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AutorenbildGuenter G. Rodewald

My Ghost Writers - Heute: Juan Puchades

Aktualisiert: 19. März


Gerne biete ich anderen Personen meinen Blog an, um auf ihm unter dem Titel My Ghost-Writers ihre Artikel, Meinungen oder Erzählungen zu veröffentlichen. Heute ist es Juan Puchades, ein hochrenommierter spanischer Musikkritiker und Autor, der kürzlich auf der Homepage www.efeeme.com eine Rezension einer LP aus dem Jahre 1998 geschrieben hat. Ich habe diese Platte vor vielen Jahren – wohl 1987 oder so – das erste Mal selbst gehört. Aber seitdem nie wieder - aber jetzt! *)

 

Juan Puchades:

Aus der Backlist · Poetas en Nueva York (CBS, 1986)


Anlässlich des 50. Jahrestages der Ermordung von Federico García Lorca im Jahre 1936 wurde das Album Poetas en Nueva York veröffentlicht, in dem zusammen unter anderen Leonard Cohen, Lluis Llach, Chico Buarque, Angelo Branduardi, Paco de Lucía, Víctor Manuel, David Broza, Georges Moustaki und Mikis Theodorakis Gedichte aus dem Werk Poeta en Nueva York von Federico García Lorca vertont und aufgenommen haben. Juan Puchades erinnert sich.


Die Bedeutung eines Covers. Das erste, was beim Erscheinen dieser LP 1986 auffiel, war ihr Cover: eine Illustration, die der großartige Eduardo Úrculo (1938 - 2003) für diesen Anlass schuf, mit seinem klassischen Reisenden im Trenchcoat und mit Panamahut, immer mit dem Rücken zum Betrachter (nur die sonst üblichen Koffer fehlen), mit Blick vom Hudson River auf New York.


Das war höchstes Niveau: einer der Hauptvertreter der spanischen Pop-Art, eine Figur von internationalem Ansehen, schuf das Cover eines Plattenalbums. Ein Werk von enormer Schönheit, das mit wenig auskam: eine schlichte Typografie für den Titel und die Namen aller mitwirkenden Interpreten. Alles zusammen eine authentische Einladung, sich dieses kollektiv entstandene Album zu besorgen, das damals etwas ganz Besonderes versprach.


Poetas en Nueva York war ein ungewöhnliches Projekt in der damaligen spanischen Plattenindustrie, die nicht sehr einfallsreich war, wenn es darum ging, Alben zu konzipieren, die aus dem Rahmen fielen. Aber dem damaligen Präsidenten von CBS für Spanien und Portugal, Manolo Díaz - ja, ja, der gleiche Singer-Songwriter und Komponist der sechziger Jahre; ach, wie entscheidend kann es doch sein, dass die Entscheidungen in den Plattenfirmen in Händen von Leuten liegen, die die Musik kennen und lieben! - kam in den Sinn, eine Hommage auf Poeta en Nueva York zu kreieren, das Werk von Federico García Lorca, das an der Wende von den zwanziger Jahren auf die dreißiger geschrieben wurde (allerdings erst 1940 zum ersten Mal im mexikanischen Exil-Verlag Editorial Séneca erschien), und mit der man an den fünfzigsten Jahrestag der Ermordung des Poeten erinnern wollte.


Eine überaus ehrgeizige Initiative mit hohem internationalen Anspruch, bei der Lorcas Gedichte vertont und von verschiedenen Liedermachern in verschiedene Sprachen übersetzt und in ihnen gesungen werden sollten: auf Spanisch, Katalanisch, Englisch, Italienisch, Hebräisch, Portugiesisch, Griechisch und Deutsch (merkwürdigerweise wurde Französisch ausgelassen).


So wurde dieses Album, das von der Mischung diverser Sprachen, Akzenten und Klängen durchsetzt ist, gleichzeitig eine Hommage an die Komponisten von populärer Musik, die vielleicht am sorgsamsten mit Worten umgehen, den Liedermachern; oder besser auf Englisch singer-songwriters, (für diejenigen, die Beklemmungen bei dem Begriff Liedermacher bekommen…).


Gewissermaßen einer Umarmung gleich wird die Kompilation von den beiden längsten – und den beeindruckendsten! - Songs eröffnet und abgeschlossen: „Take the Waltz“ („Pequeño vals vienés“), vertont und interpretiert von einem höchst inspirierten Leonard Cohen und der „Oda a Walt Whitman" von Patxi Andión.


Dem ersten Song, ein Monument geradezu, kann an dieser Stelle nur wenig hinzugefügt werden, da „Take the Waltz“ zu einem der emblematischsten von Cohens Stücken gezählt werden muss. Ein immenses Thema, von trostloser und unvergänglicher Schönheit, das Cohen zwei Jahre später (etwas retuschiert) in sein gefeiertes I'm your man aufnehmen und zu internationalem Ruhm erheben sollte.


Auf der anderen Seite markiert Patxi Andión mit seiner Komposition eine tour de force, wie er die sieben Minuten lange unermessliche "Oda a Walt Whitman" interpretiert, musikalisch in Komposition, Produktion und Arrangement perfekt und mit seiner durchschlagenden Stimme eines singer-songwriters im ersten Teil. Patxi wurde nie angemessen gewürdigt, unausweichlich dass sein Schaffen erst noch entdeckt und gewürdigt werden muss


Aber, das muss gesagt werden, in Poetas en Nueva York gibt es keine Sonderbehandlungen: alle Teilnehmer haben ihr Bestes gegeben, spürbar sicher im Bewusstsein des sensiblen Materials, an dem sie arbeiteten. Auf iberischer Ebene der Beitrag von Lluís Llach mit "Els negres (Norma i Paradís)" ("Norma, Paraíso de los negros") auf Katalanisch, in Llachs eigenem, einzigartigen Stil, das er hier mit voller Verve herausschmettert.


Natürlich durfte der Flamenco nicht fehlen, und es sind die Brüder Pepe und Paco de Lucía, die ihr großes Können in "Asesinato" unter Beweis stellen. Der andere spanische Künstler ist Víctor Manuel, der sich in einem der inspiriertesten Momente seiner Karriere befand (und das ist keine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, wer er ist), als er das bedeutende "Nacimiento de Cristo" veröffentlichte. Im selben Jahr nahm Víctor es auf sein Album Para la ternura siempre hay tiempo mit Ana Belén auf (die hier den zweiten Gesang übernimmt).

Den italienischen Beitrag liefert Angelo Branduardi, der wie immer sehr feinfühlig mit der Schönheit des Baroque Pop spielt, ein sensibles und strenges, mit seiner Stimme alles dominierendes "Grido a Roma" ("Grito hacía Roma") beisteuert. Aus Israel, via New York, kam damals ein bei uns damals noch unbekannter (ich würde sagen, dass dies das erste seiner Werke ist, das in Spanien veröffentlicht wird) dazu: David Broza spielt und interpretiert auf Hebräisch "Tu infancia en Mentón": eine inspirierte Pop-Ballade, die durch die „heiß“ gespielte Gitarre eine spanische Färbung erhält. Aber vergessen wir nicht, dass Brozas Stil zu einem großen Teil auf die spanische canción de autor zurückgeht.


In den frühen achtziger Jahren war Raimundo Fagner einer der wenigen Brasilianer, die versuchten, auf dem spanischen Markt Fuß zu fassen. Außerdem nahm er bereits für die CBS Portugal auf, so wurde er derjenige, der die portugiesische Sprache beisteuerte, aber zusammen, Obacht!, mit dem großen Chico Buarque, mit einem wunderschönen traumwandlerischen, mit jazzigen Reflexionen geschmückten, "A aurora" ("Die Morgendämmerung"), in Noten gesetzt von Fagner und mit den Stimmen von beiden.


Ein weiteres Highlight, in einer Art Wettbewerb, wer gibt mehr?, ist die Liaison von, man glaubt es kaum, Georges Moustaki und Mikis Theodorakis in "Son de negros en Cuba". Zwei Kraftgestalten, die schon einmal 1970 auf einer Single eine flüchtige Begegnung hatten. Und obwohl wir Moustaki eher im Orbit des französischen Chansons verorten (und mit seiner Teilnahme in gewisser Weise diese Flanke abgedeckt wird), ist der in Ägypten Geborene doch griechischer Herkunft. Und auf Griechisch interpretiert Moustaki dieses ebenso traurige wie erhabene Lied mit der ganzen Kraft von Theodorakis' Musik und seinen ägäischen Klängen.


Es gibt eine weitere Komposition in englischer Sprache. In diesem Fall kommt sie von der britischen Insel, mit einem der legendären singer-songwriter: Donovan, der ein suggestives und verspieltes "Unsleeping City" (“Ciudad sin sueño”) singt. Das am wenigsten gelungene Stück, das unter seinen schlechten Produktionsbedingungen leidet (und dem die Zeit auch nicht gut getan hat), obwohl es schön strukturiert ist, ist das des historischen deutschen Liedermachers Manfred Maurenbrecher, der "Kleines unendliches Gedicht" („Pequeño poema infinito“) singt.


Poetas in New York darf man gut und gerne eine hervorragende Produktion nennen, was bei dieser Art von kollektiver Arbeit nicht einfach ist, die dazu neigt, leicht zu erlahmen. So kletterte die Produktion seinerzeit sogar überraschenderweise in Spanien an die Spitze der Verkaufscharts. Die Tatsache, dass es heute noch auf digitalen Plattformen zu finden ist, ist eine gute Gelegenheit, die Sammlung noch einmal zu hören oder sich dem Album neu zu nähern: Wenn Sie es nicht kennen, lassen Sie sich darauf ein, es wird Sie nicht enttäuschen. Ach ja, und wenn man die alte Vinyl-Ausgabe findet, kann man Úrculos Gemälde auf dem Cover in voller Größe genießen (im Inneren findet man außerdem ein Dreifachblatt mit allen Lorca-Originaltexten der Gedichte und ihren Übersetzungen in den verschiedenen Sprachen), sowie einen Text über Lorca und sein Poeta en Nueva York des Lorca-Biographen Ian Gibson auf der Coverrückseite.


Juan Puchades, 2021

 

*) Die LP oder die CD von Poetas en Nueva York sind nicht mehr lieferbar, außer antiquarisch. Aber sowohl z.B. auf Spotify oder bei iTunes kann man sie anhören und downloaden!

 

Über Lorcas Poeta en Nueva York in der deutschen Übersetzung:

Als »Lyrik zum Die-Pulsadern-Aufschneiden« bezeichnete Federico García Lorca die Gedichte, die er 1930 aus New York und Havanna mit nach Hause brachte, deren Drucklegung er jedoch nicht mehr erleben sollte. Der schließlich 1940, vier Jahre nach der Ermordung des Autors, im spanischen Exilverlag in México D.F. veröffentlichte Band Poeta en Nueva York galt jahrzehntelang als eine Art pathologisches lntermezzo, eine vorübergehende Verdüsterung im Werk des andalusischen Dichters.


Das hat sich gründlich geändert. Aus heutiger Sicht erscheint Dichter in New York in seiner entfesselten bildlichen Phantasie zwar immer noch als ein extremes Buch, ist jedoch längst als Höhepunkt nicht nur der spanischsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts anerkannt, deren Entwicklung es nachhaltig beeinflusst hat. Getrost darf man diesen fremden Lorca, der in deutscher Sprache noch zu entdecken ist, seinen Zeitgenossen César Vallejo und Pablo Neruda zur Seite stellen. Wo unsere Landkarten New York verzeichnen, liegt in Wirklichkeit eine andere Stadt. Es gibt nur einen Zugang zu ihr - Lorcas Gedichte. (Text: Klappentext / Ausgabe Suhrkamp Verlag).

Dichter in New York erschien 2000 zweisprachig, endlich in einer neuen Übersetzung und mit einem Nachwort von Martin von Koppenfels (*1967), die den Stand der heutigen Lorca-Forschung berücksichtigt, und auf der Grundlage von Lorcas Manuskripten, die erst in den 90er Jahren in Mexiko gefunden wurden. Bis dahin kannte man auf Deutsch nur die umstrittene, oft verfälschende Übersetzung durch Enrique Beck (1904 - 1974), der bis zu seinem Tod und danach weiter die nach ihm benannte Stiftung das Monopol über alle deutschen Übersetzungen der Werke Lorcas hatte und keine anderen zuließ (siehe NZZ vom 2.9.2008). Die Ausgabe in Koppenfels‘ Übersetzung ist nach wie vor in der Bibliothek Suhrkamp zu beziehen.


FEDERICO GARCÍA LORCA wurde am 5. Juni 1898 in Fuente Vaqueros bei Granada geboren. Nach musikalischen Versuchen wandte er sich der Literatur zu, vor allem der Lyrik und dem Theater. Seit 1919 lebte er in Madrid. LängereReisen führten den erfolgreichen Dramatiker in die USA, nach Kuba und

nach Argentinien. Im August 1936 wurde García Lorca nahe seiner Heimatstadt von Falangisten ermordet.

 

Weblinks:

 

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