28.02.2024 - Gerne biete ich anderen Personen meinen Blog an, um auf ihm unter der Rubrik My Ghost Writers ihre Artikel, Meinungen, Interviews oder Erzählungen zu veröffentlichen. Heute ist es die Literaturkritikerin Katrin Krämer, die hier ein neues Buch vorstellt: NACH DEN FÄHREN ist sein Titel, Thea Mengeler seine Autorin und erschienen ist es gerade im Göttinger Wallstein Verlag.
THEA MENGELER: NACH DEN FÄHREN
WALLSTEIN VERLAG : GÖTTINGEN 2024
BUCHTIPP : BREMEN ZWEI : DIENSTAG : 27.02.2024
Anja Goerz: Ganz kurz vor der Leipziger Buchmesse gibt es natürlich ein wahnsinniges Angebot, wo Sie im März in den Messehallen in Leipzig wieder alle durch die Neuerscheinungen durchgucken und alles anlesen, haben auch hier bei uns natürlich die Kolleginnen und Kollegen bei den Rezensionen die große Aufgabe, aus den Neuerscheinungen richtig tolle Sachen rauszusuchen. Und einen besonderen Roman hat die Kollegin Katrin Krämer gefunden. Dieses Buch heißt Nach den Fähren, und es gibt, wie gesagt, eine Menge an Zusendungen, zum Teil als Buch, zum Teil auch durch Kollegen, Kataloge. Aber die Frage ist natürlich, wie findet man so ein Schätzchen, das nicht nur dann angelesen, sondern auch zu Ende gelesen wird? Also, Katrin Krämer, was hat dich gefesselt an diesem Roman, beziehungsweise wie bist du überhaupt auf ihn aufmerksam geworden?
Katrin Krämer: Ja, das war das grafisch sehr schöne Cover, das der Wallstein Verlag gestaltet hat. Im Vordergrund sieht man ein Schwimmbassin oder swimming pool mit den Kacheln, darin eine etwas zu hoch hängende Leiter, um sie erklimmen zu können, und dahinter ist die Andeutung des offenen Meeres, der Horizont zu erkennen, und das alles so in pastelligem Türkis, blaugrün. Die Schrift ist im art-decó-Stil gehalten, und auch der Titel Nach den Fähren, der hat mich wirklich neugierig gemacht.
Anja Goerz: Und die Frage ist: Thea Mengeler heißt die Autorin, ist nicht so wahnsinnig bekannt, jedenfalls mir nicht, und ich glaube, viele werden sagen, Namen noch nie gehört. Die haben es immer ziemlich schwer, auf sich aufmerksam zu machen. Wer ist diese Autorin?
Katrin Krämer: Thea Mengeler hat literarisches Schreiben in Hildesheim studiert, aber auch Kommunikationsdesign in Kiel und Istanbul, und die 36-jährige hat auch schon einen Roman publiziert: Connect war 2022 in einem Grazer Verlag erschienen. Da geht es um die Branche, für die sie auch als Texterin arbeitet, nämlich für die Werbung.
Anja Goerz: Worum geht es in Nach den Fähren?
Katrin Krämer: Der Roman spielt auf einer namenlosen Insel, die ihrer Beschreibung nach keine Nord- oder Ostfriesische ist, sondern irgendwo im Süden liegt, vielleicht eine Mittelmeerinsel. Die Personen, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen, die haben keine Namen, sondern werden genannt: der General, die Frau des Generals, die Doktorin, die Bäckerin, der Barmann und der Hausmeister, und denen nähern wir uns jetzt abwechselnd in kurzen Kapiteln oder unterschiedlich kurzen oder langen Kapiteln und erfahren da nach und nach immer mehr über sie. Der Hausmeister hütet zum Beispiel den früher mal belebten Sommerpalast. Der steht jetzt leer, und er kümmert sich einfach um das, was es da noch gibt. Die Doktorin kommt auf die Insel nach wie vor als Touristin, weil das tut sie schon ewig, und sie liest da immer sehr viel, vergräbt sich hinter Büchern. Der General ist dement und seine Frau pflegt ihn. Sie träumt aber vor allem davon, die Insel endlich verlassen zu können. Also, das sind jetzt nur mal so andeutungsweise die Koordinaten dieses Romans.
Anja Goerz: Klingt jetzt auf dem ersten Blick erst mal alles ziemlich formal. Ist es das?
Katrin Krämer: Auf eine Art ist es sehr formal, und ich habe mich beim Lesen auch regelrecht an ein ja wie so ein Legespiel erinnert, also wo so Holzteile so lange herumgeschoben werden, bis sie irgendwie eine stimmige Figur ergeben, bis sie einander passen, und es hat auch fast etwas mathematisch Strenges. Die Charaktere, die treffen sich, die gehen wieder auseinander und so weiter. Ich hatte auch die Assoziation Theaterstück auf einer Drehbühne, wo wir dann immer wieder eine andere Perspektive erleben.
Anja Goerz: Und wie füllt Thea Mengeler dieses, wenn ich sage mal Koordinatensystem, dann so mit Leben, dass daraus ein gut lesbarer Roman wird?
Katrin Krämer: Ja, das tut sie vor allem durch das Grundthema. Das ist die existenzielle Angst, dass die Touristen wegbleiben. Die Insel lebte lange Zeit von den Urlaubern, aber die bleiben auf einmal aus. So erklärt sich eben auch dieser Titel Nach den Fähren. Die Insulaner erleben dadurch sehr große Veränderungen. Die müssen sich jetzt alle neu orientieren, auch neu erfinden. Aber meine anfängliche Befürchtung, da könnte es sich um ein Dörte-Hansen-Zur-See-Aufguss handeln, wo es ja auch um eine Insel geht, die sich durch den Tourismus so stark verändert hat, die wurde zum Glück überhaupt nicht bestätigt.
Die Charaktere hier in diesem Roman bewegen sich eben nach und nach aufeinander zu, gehen Verbindungen ein, enthüllen ihre Geschichten. Es geht dabei ganz viel um Sehnsüchte und Träume. Es geht auch ein bisschen surreal zu, also jeder sucht wirklich seinen Platz, und das ist einfach wahnsinnig klug konzipiert, und das alles ist in einem faszinierenden, ich würde sagen, fast altmodischen Erzählton geschrieben.
Das hat nichts Realistisches, aber was sehr Griffiges, und das hebt sich, jedenfalls für mich, sehr ab von dem, was ich ansonsten gerade so von jungen Literaten lese, und dazwischen gibt es dann auch immer sehr poetische Passagen. Das ist ein Buch, was mich in dieser filigranen Konstruktion, den Grundgedanken und der sehr, sehr kraftvollen, besonderen Sprache total überzeugt hat..
Anja Goerz: Katrin Krämer über Nach den Fähren von Thea Mengeler, erschienen im Wallstein Verlag, 176 Seiten für 20 Euro.
© Katrin Krämer 2024
Diese Rezension erschien im Live-Hörfunkprogramm des ARD-Senders Bremen Zwei am Morgen des 27.02.2024, im Gespräch mit Katrin Krämer war die Moderatorin Anja Goerz. Die Transfer der Audio-Version in diesen Drucktext erfolgte via Amberscript®. Die Wiedergabe beider Versionen erfolgen nach ausdrücklicher Genehmigung durch die Autorin und gilt nur für den präsenten Zusammenhang.
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