17.12.2024 - Gerne biete ich Autoren und Autorinnen, mit denen ich befreundet und/oder ich mich verbunden fühle, meinen Blog an, um auf ihm unter der Rubrik My Ghost Writers deren Artikel, Meinungen, Interviews oder Erzählungen zu veröffentlichen. Heute ist es der deutsche Schriftsteller Johann-Günther König. Der 1952 in Bremen geborene König macht sich unter vielem anderem darum verdient, Autoren und Persönlichkeiten aus der Politik und der Kultur, die eine Verbindung zu der Hansestadt Bremen haben, weil sie hier geboren wurden oder gewirkt haben, aber in Vergessenheit geraten waren oder auch vergessen werden sollten, wieder ins öffentliche Bewusstsein zu hieven.
So ist es ihm - im engen Zusammenwirken mit dem Bremer Übersetzer, Essayist und homme de lettre Jürgen Dierking (1946-2026) gelungen - die Werke von Friedo Lampe (1899-1945) im Göttinger Wallstein Verlag in kritischen Ausgaben neu herausgegeben zu haben. Sie waren oder wurden in der NS-Zeit verboten, erschienen in der BRD danach in teilweise verfälschten Ausgaben und dann irgendwann gar nicht mehr.
Sein Meisterstück ist in diesem Zusammenhang seine und damit die erste existierende umfangreiche Biographie des lange verkannten und von der editorischen Oberfläche verdrängten Lampe: »Friedo Lampe · Eine Biographie« (Wallstein, Göttingen 2020). Diese neue Präsenz Lampes im Buchhandel und in den Feuilletons hat sicher auch dazu beigetragen, den Basler Literaturwissenschaftler Thomas Ehrsam (1954, Bern) zu stimulieren, die zweibändige Ausgabe der »Briefe und Dokumente« von Friedo Lampe (Wallstein, 2018) herauszugeben.
Ebenso versucht König, an das Leben und das Wirken des Bremer Historikers, Publizisten und Politikers Ludwig Quidde (1858-1941) zu erinnern. Immerhin ist Quidde einer der bis heute sechs deutschen Träger des Friedensnobelpreises - im Jahre 1927, zusammen mit Ferdinand Buisson (1841-1932). Es gibt zwar eine umfangreiche Biographie über Quidde, die der Bremer Historiker Karl Holl verfasst hat, die aber schon lange vergriffen ist (Droste, Düsseldorf 2007).
Nicht zu vergesssen, Königs Herausgeberschaft, zusammen mit Helga Bories-Sawala, der deutschen Übersetzung von Rolf Sawala des Romans Ich war Pierre, Peter, Pjotr des französischen Autors Yves Bertho (1922–2013), erschienen 2016 im Bremer Kellner Verlag. Die französische Originalausgabe erschien bereits 1976 bei Éditions Gallimard, Paris.
Und ein weiterer Fall beschäftigt König schon lange: Josef Kastein (Pseudonym von Julius Katzenstein), 1890 in Bremen geborener jüdisch-deutscher Schriftsteller und Publizist, dem das NS-Regime seine deutsche Staatsbürgerschaft 1936 aberkannte; seine Bücher waren bereits seit 1934 im Deutschen Reich verboten. Er lebte bis 1934 im Exil in der Schweiz, von wo aus er dann nach Palästina emigrierte, wo er 1946 in Haifa, der Partnerstadt Bremens in Israel, verarmt verstarb.
Jetzt hat Johann-Günther König in Zusammenarbeit mit der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen · SuUB eine Ausstellung zum Leben und Werk von Kastein kuratiert. Sie wurde dort in dem fast intim zu nennenden Ausstellungskabinett zusammengestellt, in dem die SuUB im unregelmäßigen Rhythmus immer mal wieder kleine, feine Expositionen anbietet, sowohl für die Studierenden und allen weiteren Angehörigen der Universität, aber natürlich auch der breiten Öffentlichkeit.
Die Ausstellung ist noch bis zum 26. Januar 2025 während der Öffnungszeiten der Bibliothek zu besuchen · Eintritt frei
Hier Bilder der Ausstellung (Fotos: © Hajo König):
Zum Ansehen der Bilder: Klick auf dem Foto
Jetzt möchte ich aber Johann-Günter König selbst zu Wort kommen lassen, mit Ausschnitten aus einem Beitrag, den er in diesem Jahr für die Deutsche Biographie verfasst hat. Es versteht sich, dass König sein Einverständnis für diesen Abdruck gegeben hat.
Johann-Günter König:
Kastein, Josef (eigentlich Julius Katzenstein)
Schriftsteller, Historiker, Jurist
* 6. Oktober 1890 in Bremen · 13. Juni 1946 in Haifa (Palästina; heute: Israel)
Josef Kastein gehörte als „Historiker der jüdischen Seele“ (Schalom Ben-Chorin) zu den intellektuellen Wegbereitern des jüdischen Staats in Palästina. In den späten 1920er und 1930er Jahren war er einer der bekanntesten jüdischen Schriftsteller und Vortragsredner deutscher Sprache. Seine zahlreichen Monografien setzen sich in zionistischer Perspektive mit Themen und Gestalten aus der Geschichte des Judentums auseinander, erzielten teils hohe Auflagen und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Leben
Der als Julius Katzenstein geborene Kastein wuchs in einer gemäßigt orthodoxen Familie in Bremen auf und besuchte hier seit 1897 verschiedene Schulen sowie den jüdischen Religionsunterricht der Israelitischen Gemeinde. Von 1906 bis 1908 litt er an einer Knochentuberkulose, die eine Unterbrechung des Schulbesuchs erzwang und eine bleibende Gehbehinderung nach sich zog. Während dieser Zeit setzte er sich intensiv mit seinem Judentum auseinander. Zu seinem autodidaktischen Studium gehörten Werke über die jüdische Geschichte und ihre herausragenden Persönlichkeiten, Theodor Herzls (1860–1904) Broschüre „Der Judenstaat“ (1896) sowie Schriften über den sich entwickelnden Zionismus. Katzenstein entschied sich für eine „Rückkehr zum Judentum“ und gegen die Assimilation. Ab 1909 warb der Schüler – in einen feierlichen Gehrock gekleidet – bei Veranstaltungen in Orten der Bremer Umgebung für den Zionismus.
1911 erhielt Katzenstein am Realgymnasium in Bremen das Abitur, nahm am 10. Zionistischen Kongress 1911 in Basel teil und begann Rechtswissenschaften und Nationalökonomie an der Universität München zu studieren, wo er der Verbindung jüdischer Studenten beitrat. Bleibenden Eindruck hinterließ 1913 eine Palästinawanderfahrt mit dem Comité für Palästinawanderfahrten jüdischer Turner und Studenten. Seine vielfältigen Eindrücke und Erlebnisse in Erez Israel ließen in Katzenstein die Überzeugung wachsen, dass „sein Volk“ noch einmal die Chance habe, sein Schicksal selbst zu bestimmen und zu tragen. Fortan propagierte er in Reden und Büchern das zionistische Projekt einer neuen jüdischen Gemeinschaft und betonte, das Judentum stehe vor einem neuen Anfang in Palästina.
Nach Abschluss des Studiums mit der Ersten Juristischen Staatsprüfung an der Universität Göttingen 1914 kehrte Katzenstein nach Bremen zurück, nahm sein Referendariat an verschiedenen Gerichten auf und wurde 1917 mit der Arbeit „Ueber die rechtliche Natur der stillen Gesellschaft des HGB“ an der Universität Greifswald bei Georg Frommhold (1860–1943) zum Dr. iur. promoviert. 1920 legte er in Hamburg die zweite Staatsprüfung ab und war danach als Rechtsanwalt in Bremen tätig. Zugleich verfasste er zunehmend literarische und essayistische Texte, die (bereits seit 1913) in Zeitschriften wie „Der Jüdische Student“ erschienen. 1918 veröffentlichte er sein erstes Buch, den Gedichtband „Logos und Pan“, der wie alle weiteren Publikationen das Pseudonym Josef Kastein trug.
1922 trat Katzenstein als Sozius in die Anwalts- und Notariatskanzlei von Wolfgang Pohl in Bremen ein. Der belesene Jurist und Zionist pflegte einen großen Freundes- und Bekanntenkreis in Bremen und der Künstlerkolonie Worpswede, zu dem u. a. der Politiker Alfred Faust (1883–1961), der Arzt und Schriftsteller Max Kalthoff (1890–1954) sowie der Maler und Grafiker Willi Menz (1890–1969) zählten. Er nahm an den in privaten Zirkeln erörterten Fragen der Zeit teil, hielt Vorträge im Bremer Talmud-Thora Verein und arbeitete an Texten wie dem in der Hansestadt spielenden Kaufmannsroman „Melchior“. 1927 gab Katzenstein seinen Beruf und die Kanzlei auf und übersiedelte als freier Schriftsteller nach Ascona-Moscia (Kanton Tessin). 1928 nahm er an einem Kurs des von ihm verehrten jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber (1878–1965) über die Entstehung des israelitischen Messianismus teil und beschloss, historische Monografien zu jüdischen Themen zu verfassen.
Nachdem der in der Nachbarschaft lebende Erfolgsautor Emil Ludwig (1881–1948) ihm wohl den Kontakt zu dem Verleger Ernst Rowohlt (1887–1960) in Berlin vermittelt hatte, erschienen in dessen Verlag Kasteins bedeutende populärwissenschaftliche Werke, in denen er die Gründung eines jüdischen Staats in Palästina als notwendige Folge der Erfahrung jüdischer Diaspora forderte. Vor allem die vor der nationalsozialistischen Machtübernahme erschienenen Monografien „Sabbatai Zewi. Der Messias von Ismir“ (1930), „Eine Geschichte der Juden“ (1931) und „Uriel Da Costa oder Die Tragödie der Gesinnung“ (1932) fanden begeisterte Leserinnen und Leser im In- und Ausland. Darüber hinaus trat Kastein bis zum Kriegsbeginn 1939 bei zahlreichen Veranstaltungen in Europa als ein von Juden und Nichtjuden gefeierter Vortragsredner auf.
1935 übersiedelte Kastein, der sich zu einem führenden Verfechter des Zionismus entwickelt hatte, nach Palästina und ließ sich als Nachbar von Arnold Zweig (1887–1968) auf dem Carmel in Haifa nieder. Nachdem seine Ehefrau 1939 kriegsbedingt nicht nach Palästina zurückkehren konnte und nach New York City geflüchtet war, unternahm Kastein ab 1941 erfolglose Auswanderungsversuche in die USA. In Palästina schwer erkrankt und unter prekären Lebensbedingungen leidend, starb er 1946. Mehrere seiner seit 1942 erarbeiteten Manuskripte blieben unveröffentlicht.
Werk
Während Kasteins frühe literarische Werke – darunter ein Gedicht- und ein Novellenband sowie ein Kriminal- und ein „Kaufmannsroman“ – wenig Beachtung fanden, setzte der Erfolg 1930 schlagartig mit dem biografischen Roman „Sabbatai Zewi“ ein. Seine von Rowohlt daraufhin angeregte voluminöse „Geschichte der Juden“ (1931) gehörte zu den erfolgreichsten Darstellungen jüdischer Geschichte jener Zeit. In ihr beschrieb Kastein die Assimilation des europäischen Judentums als Reaktion auf den wachsenden Antisemitismus, begründete seine Ablehnung eines Judentums nichtjüdischer Nationalität und plädierte als Zionist für die Gründung eines eigenen Nationalstaats als einzig legitimer Lösung der Judenfrage. 1932 folgte die Monografie „Uriel Da Costa oder Die Tragödie der Gesinnung“, in dem es um jüdische Heimatlosigkeit und messianische Sehnsucht sowie um das Marranentum ging.
Nach dem Verbot seiner Schriften in Deutschland 1934 veröffentlichte Kastein überwiegend im Verlag R. Löwit in Wien. Hier erschienen neben Neuauflagen der älteren Monografien weitere grundlegende Werke – nicht zuletzt die „den Juden in Deutschland“ gewidmete Monografie „Süßkind von Trimberg oder die Tragödie der Heimatlosigkeit“ (1934). Bis zum Ende der Veröffentlichungsmöglichkeiten im Deutschen Reich 1938 publizierte Kastein weitere Bücher, die nach seiner Übersiedlung nach Haifa 1935 Eretz Israel nicht mehr als religiöses Symbol verstanden, sondern als nationale Heimat, so in „Jerusalem. Die Geschichte eines Landes“ (1937).
Obwohl Kastein Hebräisch gelernt hatte und Vorträge und Zeitungsartikel in hebräischer Sprache schrieb, ignorierte die jüdische Gemeinschaft in Palästina sein Schaffen weitgehend, sodass Kastein noch zu Lebzeiten fast in Vergessenheit geriet. Seine Wiederentdeckung erfolgte seit den 1980er Jahren. Viele der nachgelassenen Schriften Kasteins sind bislang noch nicht publiziert.
Kastein leistete mit seinen Werken und seinem Vortragswirken einen wichtigen Beitrag zum Selbstverständnis der Juden auf dem Weg zu einem autonomen Staat – 1946 unterzeichnete er die Forderung der Vereinigung „Bnei Horin“, einen jüdischen Staat in Eretz Israel zu errichten, der im Mai 1948 ausgerufen wurde.
© Johann-Günter König, 2024 · Alle Rechte beim Autor
Der komplette Beitrag detailliertem Lebenslauf, seiner Genealogie, vollständiger Werksbibliographie etc: König, Johann-Günther, „Kastein, Josef“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.03.2024, URL: https://www.deutsche-biographie.de/105971839.html#dbocontentmit
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