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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Mein Ring des Nibelungen oder: Absturz in Nibelheim

Aktualisiert: 28. Aug. 2022


Neulich tauchte auf der recht aktiven Facebook-Gruppenseite „Bremer Geschichten und Geschichte“ (https://www.facebook.com/groups/bremer.geschichte), die manch überraschende Information oder bisweilen nie gesehene historische Bilder aus Bremens Geschichte bietet, ein Foto aus einer Ausgabe des Magazins „Bremen heute“ aus dem Jahre 1959 auf, das ein Probe- oder Aufführungsfoto einer Inszenierung aus dem gleichen Jahr von Richard Wagners Opernepos ‚Der Ring des Nibelungen‘ zeigte. Auf ihm waren Liselotte Thomamüller (1908-1988) und Caspar Bröcheler (1912-1971) zu sehen, sie war seit 1938, er seit 1940 am Bremer Theater engagiert. Beide wurden in den 50er Jahren zu Kammersängern ernannt. Außerdem waren sie miteinander verheiratet.


Sie waren stimmgewaltige Operninterpreten, weit über Bremens Grenzen hinaus bekannt und an vielen Bühnen aufgetreten, u.a. in Bayreuth und der Hamburgischen Staatsoper, sie als dramatischer Sopran, er als Heldenbariton. Auch physisch zwei eindrucksvolle Persönlichkeiten, so wie Wagner-Sänger*innen zu dieser Zeit auszusehen hatten.


Ich selbst war von 1963 bis 1969, erst im Knabenchor in Puccinis ‚Turandot‘, danach als ständiger Statist und Kleindarsteller an dem wunderbaren Theater Bremen von Kurt Hübner anzutreffen, das gleichsam zu meiner zweiten Heimat geworden war, was meine Eltern großzügig tolerierten. (Siehe auch meinen Blog-Beitrag 'Kurt Hübner. Das Theaterungeheuer' - https://bit.ly/3ce7gnO)


Irgendwann gegen Ende der 60er Jahre wurde die alte Produktion vom ‚Ring‘ in der für die damalige Zeit nicht gerade gewagten, aber doch neue Akzente setzenden Inszenierung des Bremer Alt-Intendanten Albert Lippert aus dem Fundus hervorgeholt und die gesamte Produktion wieder aufgenommen, die eigentlich aber nicht mehr wirklich in die Zeit Ende der 60er Jahre passte. Aber das ‚neue‘ Theater von Hübner, Zadek, Minks & Co. musste immer noch mal wieder dem in großen Teilen durch sie verstörten konservativen Bremer Abonnementspublikum Zucker reichen. Und mit einem 'Ring' aus alten, ruhigeren Zeiten war das möglich, obwohl auch schon längst Operninszenierungen frischere Luft in Bremen zu atmen begonnen hatten, z.B. durch die vielen Arbeiten von Götz Friedrich ('Carmen', 'Don Giovanni' , 'Salome' und fünf weitere).

Liselotte Thomamüller und Caspar Bröcheler auf der Bühne von Günther Scheider-Siemssen in Bremen

Und ebenso traten auch ‚die‘ Thomamüller in den Sopranrollen des ‚Rings‘ wieder auf, wie ebenso Bröcheler als Wotan und Wanderer, und alles auch wieder in dem monströsen stählernen Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen, das zweifellos beeinflusst von der Bühne von Wieland Wagners Ring-Inszenierung und dessen Bühnenbild in Bayreuth (1951-58) war.


Schneider-Siemssen ging 1960 übrigens nach Wien, wo er u.a. der Lieblingsbühnenbildner von Herbert von Karajan wurde, und für den er insgesamt 28 Produktionen ausstattete. Z.B. auch wieder einen 'Ring' bei den ersten Salzburger Osterfestspielen 1967, bei dem er deutlich mehr Platz für seine Ideen zugesprochen bekam als auf der eher eingeschränkten Bremer Bühne sieben Jahre zuvor...

Schneider-Siemssens Entwurf für Karajans 'Walküre' bei den Salzburger Festspielen 1967

Ich selbst durfte im ‚Rheingold‘, dem ersten Teil der Wagnerschen Tetralogie, als Statist einen der Zwerge darstellen, die in der unterirdischen Schmiede Nibelheim von Alberich unter dessen Knute arbeiten mussten und von ihm drangsaliert wurden. Wir waren mit schmutziggrünen Anzügen kostümiert worden und auf unsere Köpfe hatte man uns ebensolch gefärbte Vollmasken gestülpt, in die Fliegengitter als Sehschlitze eingesetzt waren, durch die man mehr schlecht als recht sah. Ich umso schlechter, da ich als damals schon stark kurzsichtiger Jugendlicher unter der Larve ohne meine Brille auskommen musste.


Auf der im Foto abgebildeten schrägen Drehscheibe mussten wir hin- und herkrabbeln, in den Armen große Goldklumpen aus Pappmaché mit uns herumschleppend, die zwar deshalb nicht viel wogen, aber beim Umherkrabbeln schon stark behinderten. Während unserem Herumgekreuche verdrehte sich auf meinem Kopf plötzlich der muffig stinkende Maskenkopf, weil mich jemand von den anderen Zwergen angerempelt hatte, so dass ich nichts mehr, aber wirklich auch gar nichts mehr sah. So irrte ich an der gefährlich hohen hinteren Kante der Scheibe blind umher und – so musste es natürlich kommen – fiel plötzlich in die Tiefe. Ich schätze, drei Meter müssen es wohl gewesen sein.


Da lag ich nun hinter Schneider-Siemssens großem Eisen-UFO und stellte zwar erleichtert sofort fest, dass ich den Sturz wohl unverletzt überstanden hatte, aber mir nichts anderes übrigblieb, als bis zum Schluss der Oper da hocken und verharren zu müssen, da es in dieser Inszenierung keine Dekorationswechsel gab, also auch der Vorhang zwischen den jeweiligen Bildern und Szenen nicht zugezogen wurde und sich mir so eine Fluchtmöglichkeit geboten hätte.


Ich konnte jedoch von Glück sagen, dass das ‚Rheingold‘ selbst ‚nur‘ knappe zwei Stunden dauert, die allerdings ohne Pause. So konnte ich mich aber erst nach dem Schlussapplaus aus meiner Wagnerschen-Schneider-Siemssenschen Zwergen-Gruft befreien. Im Übrigen hatte mich in der Zwischenzeit keiner vermisst, obwohl all meine Zwergenkollegen längst auf dem inszenierten originalen Weg die Szene verlassen hatten und die meisten wohl schon lange wieder zu Hause saßen.


Einige hockten jedoch noch in der Kantine im Untergeschoss des Theaters hinter ihren Bieren, ich natürlich dann auch, und ebenso saßen da – eigentlich wie immer, wenn sie ihre Arbeit auf der Bühne beendet hatten – mit großem Durst und unübersehbarem Appetit vor üppigen Tellern mit Bauernfrühstück die Eheleute Thomamüller und Bröcheler.


Am Ende drängt sich dem Chronisten die Frage auf, ob die Zeit nicht mal wieder reif wäre, Bremen einen Nibelungen-Ring in einer 2.0-Inszenierung zu gönnen. Der Generalmusikdirektor und die Bremer Philharmoniker hätten doch sicher Vergnügen daran. Und ein Regisseur der jungen Riege sollte doch auch zu finden sein, der Reiz daran fände, dem heute wesentlich aufgeschlossenerem Bremer Publikum ein solches Gesamtkunstwerk zu präsentieren, als man es ihm noch in den 50er und 60er Jahren zumuten mochte. Z.B. ein Axel Ranisch (https://axelranisch.squarespace.com/), der bereits große Erfolge als innovativer Opernregisseur in München, Stuttgart oder Lyon feiern konnte? Und ebenso wird es einen Szenographen geben, den die Aufgabe reizen würde, eine passende Lösung für das bombastische Epos mit seiner recht bescheidenen Bühnenöffnung von nur 9,50 m Breite und einer maximalen Höhe von nur 6,80 m ausgestatteten Spielfläche zu finden.

Hier eine kleine Dokumentation aus Artikeln aus "Bremen heute" und dem "Weser-Kurier" aus den Jahren 1959-1960: https://t1p.de/rass


P.S.: Dank an Falk Meier für die Recherche.

 

Übrigens: In Bremen-Walle ist eine Straße nach Liselotte Thomamüller benannt.


1984 erschien in der Reihe "Stimmen, die um die Welt gingen" das Heft #83: Liselotte Thomamüller, Caspar Bröcheler. 134 Seiten, mit vielen Abbildungen. Hrsg.: Günter Walter

 

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