Februar 2025 - Gestern Abend fühlte ich mich versetzt in jene meiner jungen Jahre, als ich theaterbesessen wie ich war, neben den vielen Abenden auf der Bühne und im Zuschauerraum des Hübnerschen Theaters am Goetheplatz auch immer mal wieder die Treppen ins Souterrain des Hauses 30a der Schwachhauser Heerstraße hinabstieg, in das legendäre »Zimmertheater« des ebenso legendären Günther Huster (1912 - 1987), das er 1947 gegründet hatte und damit das erste Theater nach dem Krieg in Bremen inmitten der Ruinen. Auf seiner kleinen Bühne zeigte und spielte er die Stücke der Autoren, die von den Nazis verbannt oder totgeschwiegen waren, vor allem Vertreter des absurden Theaters wie Beckett, Cocteau, Genet, Ionesco und manch andere. Ich erinnere mich vor allem an das Ein-Mann-Stück ‚Das letzte Band‘ von Beckett, das Huster selbst spielte, ganz sicher eine seiner Paraderollen.  Nun, in seinem Theater saß man auch zusammen mit um die fünfzig Leute, eben fast so wie gestern, damit auch so gut wie auf der Bühne oder die Schauspieler im Zuschauerraum agierend. Also genauso wie am Samstag in dem kleinen Saal der »Studiobühne« des Gustav-Heinemann-Bürgerhauses mit der gleichen verbrauchten Luft wie damals bei Huster…


Dante / Dorfman


Ich besuchte damit tatsächlich das erste Mal eine Aufführung des Statt-Theater Vegesack, ein Amateurtheater, von dem ich schon viel gehört und gelesen hatte. Es existiert seit 1989 und ist eine feste Institution im kulturellen Leben des Stadtteils, aber längst ist es auch weit über dessen Grenzen bekannt. Als in jetzt neulich las, dass sich die Truppe an ein Theaterstück wagte, von dem ich wusste, dass sich dahinter ein sehr dichtes Drama verbirgt - mit nur zwei Personen, das ganze Stück über zusammen auf der Bühne, ohne Pause, ein intimes Drama - das also höchste Ansprüche an die Darsteller und die Regie stellt. Ich gebe zu, mit gewisser Skepsis trat ich an.


Der Titel des Dramas ist »Purgatorio«, also Fegefeuer, damit mit dem gleichen Titel wie der zweite Teil der La Divina Commedia von Dante Aligheri (1265 – 1321). Geschrieben hat es der Ariel Dorfman, 1942 in Buenos Aires und in eine jüdische Familie geborener Autor und Dramatiker. Seine Eltern zogen bald nach seiner Geburt erst in die USA, dann 1954 nach Chile, wo Dorfman Anfang der siebziger Jahre in der Regierung des Präsidenten Salvador Allende arbeitete, aber aufgrund des Militärputsches unter Augusto Pinochet ins Exil in die USA gehen musste. Zu seinen bekanntesten dramatischen Werken zählt das Drama Der Tod und das Mädchen, das das Statt-Theater bereits in seiner Saison 2006/2007 aufgeführt hatte, übrigens wurde es von Roman Polanski verfilmt (1994). Das Statt-Theater wusste also, welchen Hürden es sich jetzt mit dieser neuen Produktion stellen würde.


Und es gelang!


Der Inhalt der Geschichte ist recht schnell erzählt: Eine Frau und ein Mann, beide bleiben namenlos, betreten die Bühne: ein Zimmer. Wir sehen nur ein kleines Bett, zwei Stühle und einen Tisch. Könnte es eine Anstalt sein? Ein Gefängnis? Ein Verhörraum? Gegenseitig stellen die beiden Personen sich Fragen, beantworten sie. Beide konfrontieren sich mit den Wahrheiten ihres Lebens. Schnell wird klar, sie befinden sich tatsächlich in einem Fegefeuer, mal verhört er sie, mal verhört sie ihn. Ein gelungener effektvoller Regieeinfall: immer, wenn sie die Rollen tauschen, verlassen sie die Bühne nach hinten ins Dunkel und kommen in jeweils dem Kostüm der/des anderen zurück. Der/die verhört, ist dann in Weiß gekleidet, der/die Verhörte in Schwarz.


An keine Geringere als an die antike Tragödie der Medea knüpft Dorfman an, die von ihrer ersten Version des Euripides Stoff für diverse Dramen von Grillparzer, Anouilh, von Filmen von Pasolini, Lars von Trier oder von Opern von Cherubini, Aribert Reimann, von Gemälden von Malern wie Feuerbach oder Delacroix bis eben hin zu Dorfman reicht, und deren grausamer Inhalt die Ermordung der zwei Söhne durch deren eigene Mutter Medea bildet. Auch in Dorfmans Version geht es um den Tod, die Tötung, die Ermordung der beiden Söhne der Frau, aber eben auch den Verrat des Mannes, bei Euripides ist es Jason, bei Dorfman ist es der Mann.


Ein beeindruckendes Duo


Die beiden Darsteller der beiden Protagonisten sind Anni Bulcke und Kai Howald, zwei langjährige Mitglieder der Truppe, die diese anspruchsvollen Partien mit hoher Professionalität darstellerisch und sprachlich fesselnd auf die Bühne bringen. Man sieht und hört ihnen mit nicht nachlassender Spannung zu, nie ziehen sich die Dialoge in die Länge, all das geschieht zudem in unmittelbarer Nähe des Publikums, kein erhöhtes Podium, keine Vorbühne schützt sie. Geführt werden beide Darsteller durch die stringente und sehr bewegliche Regie von Laura Schimmler.

Die Protagonisten Anni Bulcke und Kai Howald · Foto: Foto: Eiko Braatz
Die Protagonisten Anni Bulcke und Kai Howald · Foto: Foto: Eiko Braatz

Das Bühnenbild hält sich streng an die von Dorfman in seiner Szeneanweisung angegebene Ausstattung: „Ein weißer Raum, schmucklos, asketisch. Keine Dekoration. Ein schmales Bett. Ein Tisch. Zwei Stühle.“ Oben an der Decke fixiert eine Videokamera, die die gegenseitigen »Verhöre« aufnimmt und die ohne Pause blinkt und damit die permanente Kontrolle und Überwachung des Gesprochenen und dem Handeln der beiden Personen durch externe, übergeordnete Vollzugsorgane noch stärker verdeutlicht. Vielleicht hätte es noch größere Spannung erzeugt, wenn Bilder der Videokamera mit den Aufnahmen der beiden Akteure an den hinteren Prospekt der Bühne projiziert worden wären, eventuell sogar in schwarz-weiß.


Es bleibt ein rundum gelungener Abend, der mit Dorfmans Text (in der gelungenen Übersetzung aus dem Spanischen von Uwe B. Carstensen) und der Dichte und Direktheit der Dialoge durchaus hohe Ansprüche an das Publikum stellt, das sich aber mit einem überaus herzlichen Applaus bedankt.


Es wird sicher nicht mein letzter Besuch einer Produktion des Statt-Theaters bleiben*, allein schon wegen der Verlockung, wieder wie gestern in den Genuss einer Premierenfeier mit einem üppigen Büfett und der Möglichkeit, mit den Akteuren des Abends und den weiteren Mitgliedern dieser Truppe und anderen Besuchern der Vorstellung ins Gespräch zu kommen...

 

* Die nächste Produktion wird nach 'Purgatorio' ganz verschieden ausfallen, es wird die Komödie 'Mein Freund Harvey' von Mary Chase werden (Mai-Juni 2025)


** Das oben eingeblendete Gemälde stammt von Bernard Safran (1924 - 1995): Medea, 1964

 

Weitere Vorstellungen:


  • Sonntag, 09.02.2025 16:00 Uhr

  • Freitag, 14.02.2025 19:30 Uhr

  • Samstag, 15.02.2025 18:00 Uhr

  • Sonntag, 16.02.2025 16:00 Uhr

  • Freitag, 21.02.2025 19:30 Uhr

  • Samstag, 22.02.2025 18:00 Uhr

  • Sonntag, 23.02.2025 16:00 Uhr

    Alle auf der Studiobühne des Gustav Heinemann Bürgerhaus

 

Weblinks:

  • Homepage | Statt-Theater Vegesack: Link

  • Rezension | Jörg Hildebrandt | DIE NORDDEUTSCHE: Link

  • Das Bremer Zimmertheater des Günther Huster: Link

  • Der Text das Dramas: Link

 


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