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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Schwarze Vögel über Bremen

Aktualisiert: 2. Okt. 2022


Foto: Esther Haase

Manchmal bedarf es kurioser Anlässe, eine Theaterpremiere zu besuchen, so kam es am vergangenen Samstag, als wir die Bremer Erstaufführung der ‚Vögel‘ des Autors libanesischen, heute in Kanada lebenden Autors Wajdi Mouawad im Theater Bremen besuchten. Denn während eines kürzlichen Urlaubs im Wendland lernten wir durch Zufall in dem Dorf, in dem wir logierten, eine Schauspielerin kennen, die dort lebt, aber unter anderem am Bremer Theater auftritt, Verena Reichhardt, eine im besten Sinne Straßenbekanntschaft. Sie erzählte von der aktuellen Produktion, die sie am Proben in Bremen war. Eben die ‚Vögel‘.


Was sie erzählte über das Stück, von dem ich bislang nichts gehört hatte, klang durchaus interessant, auch die Tatsache, dass die Produktion von Alize Zandwijk geleitet würde, weckte meine Neugier, von den Erfolgen ihrer Arbeiten, beispielsweise des ‚Schimmelreiter‘ und den ‚Ratten‘ hatte ich manch Gutes gehört, leider nicht selbst gesehen, ich lebte bis vor kurzem noch im Ausland.


Nach der Lektüre des Stücks (erschienen im Verlag der Autoren, 2018 - aus dem Französischen von Uli Menke) und den Berichten der französischen Uraufführung in der Regie des Autors im Pariser Theatre de la Colline war mir klar, dass uns da kein wirklich entspannter Theaterabend bevorstand, sondern dass es um eher härtere Kost ging.


Die Geschichte beginnt in New York und damit, dass sich Wahida, eine amerikanische Islamwissenschaftlerin und Eitan, ein Genforscher sich verlieben (eine wunderschöne Szene!), unbeschwert beginnt die Liebe, aber schon bald stoßen sie auf den Konflikt, den ihre verschiedene religiöse und kulturelle Herkunft ihnen in den Weg legt.


Denn Eitans jüdische Familie kann um keinen Preis akzeptieren, dass sich ihr Sohn in eine – und sei sie ihm intellektuell auch noch so ebenbürtig – arabischstämmige Frau verliebt und sie sich aufeinander einlassen.


Ein langer Kampf der Familie um den Sohn nimmt seinen Lauf, und findet auch erst recht keine gütliche Lösung, als Einat herausfindet, dass auch sein Vater einen islamischen Hintergrund hat; denn er wurde von seinem Vater David, also Einats Großvater Etgar, während des Sechs-Tage-Krieges als Findelkind seiner Mutter entrissen, mitgenommen und von ihm und seiner deutschen Frau Norah großgezogen.


Die Großmutter Leah (sie übrigens gespielt von meiner Bekanntschaft aus dem Wendland; siehe oben) ist es vor allem, die darauf besteht und alle drängt, dass diese dunkle Familiengeschichte endlich ans Licht kommt.


Die Wahrheit jedoch zerrüttet die Familie, der Vater stirbt einen Herztod und nichts findet mehr zueinander. Ob Wahida und Einat auf den Scherben dieser Tragödie wieder zusammenkommen können, das erfahren wir nicht mehr, ich fürchte, auch wenn das Stück noch länger gedauert hätte, der Autor hätte es uns nicht verraten.


Foto: Jörg Landsberg

Am Ende schien das Publikum von der Geschichte durchaus ergriffen, es dauerte eine Weile, bis es sich dann aber mit lang andauernden und lautstarken standing ovations Luft machte.


Vor allem die beiden Protagonisten bekamen die Bravos zugerufen, zauberhaft gespielt von der jungen Deniz Orta (Bremen, 1985) und dem noch jüngeren Emil Borgeest (München, 1995), die man beide zusammen gerne auch noch in anderen dramatischen Paarungen – klassischen, wie modernen - auf der Bremer Bühne erleben möchte. Bortgees konnte einen der Ursprünge seiner künstlerischen Laufbahn eindrucksvoll anmutig in sein Spiel einbringen, die er als Balletttänzer begonnen hat. Orta erinnerte mich im Duktus ihrer Sprache und in ihren Bewegungen sogar ein wenig an die junge Jutta Lampe, die ich in den seligen Bremer Theaterzeiten der sechziger Jahre auf der gleichen Bühne sehen durfte.


Aber das gesamte Ensemble, eingeschlossene Bremer Leitende Schauspielregisseurin Alize Zandwijk, wie der für die Ausstattung verantwortliche Thomas Rupert, wurden begeistert gefeiert, sie alle spielten mit fesselnder Konzentration diese anspruchsvolle Produktion, eine besondere Anerkennung verdient Maartje Teussink, die seitlich von der Bühne immer wieder, aber nie störend, eher wie mit Filmmusik untermalend, das Geschehen virtuos auf verschiedenen Instrumenten begleitete.


Kritisch möchte ich anmerken, dass es sich für mich nicht ganz erschlossen hat, warum man den Bühnenraum und so den Aktionsradius für die Akteure und eventuell manchen Effekt so unnötig reduziert hat, denn das ganze Geschehen fand nur auf dem abgedeckten Orchestergraben statt, verbannte gar die Souffleuse Barbara Poblenz in die erste Reihe des Parketts, der Bühnenhorizont lag nicht viel tiefer als der Rahmen des Bühnenportals.


Auch hätte man den Schauspielern ruhig ein wenig dicker auftragende Zeichenkreide in die Hand drücken können, so hinterließen die von ihnen in die weißen Mauern gemalten Graffitis nur recht schwer erkennbare Spuren, jedenfalls aus der Höhe und Weite des ersten Ranges, in dem wir saßen.

Vögel über dem Goetheplatz...

Auf der anderen Seite schuf der grellweiße Hintergrund der Kulisse einen effektvollen Kontrast zu den schwarzen Silhouetten der schwirrenden oder in dem auf der Bühne stehenden kahlen Baum sitzenden Vögel (!), die immer wieder an die Wände projiziert wurden (Video: Thomas Ruppert & Wim Bechthold), ganz besonders im Schlussbild, das ein wenig an den Schauer erinnerte, der einem seinerzeit durch den Film gleichen Titels durch Altmeister Hitchcock verursacht wurde.


Ein Nebenereignis des Abends sei noch erwähnt: in der Reihe vor uns saß der neue Bürgermeister unserer Stadt. Erfreulich einerseits zu sehen, dass ein Stadtoberhaupt solch eine, offensichtlich interessierte Nähe zum kulturell anspruchsvollen Geschehen der Stadt pflegt, uns andererseits seine mächtige und breit gewachsene Statur hin und wieder die Sicht auf Teile der Bühne versperrte.


Aber wenn der noch viel silhouettenmächtigere Henning Scherf vor uns gesessen hätte, hätten wir wohl gar nichts vom Bühnengeschehen mitbekommen. Insofern gefiel uns diese neue Besetzung der Rolle des Bürgermeisters – zumindest die erlebte Situation betreffend - schon mal gelungen und lässt hoffen, dass die Kultur auch durch den neuen Senat die notwendige und lebhafte Förderung genießen wird; immerhin vereint der Bürgermeister sein Amt doch auch mit dem des Kultursenators.

Fotos von Jörg Landsberg (Probenfotos vom 24. September 2019)

Die nächsten Vorstellungen:

 

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