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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Märchenhaft: Sozialer Wohnungsbau in Bremen

Aktualisiert: 16. Feb.


Die Bremer Stadtmusikanten neu interpretiert Bild: Rita Rassenhövel – ki-versum.de

09.02.2024 - Natürlich wissen wir, dass sich der soziale Wohnungsbau in unserem Lande, eben auch in unserer Stadt nicht in der progressiven Dynamik entwickelt, wie er nötig wäre, wie er geplant sein sollte und er immer wieder Menschen, Familien und für diverse Wohnmodelle versprochen wird. Aber gute Nachrichten gibt es zu berichten über die vielversprechende Entwicklung eines sozialen Wohnprojekts in Bremens Innenstadt, das obendrauf das Prädikat repräsentativ verdient.


Die Rede soll sein vom einem Vorhaben, dessen Planung schon seit einem längeren Zeitraum öffentlich diskutiert wird und dessen Verwirklichung mittlerweile wichtige und essenzielle Gestalt angenommen hat. Es geht um das ‚Kontorhaus‘ in der Langenstraße, das demnächst das so benannte ‚Stadtmusikantenhaus‘ beheimaten wird, in direkter logistischer wie inhaltlicher Verbindung mit einem ‚Literaturhaus Bremen‘.

 

Heimstatt soll es vier weltweit bekannten Straßenmusikanten bieten, die in der Version der Sammlung der ‚Kinder- und Hausmärchen‘ der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm aus den Jahren 1812 (Band 1) und 1815 (Band 2) nie das Ziel ihrer Emigration erreicht haben, nämlich die Stadt Bremen. Neuerliche Entdeckungen scheinen jedoch zu belegen, dass es ihnen unter Umständen doch gelungen sein könnte (siehe Kasten am Ende des Artikels).

 

Obendrein ist es nie geklärt, von welchen Orten die vier Tiere vertrieben wurden: der Esel? Vielleicht wurde der von einer Finca in Andalusien vertrieben. Der Hund? Unter Umständen wurde ihm der Tritt womöglich irgendwo in seiner Hütte auf einem Hof oben in den Pyrenäen verpasst. Die Katze? Möglichweise nervte ihr Fauchen ihre Herrin und deren Kanarienvögel in ihrer Suite an der Avenue des Champs Élisées in Paris. Na, und der Hahn? Eventuell sollte dieser die Grundlage für den Coq au vin am Château de Versailles bilden. Auch ein Grund, das Weite zu suchen. Wir sehen, alle diese Kreaturen verdienen die Aufnahme in unserer Stadt, die seit jeher ein Herz für Schutzsuchende in ihren Mauern hatte.

 

Unter eher nüchternen Gesichtspunkten verspricht diese Idee der Schaffung eines neuen Kulturzentrums eine sinnvolle Bereicherung des Lebens der Bremer Innenstadt, für die seit Jahren und immer dringender nach Lösungen gesucht wird. Sie erfährt in sehr naher Zukunft schon eine für unsere Stadt vollkommen neue Bereicherung, wenn der Komplex der ehemaligen NordLB am Domshof die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bremen bei sich aufnehmen wird.


Großer Dank gebührt den Brüdern Grimm 

 

Überhaupt schulden wir den Brüdern Grimm und ihrer Sammelleidenschaft kaum zu ermessenden Dank, indem sie den Namen der Stadt Bremen in allen Ländern der Welt durch die Story der vier kreativen animalischen Musikanten bekannt gemacht haben und es weiter tun. Eine persönliche Erfahrung kann ich beisteuern: immer, wenn ich während der dreißig Jahre, die ich in Spanien lebte oder im Zusammenhang meiner Arbeit in anderen Ländern unterwegs war, auf die Frage, woher ich käme, sagte, dass die Stadt Bremen meine Heimatstadt sei, rief man unisono aus: »¡Ah! ¡La ciudad de los musicantes!«, oder in welcher Sprache auch immer.



Nach Auskunft durch das Brüder Grimm-Zentrum in Kassel, in dem Ausgaben der Grimmschen Märchen aus der ganzen Welt verwaltet werden, wurden die Märchen bislang in mehr als 200 Sprachen und Kulturdialekten übersetzt. Die Gesamtauflage aller Einzel-, Teil- und Gesamtausgaben dürfte inzwischen die Milliardengrenze weit überschritten haben. Damit erscheint in der Mehrheit aller dieser Ausgaben auch das Märchen „Die Vier Stadtmusikanten“.

 

Töricht, würde eine Stadt für die Nutzung seiner Imagepflege auf solch weltweit bekannte Sympathieträger verzichten, zumal sie gratis zu haben sind, denn Autorenrechte werden für diese Geschichte von tausend und zwei Wörtern nicht mehr fällig.

 

Die Idee wird Realität

 

Nachdem das Projekt alle seine politischen Hürden genommen hatte, konnte im Sommer des vergangenen Jahres tatsächlich der Mietvertrag für die Nutzung der Immobilie vom Bremer Bürgermeister und Kultursenator Dr. Andreas Bovenschulte und dem Eigentümer des Gebäudes, Dr.  Johann Christian Jacobs, unterzeichnet werden. Ein erleichtertes Aufatmen konnte gerade in der Literaturszene Bremens vernommen werden, nach den langen politischen, bisweilen kleinlichen Diskussionen zwischen den Parteien, selbst mit denen, die die Koalition mit der SPD bildeten, aus deren Reihen der Vorschlag gekommen war. Es ist anzunehmen, dass gerade der persönliche Einsatz und lange Atem des Kultursenators, eines sehr belesenen dazu, nicht ganz unschuldig am Gelingen des Plans war.

 

Bürgermeister und Kultursenator Dr. Andreas Bovenschulte: »Wir wollen mit dem Stadtmusikantenhaus etwas ganz Neues wagen, das sich eben nicht in all die anderen existierenden Märchen-Ausstellungskonzepte in Deutschland einreiht. Es soll ein markantes Alleinstellungsmerkmal entwickelt werden, dass die Bremer Stadtmusikantenausstellung inhaltlich, technisch und auch von den gewählten kreativen Beteiligten deutschlandweit einzigartig macht und der Ausstellung und damit Bremen große Attraktivität verleiht.«

 (Foto:  Andreas Bovenschulte und J.C. Jacobs bei der Unterzeichnung des Vertrage · Senatspressestelle)

 

Aber wie füllt man ein Stadtmusikanten- und Literaturhaus mit Leben?

 

Bislang war es noch nicht sehr deutlich geworden, wie das im Falle des Stadtmusikanten- und das Literaturhauses geleistet werden kann. Die Phantasie lässt einen auf vieles kommen: am besten doch mit Menschen, großen, kleinen, belesenen, lesen lernenden, Kindern und Erwachsenen, mit Dichtern, Lyrikern, Denkern, Illustratoren, Verlegern, Sängern, Tänzern, Tieren, Märchenerzählern, Prinzessinnen, Prinzen, Fabelwesen, Stief- und guten Müttern, gut und schlecht aufgelegten Vätern und Lehnsherren, Wichteln, Zwergen, Hexen, Räubern, all solchen Persönlichkeiten und Wesen, die  in Märchen und in der Literatur herumtrollen und ihr (Un-)Wesen treiben. Diese Aufzählung kann jeder mit seinen eigenen Phantasien bis ins nahezu Unendliche ergänzen.

 

Aber um nun doch Konkretes zu erfahren, nahm ich Kontakt zur Behörde des Kultursenators am Altenwall und dort zu Dr. Alexandra Tacke auf, die seit 2021 das Referat für Bildende Kunst, Kunst im öffentlichen Raum, Städtische Galerie, Literatur, Filmkunst, Regional- und Minderheitensprachen, Öffentliche Bibliotheken und Kulturaustausch leitet und in dieser Funktion kompetent über die Pläne, die das ‚Kontorhaus‘ betreffen, Auskunft geben kann. Großzügig und detailliert wurde sie mir gegeben!

 

Die Räume des Projektes

 

Im Tiefparterre wird es eine Ausstellung zu den Stadt-musikanten auf circa 1.000 Quadratmetern geben. Dafür wird ein Konzessionär durch ein Ausschreibungsverfahren gesucht, das europaweit ausgeschrieben werden wird. Im Erdgeschoss wird es neben dem Ticket- und Auskunft-Center, der Garderobe und einem Ausstellungsshop eine große Halle geben, die knapp 200 Personen fasst und in der Literatur- sowie auch andere Kulturveranstaltungen stattfinden können.

 

Im ersten Obergeschoss soll neben den Büroräumen für die ‚Literaturakteure‘ zudem ein kleinerer Lesesaal für etwa 120 Personen entstehen, der aber modular teilbar sein wird, so dass dort unter anderem auch verschiedene Workshops parallel stattfinden können. Außerdem soll ein offener Bereich geschaffen werden, eine Art ‚Lese-lounge‘, die ebenfalls modular abschließbar für kleine Workshops, Veranstaltungen oder ähnliches sein wird.

 

Das Konzept der Ausschreibung für die Ausstellung der Stadtmusikanten

 

Die Stadtmusikantenausstellung sollte – um nachhaltig publikumswirksam zu bleiben – eine inhaltlich und gestalterisch gleichermaßen anspruchs-volle wie zeitgemäße Darstellung und Interpretation des Märchens sowohl für Kinder als auch für Erwachsene als Kernattraktion sein: sinnlich und doch nachdenklich, emotional mitreißend und doch intellektuell reflektiert, voller Spaß und doch ernsthaft; populär, aber nicht flach; vielfältig, aber nicht beliebig. Der Fokus liegt somit auf starken Narrativen, die große Erfahrung im Umgang mit dokumentarischem, als auch fiktionalem Erzählen in den heutigen Medien voraussetzt und diese nutzt, um mit Holographie, Animation, 3D-Projektion und mittels App sowie weiterführender digitaler Angebote, die Ausstellung auf die Smartphones der Besucherinnen und Besucher zu holen – barrierefrei, spielerisch und von möglichst zeitloser Attraktivität.

 

Es wird also Mut gefragt sein, etwas ganz Neues zu wagen, das sich eben nicht in all die anderen existierenden Märchenausstellungskonzepte in Deutschland einreiht oder diese kopierend lediglich zu variieren versucht. Es sollte ein markantes Alleinstellungsmerkmal entwickelt werden, dass die Bremer Stadtmusikantenausstellung inhaltlich, technisch und auch von den gewählten kreativen Beteiligten deutschlandweit einzigartig macht und der Ausstellung und damit Bremen aus sich heraus große Attraktivität verleiht.

 

Zum Konzept des Literaturhauses

 

Im ersten Obergeschoss des Kontorhauses wird ein innovatives Literaturzentrum entstehen, das zum Treffpunkt für unterschiedliche Autorinnen und Au-toren sowie für freie Gruppen wird, die die besondere literarische Atmosphäre dieses Ortes schätzen. Es geht um die Gründung eines offenen Hauses, dessen breites Angebot möglichst viele Menschen anspricht. So geht es an diesem Ort nicht nur um Teilhabe und Wissensvermittlung, sondern auch um die Vermittlung von Spaß am Austausch und am Lesen und Schreiben.

 

Neben dem angestammten Literaturpublikum, das auch jetzt schon regelmäßig die großen Lesungen der ‚LiteraTOUR Nord‘, der ‚Literarischen Woche‘, der renommierten Festivals wie ‚poetry on the road‘, der ‚globale°‘, ‚Crime Time – Prime Time‘ und ‚Bremen liest!‘ und weitere besucht, sollen zukünftig insbesondere auch Kinder und Jugendliche verstärkt in den Fokus einer lebendigen Vermittlungsarbeit genommen werden. Nicht zuletzt über den Konnex zur Stadtmusikantenausstellung und -thematik bietet sich der Ausbau und die Stärkung dieses Bereiches an und ermöglicht zahlreiche kluge und gewitzte Anknüpfungspunkte. So könnte im Literaturhaus ein außerschulischer Lernort entstehen, der in der Bremischen Bevölkerung nachhaltigen Rückhalt erfahren würde.

 

Die Stadtmusikanten sind in ganz Bremen präsent 

 

Ob am Rathaus mit der Statue von Gerhard-Marcks oder im Ostertorviertel mit dem Graffiti von Felix Luczak, das leider mittlerweile dem Abriss des Hauses zum Opfer gefallen ist.


 

Ein junges Literaturprogramm mit Kinder- und Jugendbuchlesungen, Märchendarbietungen, Poetry Slam, Beatbox-, Schreib-, Illustrations- und Comic-workshops ist ebenso geplant wie die Realisierung von Austauschformaten mit pädagogischen Fach-kräften und Lehrpersonal. Wissenschaftliche Lectures zur Märchen-, Illustrations-, Comic-, Rezeptions- und Medienforschung bieten sich zudem an. Aber auch die intensive Beschäftigung mit dem eigenen Lesen und Schreiben, der Rezeption und Produktion, soll in einem zentralen Literaturzentrum seinen Platz haben. Es soll Buchclubs für Kinder, Lesekreise für Erwachsene, interkulturelle Textwerkstätten, Lyrikkurse, sogenannte Shared-Reading-Formate und Schreibraum-Angebote für den schriftstellerischen Nachwuchs geben, der zukünftig viel stärker auf dem Weg zum professionellen Autorendasein unterstützt werden soll.

 

Ein Hauptanliegen ist es dabei auch, mit den zukünftigen literarischen Programmen die unterschiedlichsten Bevölkerungs- und Altersgruppen sowie Milieus der bunten bremischen Stadtgesellschaft in der Breite an-zusprechen – insbesondere auch jene, die bisher von vielen Kulturinstitutionen beziehungsweise mit klassischen Literaturformaten nicht erreicht worden sind. Dementsprechend ist es wichtig, dass das Kontorhaus durch seine ästhetische Gestaltung, sein Ambiente und die Außenwirkung keine Schwellen aufbaut, sondern maximal offen für alle wirkt.

 

Da der Multifunktionsraum und Lesesaal, die Leselounge und die Buch-handlung im ersten Obergeschoss fließend ineinander übergehen, ist es wichtig, in enger Absprache mit allen Einzelakteuren des Stadtmusikanten- und Literatur-hauses ein harmonisches Ganzes zu kreieren, das klassisch-hochwertig, wie vergleichbare Literaturhäuser in Hamburg, Berlin und München wirkt, aber auch frisch, zeitgemäß und kreativ daherkommt, um deutlich das moderne Konzept eines offenen Literaturzentrums widerzuspiegeln.

 

Die Akteure

 

Um die Räumlichkeiten kontinuierlich mit Leben zu füllen, werden die vielfältigen Veranstaltungsformate der Literaturakteure auch zukünftig in enger Zusammenarbeit mit zahlreichen Kooperationspartnern wie zum Beispiel den Bremer Philharmonikern, dem Bremer Institut für Bilderbuchforschung, dem Zentrum für Künstlerpublikationen, der Comic- und Illustratoren-Szene und anderen einschlägigen Kultur- und Literaturakteuren realisiert werden. Nicht nur die enge Vernetzung mit dem Programm des Stadtmusikantenhauses wird über die thematische Verbindung dabei zentral sein, sondern auch Kooperationen zu weiteren bremischen Institutionen sollten im Kontorhaus weiter gestärkt und ausgebaut werden.

 

Die Ausstrahlung des Literaturhauses

 

Die Entwicklung und Gründung eines solch offenen Literaturzentrums samt Leselounge, Buchhandlung, gastronomischem Angebot und (post-)moderner Stadtmusikantenausstellung im Zentrum der Bremer Innenstadt galt es von Anfang an, als ein innovatives Vorzeigeprojekt zu gestalten, das auch zentral in den Bewerbungsprozess um den UNESCO-Titel ‚City of Literature‘ im Jahr 2023 mit eingeflossen ist und nicht zuletzt wesentlich zum Erfolg der Bewerbung beigetragen hat. Das Stadtmusikanten- und Literaturhaus wird insofern in Zukunft vor allem auch als repräsentatives Außenschaufenster für die ‚UNESCO Creative City of Literature‘ Bremen fungieren.

 

Abgesehen davon, dass mit der Entstehung eines modernen Literaturzentrums nicht nur die Bremer Literatur-, sondern auch die gesamte Kulturszene allgemein nachhaltig in der Innenstadt gestärkt wird. Garantiert wäre damit auch, dass die Bremer Innenstadt nicht nur tagsüber (durch die Ausstellungsbesucher und Touristen), sondern auch abends durch den Besuch des interessierten Literatur- und Kulturpublikums eine deutlich höhere Frequentierung erfahren würde.

 

Hohe Erwartungen

 

Zugegeben, die von Alexandra Tacke beschriebenen Planungen erwecken große bis mächtige Erwartungen. Jedoch waren an der konkreten Entwicklung ebenso selbstredend und entscheidend diverse autonome Bremer Initiativen beteiligt, wie in einer der vorderen Reihen das seit 1983 existierende und in der Villa Ichon beheimatete ‚Bremer Literaturkontor‘ und das im Jahre 2004 gegründete (sich selbst „nur“ virtuell nennende) ‚Literaturhaus Bremen‘.

 

Die Hoffnung ist groß, dass diese optimistischen Visionen nicht allzu sehr gebremst durch ökonomische Hindernisse und Einschränkungen durch die Haushalte im Bund und im Land werden, gerade auch durch das kürzliche Ausgaben bremsende Urteil des BGH in Karlsruhe. Aber sollte es da zu Engpässen kommen, wäre sicher ein Appell an mögliche Sponsoren und Stifter aus der Bremer Bürgergesellschaft angebracht, die in Bremens Geschichte schon oft der Kultur mit ihrer Unterstützung entscheidend geholfen haben. Ohne diese 200-jährige Spendenbereitschaft hätten wir das Jubiläum der Kunsthalle Bremen wohl niemals feiern oder hätte sich nur schwer eine hanseatische Theatergeschichte entwickeln können oder gäbe es womöglich auch keine ‚Bremer Philharmoniker‘, deren Existenz auf das Jahr 1825 zurückgeht.

 

Geben wir doch einfach auch einem Autor sein hoffnungsvolles Wort, denn auch auf Seiten der Bremer Autoren und Autorinnen ist die Vorfreude natürlich groß. Unter den vielen Stimmen sei die des in Bremen und Berlin wohnenden Klaus Johannes Thies zitiert:

 

„Die Aussicht, dass Bremen mit einem echten, einem wirklich aus Steinen gebauten Haus für die Literatur aufwarten wird können, wird ein großer Gewinn für die Kulturszene der Stadt sein, speziell die der Literatur. Gleichzeitig wird es in Kombination mit der neuen, nunmehr festen Heimstatt der vier berühmtesten und populärsten Bremer Protagonisten der Weltliteratur ein wichtiges Leuchtfeuer werden.“


 

Muss das Märchen der Stadtmusikanten umgeschrieben werden?

 

Im vergangenen Herbst wurde in den Katakomben des Archivs des Brüder Grimm Museums in Kassel ein Brief aus dem Jahre 1823 gefunden, den Jakob Grimm an seinen Bruder Wilhelm geschrieben hatte. Er befand sich seinerzeit auf einer Reise von Celle nach Oldenburg und bei einem Zwischenhalt im Dorf Fischerhude traf er auf den dortigen Bürgermeister, der ihm von seiner Mutter erzählte, die an der Version des Märchens der Stadtmusikanten ihre Zweifel hatte. Sie sei der Meinung gewesen, dass die vier nach ihrer Zeit in dem Räuberhaus durchaus doch noch nach Bremen gelangt seien. Siehe den Brief von Jakob Grimm in Faksimile und in der Transkription.



Oldenburg, am Karfreitag A.D. 1823

 Mein lieber Bruder Wilhelm!

 Du wirst kaum glauben, was ich dir zu berichten weiss. Dieser

Tage traf ich in einem kleinen Dorf, im Osten der Stadt Bremen

gelegen, in Fischerhude, dieses am Ufer des kleinen Flusses

Wuemme, beim Umspannen der Pferde meiner Postkutsche

auf dem Wege von Celle nach Oldenburg, in der Schenke

das Gasthofs der Berkelmanns auf den Bürgermeister des Dorfes

Hinrich August Kleibohm, der mir eine gar wunderliche

Geschichte verzählte. Seine Mutter habe seinerzeit das Märchen

der Bremer Stadtmusikanten in dem Band Zwo unserer

„Kinder- und Haus-Märchen“ gelesen und war bass erstaunt,

dorten zu lesen, dass der Esel, der Hund, die Katze und der Hahnrei

niemals nach Bremen gelanget sein sollen. Sie wusste jedoch zu

berichten, dass man ihr erzählt habe, dass sie sehr wohl dorthin

gelangt seien, nachdem sie das Haus der Räuber, das sich in einem

dem Dorf nahe gelegenen Kiefernbruch befunden habe, nach

einigen Monaten wieder verlassen hatten und am Ende weiter

nach Bremen gezogen seien. Dorten seien sie sogar offiziell als

Stadtmusikanten vom dortigen Senat eingestellt worden, hätten

auch zu Festen und Hoch-zeiten im dortigen Rathaus und bei

Messen im St. Petri Dom aufgespielt. Leider seien sie alle Vier

bei einer grossen Sturmflut des Bremen durchfliessenden

Weserstroms jämmerlich ertrunken.

 Sollen wir in einer neuen Ausgabe unserer Erzählung des

Märchens sein Ende neu verfassen? Was meinst Du, lieber

Bruder. Ich denke, wir können es auch so wie es itzo geschrieben

steht, belassen.

Dein Bruder Jakob


Bislang weiß man nicht, ob Jakob von seinem Bruder eine schriftliche Antwort auf seinen Brief erhalten hat oder ob sie bei ihrem nächsten Wiedersehen darüber gesprochen haben könnten. Offenbar aber haben sie ihre Version des Märchens nach dieser möglichen neuen Variante der Erzählung im Nachhinein nicht weiter modifiziert. Umso besser, dass die Stadt Bremen sie nun doch ganz offiziell mit neuem Wohnsitz in der Langenstraße einbürgern wird.

 

Bestseller aus Bremen


Wenn die Idee auf den ersten Blick durchaus auch naheliegend erscheint, war vor ihm doch noch niemand darauf gekommen, als der Bremer Verleger Horst Temmen sich aufmachte, den international bekannten und hoch renommierten Illustrator und Schriftsteller Janosch (*1931 in Hindenburg/Oberschlesien) zu animieren, eine illustrierte und neu erzählte Ausgabe der Stadtmusikanten zu kreieren. 2004 erschien tatsächlich die deutsche Ausgabe erstmalig in der Edition Temmen in der Schwachhauser Hohenlohestraße und im Jahr darauf folgten bereits die ersten Ausgaben in weiteren Sprachen, heutiger Stand sind es einschließlich der deutschen Übersetzung zwanzig Versionen, unter anderem in Plattdeutsch, sogar in Esperanto, bislang die letzte im vergangenen Jahr ist es die auf Ukrainisch. Mittlerweile beläuft sich die komplette Auflage mit über 200.000 verkauften Exemplaren in höchst attraktiver Bestseller-Höhe. Damit ist die Edition Temmen mit diesem Coup und mit den in ihrer fast 40-jährigen Geschichte insgesamt guten 1.800 veröffentlichten Titeln zweifellos und mit Abstand der Verlag Bremens mit den meistverkauften Exemplaren.



Janoschs Eintrag ins

Goldene Buch

der Stadt Bremen:


 »Bremen ist

meine Lieblingsstadt

echt wahr! Janosch«

 

(Foto: Senatspressestelle)


Janosch war im Dezember 2004 Gast im Bremer Rathaus anlässlich der Erstveröffentlichung ‚seiner‘ Stadtmusikanten und verewigte sich dort im Goldenen Buch der Stadt, natürlich mit dem Porträt der vier Gesellen. Wie es Temmen gelang, Janosch von dem Projekt zu überzeugen, mehr über diese kuriose Verlags-Anekdote und den Bezug des weltberühmten Künstlers und seine und persönliche Beziehung zu Bremen, das kann man im Podcast # 33 des Literaturhauses Bremen im Gespräch mit der Kulturjournalistin Silke Behl erfahren:  https://www.literaturhaus-bremen.de/podcast/33-horst-temmen.


Einer weiteren Ausgabe der Stadtmusikanten, diese mit den Bildern des in Vegesack geborenen und immer dort lebenden Bremer Karikaturisten und Zeichners Volker Ernsting (1941 – 2022), war ein großer Publikumserfolg beschieden, sie erschien ab 1995 im damals noch in Oldenburg ansässigen Lappan Verlag, insgesamt in acht Sprachen. Leider sind alle diese Ausgaben vergriffen, sie hätten alle eine Neuausgabe verdient. Verleger oder Verlegerin gesucht!


 

 

Und zum allerletzten, aber sehr guten Ende:

 

Ein Essay

des Literaturwissenschaftlers und Schriftstellers

Dieter Richter zum Download:

 


 

Dieser Artikel erschien in kürzerer Version bereits

in der Ausgabe # 95 des

SCHWACHHAUSER · Magazin für Bremen

 

Und in meinem Blog

GEDANKEN FREI HAUS · Multilaterale Reflexionen


 

Reaktionen:


  • »Was für ein schöner Artikel! Und toller Fund mit dem Brief über das eigentliche Ende der Stadtmusikanten.« - A.T., Bremen

  • »Der Artikel liest sich wunderbar lesen und begleitet und erklärt bestens die Vorhaben bestens. Er liest sich so leicht, aber die Recherchen drumherum und die Schreibarbeit waren gewiß zeitaufwändig - lassen sich den Texten aber an keiner Stelle anmerken. Ich hab auch was gelernt. Toll!« - S.B., Bremen

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info 

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