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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Sascha

Aktualisiert: 16. Sept. 2019


16. Juli 2019 - Der virtuelle Kalender auf dem PC tut seine Pflichten und erinnert nicht nur an die Alltagstermine, sondern markiert auch wichtige Lebensdaten, gute, wie traurige. Und so erinnert er mich gerade an meinen Freund Sascha, der heute vor sechs Jahren starb, mit nur achtunddreißig Jahren.


Sascha war der Sohn von Heidi und Wolfgang, Freunden in Frankfurt, die mir über Jahrzehnte immer zum Herbst großartige Gastgeber, eher Herbergseltern, in ihrer großzügigen Wohnung über sage und schreibe drei Etagen gleich hinter der Alten Oper waren, immer dann, wenn es uns aus Barcelona zur alljährlichen Buchmesse schwemmte. Und nicht nur mich nahmen sie auf, auch meine Meisterin und spätere Partnerin Ute, unsere gemeinsame Kollegin Sandra und einmal obendrein auch noch die legendäre Verlegerin Gloria, die kein Hotelzimmer mehr in der überbuchten Messestadt gefunden hatte.


Und oft war auch Sascha da, weil er oft zu der Messezeit gerade Schulferien hatte und dann zu Hause war, denn er lebte viele Jahre im Internat der Deutschen Blindenstudienanstalt in Marburg. Sascha war als Kleinkind erblindet, erst als er schon erwachsen war, wurden seine Eltern gewahr, dass die Ursache des Verlustes seiner Sehkraft das sehr seltene Alström Syndrom war.


Ich lernte Sascha schon als Kind mit elf Jahren bei meinem ersten Besuch kennen. Er war für mich erst der zweite blinde Mensch, zu dem ich näheren Kontakt hatte. Der erste war eine Großtante, bei der ich als kleiner Bengel von sechs oder sieben Jahren den Versuch angestellt hatte zu erproben, ob sie wirklich nicht sehen konnte. Indem ich mich ganz vorsichtig an einer Pralinenschachtel auf dem Tisch zu schaffen machte und dann aber fürchterlich erschrak, als Tante Engel Margarete, so hieß sie, zischte: „Frag‘ bitte, ob du dir eine Praline nehmen kannst!“ Sie hatte ganz spitze Ohren (und leider auch eine ebensolche Zunge).


Auch Sascha hat mich einmal ähnlich überrascht, aber uns damit zum Lachen gebracht: ich hatte ihn in seine Werkstatt begleitet, in der er seiner Leidenschaft nachging und aus Speckstein sehr schöne Skulpturen, kleine, wie auch größere, schuf. Er war bei mir eingehakt und wir liefen die Straße entlang, in der seine Werkstatt lag.


Er hatte mir die Hausnummer des Ateliers genannt und natürlich darauf vertraut, dass ich dort Halt machen würde. Aber irgendwie war ich nicht aufmerksam genug, jedenfalls schob ich uns am Haus vorbei, und irgendwann drückte Sascha sein Befremden aus, dass der Weg mit mir viel länger sei als sonst, wenn er alleine dorthin ging, begleitet von seinem weißen Blindenstock. Ich gestand dann meine Nachlässigkeit, worauf er mich fragte: „Wer ist hier eigentlich blind, ich oder Du?“


Sascha hatte einen entwaffnenden Witz, er war bedingungsloser Fan der Eintracht Frankfurt, er träumte auch längere Zeit davon, Bundesligaspiele als Radioreporter für Blinde zu kommentieren. Und er war eine ungestüme Leseratte, er verschlang ein Buch nach dem anderen, in Braille und als Hörbuch. Da wir durch unsere Arbeit als Literaturagenten auch immer mal wieder Audiolizenzen an die Marburger Blindenbücherei für auf Deutsch erschienene Bücher der von uns vertretenen Autoren vergaben, auch schon als es noch so gut wie keine Audiobücher im allgemeinen Buchhandel gab, konnten wir Sascha auch immer wieder mal mit neuem „Stoff“ versorgen. Ganz vernarrt war er in die Romane von Alberto Vázquez-Figueroa.


Ich bewunderte immer Sachas große Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, er war sogar einmal mehrere Wochen allein nach Afrika gereist, wo er einen Trommelkurs besuchte, eine andere seiner Leidenschaften.


Und bewundert habe ich ebenso die Liebe, die seine Eltern ihrem Sohn lebenslang geschenkt haben. Und die Geduld, die sie immer wieder aufgebracht haben, um mit Saschas und ihrem Schicksal fertig zu werden und ich glaube, nie darüber gehadert zu haben.


Aber irgendwann ergriff seine Krankheit immer mehr Besitz von Sascha und machte auch seinem Herzen und seinen Stimmungen immer mehr zu schaffen, was für ihn und seine Eltern schwere Zeiten bedeutete. Es half ihm in seinen letzten Jahren sein christlicher Glauben, all sein Leid zu ertragen, von dem er heute vor sechs Jahren erlöst wurde.


Bei der Einweihung unserer neuen Büroräume in Barcelona kamen uns auch damals Heidi und Wolfgang besuchen und brachten uns als Geschenk drei von Sascha geschaffene Miniskulpturen mit, drei aus Speckstein gestaltete Bücher. Eins davon steht hier in Bremen in einem meiner Buchregale, gut sichtbar. Und ich werde damit immer wieder an den lieben Kerl erinnert.



 

Wenn Du magst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info - Ich freue mich über jede Reaktion.

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