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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Steinige Korrespondenz

Aktualisiert: 19. Feb. 2020

Durch die Ankündigung einer Lesung von Steven Robins in der Stadtbibliothek Bremen stieß ich auf dieses bemerkenswerte Buch: Briefe aus Stein sein Titel, Letters of Stones heißt es im Original. Auf guten 300 Seiten rekonstruiert der Anthropologe und Soziologe Robins seine Familiengeschichte, allerdings muss er - einem Archäologen gleich - in tristen Tiefen danach graben. Eine Tragödie, die sich ihm dabei eröffnet und die ihn emotional schwer belastet.


Es ist die Geschichte einer ursprünglich aus Königsberg stammenden jüdischen Familie, die nahezu in ihrer Gänze durch die Nationalsozialisten ermordet wurde. Seinem Vater Herbert war es aber 1936 – ebenso wie seinem Bruder Artur – mit sehr viel Glück gelungen, seinen Verfolgern zu entkommen und von Erfurt ins Exil nach Kapstadt in Südafrika fliehen konnte.

Die Großmutter und die beiden Tanten des Autors, alle drei von den Nazis ermordet

Sehr persönlich nimmt das Buch seinen Ausgang: der Autor erzählt von der kleinen schwarzweißen Fotografie in Postkartengröße, die ihm erst als kleiner Junge, später dann als Heranwachsender in seiner elterlichen Wohnung immer wieder ins Auge fällt, ohne zu wissen, wer die drei Frauen sind, die ihn da so lange und so eindringlich anschauen.


„Ich hatte keine Ahnung, wer diese drei Frauen waren, nur das undeutliche Gefühl, dass sie zur Familie meines Vaters gehörten, während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland gelebt hatten und dort gestorben waren. In meinen Teenagerjahren hatte ich das Gefühl, dass sie im Holocaust umgebracht worden waren, doch ich kannte nicht einmal ihre Namen und wusste auch nicht, wie sie mit mir verwandt waren.“


Wie es wohl das allgemeine Phänomen ist, dass Holocaust-Überlebende in vielen, vielleicht in den überwiegenden Fällen sich nicht in der Lage fühlen, über ihre schrecklichen Erfahrungen oder die ihrer Familien, soweit diese überhaupt im Nachhinein noch zu ermitteln sind, an ihre Kinder weiterzugeben, ergeht es auch Steven Robins mit seinem Vater, der nur sehr bruchstückhaft – wenn überhaupt – über die Flucht und die Kriegszeiten erzählen mag oder kann. Von dem traurigen Schicksal seiner Verwandten erfahren seine Nachkommen von ihm sogar überhaupt nichts.

Herbert Robins, der Vater des Autors, in seinen späten Jahren

Robins erwähnt in diesem Zusammenhang die Beobachtung der französischen Historikerin Nadine Fresco: diese weise auf diese Tendenz von Holocaust-Überlebenden hin, die ihren Kindern Informationen über ihre traumatischen Erfahrungen vorenthalten, Fresco bezeichne dieses Phänomen als 'schwarzes Loch des Schweigens' , schreibt Robins (La Mort des Juifs, Paris, Éditions du Seuil, 2008).


Erst nach dem Tod seines Vaters und nach Ende der Apartheid in Südafrika eröffnet sich Robins durch die Entdeckung von über hundert Briefen aus den 30-er und 40-er Jahren, die die in Deutschland zurückgebliebenen Verwandtschaft an Herbert geschickt hatte, nun Stück für Stück die Geschichte seiner Familie und seiner jüdischen Herkunft.


Doch zuvor musste er sich diese Briefe ins Englische übersetzen lassen und so erfährt er, dass der älteste Bruder seines Vaters, Siegfried, und seine zwei Schwestern Edith und Hildegard, sowie seine Eltern nicht mehr entkommen konnten und in Riga und Auschwitz ermordet wurden.


Die Briefe zeigen auf, dass Herbert wohl alles in seiner Macht unternommen hatte, die Flucht seiner Verwandten aus Deutschland noch zu arrangieren, aber die immer gnadenloseren Verschärfungen der Gesetze, die sich gegen die Juden in Deutschland und in den bald annektierten Gebieten Europas richteten, ebenso die sich permanent zuspitzenden Einreisebestimmungen in Südafrika verhinderten das. Die Familie Robinksi muss verzweifelt sein, als allen klar wurde, dass ihre Versuche, das Land noch verlassen zu können, nur in der Aussichtslosigkeit enden mussten.


Es wurde eine schwer belastende Lektüre für den Sohn, die eine so belastende Wirkung hat und so belastend wiegt, dass sie es wohl war, ihn zu bewegen, seinem Buch seinen Titel zu geben, eben Briefe aus Stein.


Es ist schade, dass das Buch keine größere Resonanz in den deutschen Medien gefunden hat - jedenfalls finde ich bei meinen Internet-Recherchen nur eine einzige Rezension, immerhin gibt es jetzt mit dieser eine weitere – anders als es der englischsprachigen Ausgabe bei Penguin Books gelungen ist, die hat einen recht breiten Nachhall in den Medien gefunden (siehe: https://bit.ly/2HjtiFQ). Die sorgfältige deutsche Ausgabe des Metropol Verlags (Übersetzer: Markus Sahr und Ralf Pannowitsch) hätte es mehr als verdient.


Denn bei aller Sachlichkeit ist Steven Robins eine aufrührende Geschichte über seine Familie gelungen. Und ein weiteres authentisches Zeugnis der Schrecken der Naziherrschaft, über den alltäglichen Rassismus und Antisemitismus in der deutschen Heimat der Familie, aber nicht nur in der deutschen Heimat der Familie, dem Nazideutschland, aber auch in der neuen und heutigen Heimat der Robinskis ist die Family Robins damit konfrontiert.


Ein Buch, das eindrucksvoll die vielen kürzlichen Dokumentationen und Gedenkveranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz zu ergänzen vermag und all jene ein weiteres deutliches Mal Lügen straft, die solche Erinnerung an unsere, die deutsche Vergangenheit am liebsten verschwinden oder gar leugnen lassen wollen.


Nachbemerkung: Leider war ich an dem Abend der Lesung des Autors in Bremen verhindert; ich hätte ihm gerne persönlich gesagt, dass mich sein Buch sehr bewegt hat.

 

Der Autor:

Steven Robins (Cape Town, *1959) ist Professor im Institut für Soziologie und Sozialanthropologie der Universität Stellenbosch. Er hat über eine breite Palette von Themen geschrieben, unter anderem zur Truth and Reconciliation Commission (südafrikanische Einrichtung zur Untersuchung von politisch motivierten Verbrechen in der Zeit der Apartheid), über politische und gesellschaftskritische Phänomene seines Landes, sowie soziale Bewegungen in Südafrika. Neben seinen akademischen Schriften schreibt Steven auch regelmäßig in Tageszeitungen und Magazinen zu aktuellen politischen und gesellschaftspolitischen Themen.

Er ist verheiratet und ist Vater von zwei Söhnen.

 

Steven Robins: Briefe aus Stein – Von Nazi-Deutschland nach Südafrika, Metropol Verlag, Berlin 2019 – Gebundene Ausgabe – 320 Seiten - ISBN 978-3-86331-477-4


Steven Robins: Letters of Stone - From Nazi Germany to South Africa, Penguin Books. Cape Town 2016 - Trade paperback – 314 pages - € 22,00 – ISBN 978-1-77609-024-2

 

Weblinks:

Letters of Stone: https://lettersofstone.com

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.

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