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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Pirat a.D.

Aktualisiert: 13. Okt. 2023


Heute darf ich es gestehen, zumal die Delikte und Gesetzesverstöße, die ich hiermit bekennen werde, als gründlich verjährt angesehen werden dürfen. Wenn sie auch in krassem Gegensatz zu den Prinzipien stehen, die für den von mir mehrere Jahrzehnte lang ausgeübten Beruf, den des literarischen Agenten, gelten sollten. Denn es geht um meine Rechtsbrüche des Urhebergesetzes. Zu den heiligsten Pflichten eines Hüters des Copyrights gehört, dieses zu schützen und zu wahren. Abgesehen davon, dass ich rechtlich nicht mehr für meine Taten belangt werden kann, könnte ich aber ein paar entschuldigende Argumente für mein Fehlverhalten vorbringen.


Gelten kann in keinem Fall die Ausflucht, dass mir mein damaliges Tun nicht als unrechtmäßig bewusst gewesen sein mag, erstens gilt die berühmte Losung, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schütze, und zum zweiten war mir natürlich klar, dass schon der erste Teil des Wortes, das die Verrichtung der Herstellung und der Verbreitung meines ‚Corpus delicti‘ bereits einen Begriff beinhaltete, der auch schon einem jungen Menschen deutlich machen sollte, dass es sich um eine gesellschaftlich nicht akzeptierte Handlung handelte, denn die betreffende Wortsilbe lautet: Raub! Und der zweite Teil des Wortes war Druck, allein gesehen ein harmlos anzusehender Begriff, aber beide Worte zusammengesetzt ergibt den Tatbestand des Raubdrucks. Ja, ich war ein Raubdrucker!


Meine Taten fielen in die hohe Zeit der Raubdrucke, die Ende der 60-er Jahre ihren Anfang nahm und damals entweder im traditionellen Buchhandel nicht erschienene oder als zu teuer erachtete vor allem politische Schriften betraf, von Autoren wie Theodor Adorno, Wilhelm Reich, Walter Benjamin u.v.a.. Aber die dann in späteren Zeiten, der zweiten Hälfte der 70-er, Anfang der 80-er Jahre auch Titel erreichte, die einen eher belletristischen bis kommerziellen Charakter hatten, wie beispielsweise Der Name der Rose von Umberto Eco, Momo oder Die Unendliche Geschichte von Michael Ende klandestin entstanden.

Heft nº 2 der 'Schwuchtel'

Ich selbst erlebte in jenen Jahren mein schwules Coming-out, das durch Kontakte zu anderen Schwulen in der Hamburger alternativen Hafenstraßen-Szene und Besuche in dem Hamburger Schwulenbuchladen Männerschwarm initiiert worden war. Dort kaufte und verschlang ich dann zu Hause die Hefte der Schwuchtel, dem damals erscheinenden Organ der bundesdeutschen Schwulenbewegungen.


1978 war ein Buch von einem gewissen Peter Schult erschienen, der im Münchner Trikont-Verlag seine Autobiografie „Besuche in Sackgassen - Aufzeichnungen eines homosexuellen Anarchisten“ publiziert hatte. Ich arbeitete seinerzeit im alternativen Buchladen im Ostertor in Bremen und so geriet dieses Buch auch in meine Hände. Mir war die Geschichte, die ich da las, nicht unsympathisch, zumal in jenen Jahren sexuelle Beziehungen zu Jugendlichen in gesellschaftlichen linken Diskussion nicht so streng geführt wurden wie heute, aber das Gesetz natürlich Brüche gegen die geltenden Gesetzesparagraphen durchaus ahndete, und umso mehr im Falle von Schult, den man eben auch politisch im Visier hatte.

Der Autor als Conferéncier

Ich stand damals in brieflichem Kontakt zu Schult, der in München-Stadelheim im Gefängnis saß, und mit der noch jungen Schwulen Aktion Bremen (SchwAB) organisierten wir für ihn ein Solidaritätskonzert mit dem Chor der Bremer Stadtmusikanten im Bremer Schlachthof. Im Zuge der Mobilisierung für das Konzert entstand die Idee, Schults Aufzeichnungen in einen „Privat-“, sprich aber Raubdruck zu konvertieren, zumal uns damals recht kurz denkenden Besserwissern der Buchhandelspreis von 20,00 DM für ein in einem linken Verlag erscheinendes Buch viel zu hoch erschien, fühlten uns gewissermaßen durch ein solches Argument sogar autorisiert.

Rainer bei einer Reise durch sein geliebtes Afrika

Rainer Machura, ein sehr guter Freund, betrieb eine Offsetdruckerei. Er war sofort dabei, die Idee in die Tat umzusetzen So prökelten wir zwei Exemplare der Trikont-Ausgabe auseinander und klebten sie Seite für Seite, sorgfältig auf die richtige Reihenfolge achtend, auf weißes DINA3-Papier, bezifferten die Seiten manuell, die Filme für den Offsetdruck wurden entwickelt, auf die Druckplatten fotografiert und diese in die Heidelberger gespannt. Insgesamt waren somit aus den 265 Seiten der Originalausgabe 32 Seiten im DINA3-Format geworden.


Danach manuell zusammengelegt, so dass man am Ende ein Exemplar in der Größe einer kleinen Zeitung in Händen hielt. Und damit der alten Idee des Verlegers Ernst Rowohlt, sehr nahe gekommen war, der 1946 seine ersten Ausgaben von Romanen im Format eines Journals im Rotations-, also Zeitungsdruck publizierte: RoRoRo = Rowohlts Rotations Romane („für den Herrn und für die Dame – Rowohlts Rotations-Romane“, lautete der sich gut einprägende Werbespruch für diese Idee). Die Erstauflagen betrugen pro Titel jeweils gewaltige 100.000 Exemplare, ihr Preis waren wohlfeile 50 Reichspfennige. [1]

Wir verkauften unsere Ausgabe in den Kneipen zum Preis von DM 4,80, einige der Schwulenbuchläden, die es damals schon in der Bundesrepublik gab, übernahmen einige Exemplare, aber der größte Teil der Auflage wurde uns während der Veranstaltung im Schlachthof buchstäblich aus den Händen gerissen. Der Ertrag unserer Verkäufe ging nach Abzug der Materialkosten an den Autor. Wir fühlten uns durch die Reaktion von Peter Schult im Nachhinein obendrein noch entlastet: „Welcher Autor wäre nicht stolz darauf, wenn sein Buch als Raubdruck herauskäme. Ein größeres Lob gäbe es doch nicht“ , schrieb er mir.


Dass damit ein Buch aus einem linken Verlag geraubdruckt worden war, wurde natürlich und wie man sich gut vorstellen kann in den diversen alternativen Medien und durchaus kontrovers diskutiert.


Nach diesem Erfolg kamen wir schon bald auf eine andere Idee. Im Schweizer Verlagshaus in Zürich war 1981 ein Roman aus den USA in deutscher Übersetzung erschienen, sein unglücklich gewählter und seinen wahren Hintergrund verschleiernder Titel war „Gefangen in Babel‘.

Im Original war sein Titel “The Lure” (Der Köder). Es war der erste Roman des 1944 in New York geborenen Felice Picano, ein Thriller, in New York 1979 bei Delacorte erschienen, und wurde in der amerikanischen Literatur einer der ersten Bestseller mit offen schwulem Background überhaupt, durchaus mit erotisch deutlichen Szenen, die aber nie in pornographische Nähe abglitten. Er gab das genaue Gegenbild zu dem Film Cruising (1980, Regisseur William Friedkin), der eine eindeutige homophobe Tendenz demonstriert. In ‚The Lure‘ verändert sich der zu Anfang heterosexuell orientierte Held Noel Cummings im Fortgang des Romans sich nicht wie in Cruising zu einem mordlustigen schwulen Monstrum, sondern erlebt sein überraschendes eigenes Coming-out.


Diesem hochspannenden Roman, den ich verschlungen hatte, wollte ich gerne eine größere Öffentlichkeit ermöglichen, als es die hochpreisige gebundene Schweizer Ausgabe Schweizer ermöglichen konnte (wenn ich mich erinnere, kostete er DM 24,80, damals durchaus ein stolzer Preis für einen Thriller). Der Antrieb geschah durchaus immer noch vor dem Hintergrund meines eigenen Coming-outs, durch das ich mich nach langen Jahren der Unsicherheit und des Versteckens im besten Sinne befreit hatte,


So machten Rainer und ich uns wieder an die Arbeit, gaben dem Buch seinen englischen Originaltitel wieder, aber reproduzierten obendrein unter die Titellettern einen Ausschnitt aus dem Englisch-Wörterbuch in grüner Schrift: lure [ljʊə] I. s. 1. Köder m (a. fig.): 2. fig. Lockung f, Zauber m, Reiz m..

Darunter platzierten wir ein übergroßes Gesichtsporträt von Lou Reed mit einer mächtigen verspiegelten Pilotensonnenbrille auf der Nase, das schien uns gut zu dem Roman zu passen (… walking on the wild side…). Nach unten rechts kam noch der Preis, wie beim ersten Druck, in blau-violetter Farbe eines gewöhnlichen Kinderpoststempels.


Und auf das backcover kam noch die Reproduktion des Stadtplans von Manhattan, so dass man die Protagonisten des Romans auf ihren Wegen durch sie New Yorker Subkultur gut verfolgen konnte.


Auch dieser Druck verkaufte sich in Windeseile und provozierte damit sicherlich auch die Publikation des Thrillers nach damals ungewöhnlich kurzer Zeit als Taschenbuch bei Droemer Knaur, dann in günstiger Ausgabe von nur DM 8,80, womit wir unser ursprüngliches subversives Ziel erreicht hatten.


(1993 gab es dann noch eine Ausgabe im Berliner Albino Verlag, ebenso bei Gmünder 1998; beide dann schon unter dem Titel Der Köder. Heute ist der Roman nicht mehr lieferbar, auch wenn er es nach wie vor mehr als verdient hätte…)


Diese beiden Ausflüge in die Illegalität blieben - zumindest was die Verletzung des Urheberrechts betrifft - meine einzigen. Nach und nach wuchs auch mein buchhändlerisches Gewissen mit den Jahren weiter an und entwickelte dann erst recht in meinen über 30 Berufsjahren als literarischer Agent unbestechliche Ausmaße. So dass ich dadurch bis heute auch nie wieder rückfällig wurde. Und das wird sicher auch so bleiben.


[1] Nachtrag 28.07.2020: Mein Bruder Dierk Rodewald machte mich darauf aufmerksam, dass Ernst Rowoht selbst bereits 1923 die Idee hatte, Bücher auf Zeitungspapier zu drucken, damit sie leichter erschwinglich seien ("Bei großer Billigkeit").







 

P.S. Mein Freund Rainer starb sehr bald nach unseren gemeinsamen Druckerabenteuern an einem Gehirntumor. Er war noch jünger als ich damals, erst 27 Jahre alt. Vergessen habe ich ihn bis heute nicht. Er war ein sehr guter, froher Mensch und hatte eine gehörige Portion Humor. Und natürlich war ich in ikhn verliebt.

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.

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