...der deutschen Bauern und ihren Verbänden nach der Rücknahme der Streichung der Steuervergünstigung des Agrardiesels, versuchen diese jetzt auch die Bildungspolitik und das Verlagswesen des Landes unter Druck zu setzen. Anders kann der neuerliche Sturmlauf gegen ein im Esslinger Verlag erschienenes Kinderbuch der populären und sympathisch streitbaren Schauspielerin Anke Engelke (Text) und Mareike Ammersken (Illustrationen) nicht verstanden werden. Das Autorinnenpaar hatte sich »erdreistet«, den vor genau 100 Jahren das erste Mal im Alfred Hahn Verlag in Leipzig erschienenen Kinderbuch-Klassiker, »Die Häschenschule«, auf sanfte Art konterkariert zu haben.
berichtet Folgendes:
Landwirte gegen Anke Engelke
Die Komikerin Anke Engelke hat mit ihrem Kinderbuch „Die neue Häschenschule“ Landwirte gegen sich aufgebracht: Der Fuchs ist Veganer, der Bauer böse: Anke Engelke hat den Kinderbuch-Klassiker »Die Häschenschule« neu interpretiert. Landwirte sind empört über die Version. Warum die Kritik an neuen Perspektiven in Kinderbüchern nichts Neues ist – ein Überblick.
In der zeitlosen klassischen Version der »Häschenschule« erzählt Albert Sixtus ( in Reimen die Geschichte vom Schulalltag der Hasengeschwister Hans und Grete. Ihr Lehrer unterrichtet sie unter anderem in Möhrenkunde und Ostereier bemalen. Er warnt sie außerdem vor dem bösen Fuchs, die klare Lektion: nicht mit Fremden mitgehen. Nun die Komikerin Anke Engelke die beliebte Geschichte modernisiert – und damit einen regelrechten Shitstorm ausgelöst.
Worum geht es in Anke Engelkes „Die neue Häschenschule“?
In »Die neue Häschenschule« reimt und interpretiert Engelke den beliebten Klassiker neu. Sie will damit »alte Rollenbilder ins Wanken« bringen, wie sie selbst auf ihrer Webseite schreibt. In Engelkes Version ist die Hauptfigur das Hasenmädchen Hoppich. Ihr Bruder Peter bleibt nur eine Nebenfigur der Geschichte. In der Häschenschule sitzt dieses Mal ein neuer und außergewöhnlicher Mitschüler neben den vielen kleinen Hasen: ein Fuchsjunge. Er ist Veganer und liebt Möhren über alles.
Hoppich und ihre Mitschüler merken schnell: Es geht keine Gefahr von dem Fuchsjungen aus. Sie überwinden ihre Vorurteile und freunden sich mit dem Fuchs an. Anke Engelke bricht damit die Feindschaft zwischen Fuchs und Hase auf. Stattdessen geht die Gefahr für die Häschen in der neuen Version der Geschichte vom Menschen aus – und zwar vom Bauern. Dieser sprüht Gift auf sein Feld, zermalmt kleine Tiere mit seinem Mähdrescher. Am Ende rettet der kleine Fuchs das Hasenmädchen Hoppich vor der gefährlichen Maschine.
Wie äußert sich die Kritik an Engelkes Kinderbuch?
Dass Landwirte in der Neuauflage der Häschenschule als große Feinde der Häschen dargestellt werden, löst Empörung aus – vor allem unter Landwirten. Sie empfinden die Gegenüberstellung von »gutem« Veganer und »bösem« Bauern als eine unfaire Darstellung ihrer Arbeit. Hinzu kommt, dass viele Landwirte bereits aufgrund der geplanten Subventionskürzungen aufgebracht sind und seit Wochen protestieren.
Das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt kritisiert Anke Engelke scharf in mehreren Artikeln. In der Neuauflage würden Kinder lernen: »Bauern vergiften die Umwelt, Jäger schießen süße Tiere tot und Mähdrescher sind gefährliches Teufelszeug.«
Der Wochenblatt-Redakteur Gerd Kreibisch hat sogar mit einem Gedicht auf Anke Engelkes Buch geantwortet. Ein Auszug des Gedichts: »Ach Anke, darf ich Dich mal stören? Wer macht denn eigentlich die Möhren? Ich sag es Dir, dann bist Du schlauer: Auch die Möhren macht der Bauer.«
Auf der Facebook-Seite der Komikerin sammelt sich unter einem ihrer Posts die Kritik an dem neuen Kinderbuch. Einige Nutzer werfen ihr Indoktrination vor, sie sorge für „Volksverblödung“, sei ein »Systemling“ und führe Kinder »in die Irre“. Ein anderer Nutzer schreibt: »Darum AfD!!! Nie wieder, ist jetzt schon wieder!!! Dank auch Ihnen, Frau Engelke.« Doch es gibt auch zahlreiche positive Kommentare, die die Neuversion des Klassikers loben.
Auch aus rechten Kreisen wird Engelke zunehmend kritisiert. So wurde etwa auf dem rechtslastigen Blog »Ansage« ein Artikel veröffentlicht, der Engelke Kinderbuchpropaganda und Anti-Bauern-Stimmungsmache vorwirft. Der rechtspopulistische Deutschland-Kurier bezeichnet Anke Engelkes Buch als »Hetze gegen Bauern und Fleischesser«.
Wie reagiert die Komikerin auf den Shitstorm?
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erzählt Engelke, dem Thienemann-Esslinger Verlag sei wichtig gewesen, dass es in der neuen Version auch eine Gefahr oder einen Konflikt gebe. »Also haben wir entschieden, die frische Freundschaft von Hase und Fuchs ins Gefahrenzentrum zu packen. Der Schrecken ist jetzt eine große Mähmaschine“, so Engelke.
Auf die mögliche Kritik von Seiten der Landwirte sagte die Komikerin: »Ich möchte den Kindern auch nicht das Bild nehmen, dass es schön wäre, später Bauer zu werden. Aber den Menschen zum Buhmann zu machen, das musste ich für die Geschichte in Kauf nehmen.«
Sie wolle den Kindern zeigen, dass Menschen viel falsch machen und dass man sich überlegen müsse, wie man es in Zukunft anders machen könne. Das Buch biete keine Lösungen, aber rege zu Gespräche an. Anke Engelke isst genauso wie der Fuchs in der Geschichte – vegan. Das hat sie vergangenes Jahr im Podcast »Feelings« von Komiker Kurt Krömer erzählt (Link).
Jawoll! Lies hier.
„Meine“ eigene Häschenschule
Es kann sein, ich weiß es nicht wirklich, dass ich bereits der letzte und jüngste von uns Geschwistern war, an den das Exemplar »meiner« Häschenschule überging. Es musste doch gespart werden, obschon der Beruf unseres Vaters, ein Buchhändler, ein gewisser Garant sein gewesen sein könnte, dass mir tatsächlich ein neues, frisches Exemplar geschenkt wurde. Als extrem abgenutzt habe ich es jedenfalls in Erinnerung, aber das kann nun wirklich von meiner ganz persönlichen und heftigen Liebe zu diesem Kinderbuch herstammen.
Als so tief habe ich diese frühbibliophile Leidenschaft abgespeichert, dass, wenn ich heute das Exemplar durchblättere, das mir die Presseabteilung zur Auffrischung meiner Erinnerung zugesandt hat, mir die Bilder beim Betrachten sämtlich die gleichen Gefühle wachrufen, die ich damals als kleiner Knirps von fünf, sechs, sieben Jahren erlebte. Der Fuchs, der lüstern (od sollte er gar pädophil veranlagt sein?) aus dem Gebüsch den davonlaufenden Hasenkindern hinterher schaut. Osder die friedliche Hasenfamilie im Schlussbild, wie sie traut beieinander am Esstisch sitzt. Und an der Wand die ganze Hasen-Verwandtschaft in Biedermeier-Bilderrahmen.
Wohl alle von uns, die mit Kinderbüchern aufwachsen durften und konnten, haben ähnlich starke Bilder von ihren frühen Lektüren immer noch vor Augen, und natürlich von den Illustrationen der Bücher gespeichert. Denn wer aus mehr oder weniger meiner Generation erinnert sich nicht an die Illustrationen von Walter Trier (siehe hier: Link) in den Romanen von Erich Kästner, oder an die Szenen in den »Pippi-Langstrumpf«-Bänden von Astrid Lindgren oder in Gerdt von Bassewitz's »Peterchens Mondfahrt«?
Um die 30 Jahre später holte mich einige Jahrzehnte »Die Häschenschule« wieder ein: mittlerweile war ich in Barcelona gelandet und wurde dort Literaturagent. Im Portfolio der Agentur, die mich damals eingestellt hatte und in der ich in diesem spannenden Beruf ausgebildet wurde und knappe 30 Jahre arbeiten durfte, fand sich neben diversen anderen Lizenz-Repräsentationen deutscher Verlage auch der 1831 gegründete J.F.Schreiber Verlag, der 1988 in den Esslinger Verlag und damit zur Stuttgarter Klett-Gruppe überging. 1996 kam der Leipziger Alfred Hahn’s Verlag dazu und ergänzt seither das Programm mit Kinderbuchklassikern u.a. mit »Die Häschenschule«.
In meiner Erinnerung hatte sich eingenistet, dass wir tatsächlich auch eine spanische Ausgabe von »Die Häschenschule« haben vermitteln können, aber da irre ich mich offensichtlich, allerdings weiß ich noch, dass unsere Finger in dem Lizenzdeal mit der italienischen Ausgabe im Spiel waren, die 1989 bei Castalia Edizioni in Torino unter dem Titel »La scuola dei leprotti«erschienen war.
Fast fünfzehn Jahre danach schenkte mir die Lizenzabteilung des Esslinger Verlages sogar zu meinem 50. Geburtstag eine hölzerne Standfigur des Lehrers aus »Die Häschenschule«, die seitdem in unserer Wohnung steht…
Nachgedanken eines ehemaligen Häschenschülers
Das Programm des Esslinger Verlages wartet mit diversen weiteren Ausgaben und manchem Non-Book-Produkt der alten Häschenschule auf, das liegt in seinem absolut verständlich ökonomischen Interesse, zumal Autorenrechte in keinem Falle mehr anfallen.
Und jetzt natürlich pünktlich zum Hundertjährigen der Erstveröffentlichung, hat der Verlag eine Jubiläumsausgabe herausgegeben. Das Vorwort hätte man vielleicht eher einer etwas kritischeren Person übertragen sollen, als der recht betulich über ihre Erinnerungen erzählenden Wiener Schauspielerin Senta Berger (*1941), die zwar - fast lapidar - erwähnt: »Ich bin im Krieg geboren«, ohne Bezug darauf zu nehmen, dass ihr Geburtsjahr also nur drei Jahre nach der Annexion Österreichs durch die Nazis und immerhin noch vier Jahre bis dem Ende des Faschismus lag. Man sollte bei aller Nostalgie auch nicht vergessen, dass »Die Häschenschule« mit ihrem Modell einer strengen und autoritären Pädagogik die Jahre des Dritten Reichs ohne weitere Probleme bestens überleben konnte. Und natürlich auch unwidersprochen so weiter verbreitet wurden und so auch noch werden...
Leider schließt auch das Nachwort solche Gedanken aus - so informativ es auch über die Entstehung des Klassikers und über die Biographien seines Autors Albert Sixtus (1892-1960) und des Zeichners Fritz Koch-Gotha (1877-1956) sein mag. Geschrieben wurde es von den Betreibern des Albert-Sixtus-Archivs im sächsischen Kottmar.
Hier schliessen sich dann wieder die Kreise deutlich zu den Büchern einer Anke Engelke und einer Lena Zeise (siehe oben.)
Bremen, Ostersonntag 2024
Weblinks:
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