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AutorenbildGuenter G. Rodewald

My Ghost Writers - Heute: Kaspar Sannemann

Aktualisiert: 19. März


12. November 2021 - Leser meines Blogs und meiner weiteren Social Media Aktivitäten wissen längst um meine Begeisterung um den jungen Schweizer Bariton Äneas Humm, Gewinner des „Förderpreises Deutschlandfunk“ auf dem Bremer Musikfest 2018. Seit September 2020 gehört er dem Badischen Staatstheater Karlsruhe als Solist an, wo er bislang in den Partien des Papageno in Die Zauberflöte und den Malatesta in Don Pasquale aufgetreten ist. Jetzt hat er nach seiner ersten Solo-CD AWAKENING (mit Judit Polgar) seine zweite Solo-Aufnahme EMBRACE bei Rondeau Production herausgebracht, zusammen mit der Pianistin Renate Rohlfing. Dazwischen lag noch ein Sampler mit Liedern und Motetten der Schweizer Komponistin Martha von Castellberg, zu der Humm drei Beiträge beisteuerte


Auf der neuen CD singt Humm Lieder von Fanny Hensel, Franz Liszt, Viktor Ullmann und Edvard Grieg. Nach meinen zwei begeisterten Rezensionen, die ich nach Humms Auftritten in Bremen (2018) und in Bremerhaven (2019) auf meinem Blog veröffentlicht hatte, wollte ich jetzt gerne auch etwas zu EMBRACE schreiben. Da stoße ich aber auf die geradezu euphorische Besprechung von Kaspar Sannemann auf seiner Homepage oper aktuell · Kritiken & mehr, der ich kaum etwas hinzusetzen könnte.


Darum erteile ich dem Kollegen hiermit sehr gern das Wort:

 

Kaspar Sannemann:

Ein gelungenes Plädoyer


Man befürchtete schon, das (deutsche) Kunstlied sei der Obsolenz anheimgefallen, denn - seien wir ehrlich - Liederabende verzeichnen oftmals eine sehr überschaubare Besucherzahl, wenn nicht gerade ein Opernstar aus der A-Liga auftritt. (Viele Besucher*innen freuen sich dann vor allem auf Zugaben wie O mio babbino caro oder La donna è mobile.)


Doch nun nimmt sich ein vielversprechender junger Bariton der Gattung des Kunstlieds an und veröffentlicht bereits seine zweite CD (die auch in den Streamingdiensten zur Verfügung stehen wird): Äneas Humm. Wie bei seinem Debütalbum AWAKENING (das Lieder von Komponisten enthielt, die an der Grenze von der Jugend zur Reife standen, aber auch den Aufbruch vom 19. ins 20. Jahrhundert thematisierte) spannt Äneas Humm in seinem zweiten Album mit dem Titel EMBRACE einen wohldurchdachten, spannenden Bogen. Es geht darin nicht nur (aber auch) um Umarmungen in Liebesbeziehungen, sondern auch um das Aufgreifen und das Aufnehmen, um das Verinnerlichen von Ideen, von Stimmungen, von Natur, von Stille und Tod.


Für diese Thematik haben Äneas Humm und seine Partnerin am Klavier, Renate Rohlfing, Lieder von Fanny Hensel, Franz Liszt, Victor Ullmann und Edvard Grieg ausgewählt. Geradezu herausragend ist die Textverständlichkeit des Sängers, man braucht kaum einen Blick auf die Gedichte von Goethe, Heine, Uhland, Eichendorff oder Adler u.a.m. zu werfen, Äneas Humm gestaltet mit vorbildlicher Diktion.


Doch genauso oder noch wichtiger ist natürlich die musikalische Umsetzung, auf die ich anhand der sechs Lieder von Franz Liszt näher eingehen möchte:


Im Lied IHR GLOCKEN VON MARLING (Test: Emil Kuh) setzt Humm seine Stimme gekonnt mit leicht schattiertem, verhangenem Klang ein, verleiht dem Lied die Aura des stillen Gebets. Von staunender Naivität erfüllt singt er in WIE SINGT DIE LERCHE SCHÖN (Text: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben). In ES MUSS EIN WUNDERBARES SEIN (Text: Oskar von Redwitz-Schmölz, nicht zu verwechseln mit Leopolds Arie aus dem WEISSEN RÖSSL, obwohl Benatzky das Lied von Liszt gekannt haben muss) ist das Bewusstsein der Endlichkeit (der Liebe) packend herausgearbeitet.


Mit Vehemenz und aufgebrachtem Gemüt steigt Humm in VERGIFTET SIND MEINE LIEDER (Text: Heinrich Heine) in das Lied ein, kräftig, herrlich lautmalerisch und geerdet berichtet er vom FICHTENBAUM, der einsam auf kahler Höh' steht. Der Sänger ist sich der Metapher von Heines Gedicht voll bewusst und durchdringt den Text entsprechend. Mit wunderschön intonierter Nachdenklichkeit gestaltet Äneas Humm ÜBER ALLEN GIPFELN IST RUH (Text: Goethe), frappierend stimmig herausgearbeitet ist die aufwallende Verzweiflung bei Warte nur, balde ruhest du auch. Zusammen mit dem differenzierten, weichen Anschlag der Pianistin Renate Rohlfing entsteht ein nachdenklich stimmendes Ganzes.


Renate Rohlfing überzeugt ganz besonders in den Nachspielen der Lieder des Zyklus' DER MENSCH UND SEIN TAG, in welchem Victor Ullmann im Konzentrationslager Theresienstadt die kurz gehaltene, aber umso prägnantere Poesie von Hans Günther Adler (eines Mithäftlings, der im Gegensatz zu Ullmann das KZ überlebt hatte) in 12 Miniaturen vertont hatte. Äneas Humm und Renate Rohlfing erfüllen diese Miniaturen mit hochspannender Ausdruckskraft. Berührend gestalten sie zusammen diese Tagesreise vom Morgen bis zum Verdämmern in Nacht und Stille, in welcher Äneas Humm mit beinahe gehauchten (aber trotzdem getragenen) Piani bewegende Wirkung erzeugt.


Fanny Hensels (sie war die Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy) vier Lieder stellen ganz wunderbare Kompositionen dar, eine Schande, dass ihr Bruder ihrer Karriere im Wege stand, indem er wie manche seiner Zeitgenossen befand, dass die Werke von Frauen nur für den Privatgebrauch taugten. Äneas Humm und Renate Rohlfing laden diese Lieder nicht mit unangebrachtem Pathos auf, sie kommen schwerelos (SCHWANENLIED und SEHNSUCHT), leicht unheimlich (NACHTWANDERER) oder jugendlich-schwärmerisch (ACH, DIE AUGEN SIND ES WIEDER) daher.


Die immense dramatische Gestaltungskraft von Äneas Humm offenbart sich auch in den sechs Liedern op. 48 von Edvard Grieg: Fröhlich schreitet er in GRUSS dem Frühling entgegen, in inniger Verhaltenheit sinniert er über Liebe und Tod in DEREINST GEDANKE MEIN, selbstsicher berichtet er von Küssen ohne deutliche Einwilligung in LAUF DER WELT (im Zeichen von #metoo käme Uhlands Text wohl heute auf die Verbotsliste). Besonders reizvoll sind das Tandaradei und die glitzernden Töne des Klaviers in DIE VERSCHWIEGENE NACHTIGALL - und natürlich dass das Lied hier von einem Mann gesungen wird! Bedeutungsschwer wird das Parabelhafte in ZUR ROSENZEIT interpretiert. Zuerst mit sanft wiegendem Gesang, dann mit sich zum krönenden Abschluss steigernder Emphase wird Traum zu Wirklichkeit und Wirklichkeit zu Traum im Lied EIN TRAUM.


Diese CD fegt alle Gedanken an die "Obsolenz des Kunstlieds" hinweg, sie ist ein gelungenes Plädoyer für die Poesie in der Musik und für die Musik in der Poesie.


© Kaspar Sannemann / oper aktuell, 2021

 
 

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