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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Theatre du PNP


Mit dem Koffer ganz dicht vor dem Gesicht war Mateng Pollkläsener erst durch Bremen gelaufen und betrat so auch die Bühne

16. September 2019 - Selbst ‚Polyneuropathianer‘ wurde ich hellhörig, als ich vor ein paar Tagen davon las, dass da ein gewisser Mateng Pollkläsener ein Theaterstück über die PNP, also die Polyneuropathie, auf die Bühne bringen wolle. Die Neugier wuchs dann am Samstag noch nach einem Beitrag im Fernsehen bei 'butenunbinnen', in dem die Uraufführung dieses Stücks „Einer geht noch!“ eben mit dem verdächtigen Untertitel ‚Ein (Bühnen-)Leben mit Polyneuropathie‘ am Theater Bremen angekündigt wurde. Also loggte ich mich schnell auf der Homepage des Theaters ein und ergatterte tatsächlich die allerletzte noch verfügbare Eintrittskarte, dazu in bester Lage, nämlich in der ersten Reihe (und selbstredend mit Schwerbeschädigtenermäßigung, eben wegen de PNP, zu irgendetwas muss die Krankheit ja gut sein, also auch für die Kultur, nicht nur zur freien Nutzung des ÖPNV).


Ich erzählte einigen Leuten davon, und alle reagierten begeistert: „Oh, mit dem Pollkläsener! Toll!“ Mir kann unter Umständen verziehen werden, dass mir dieser Name so gar nichts sagte, denn erst seit kurzen lebe ich wieder in Bremen, nachdem ich mich vorher gute 30 Jahre im Mediterranen aufgehalten und die Bremer Kulturszene nur sehr sporadisch im Visier gehabt hatte.


Eins kann ich aber schon mal hier an erster Stelle versichern: auch ich gehöre seit gestern Abend zu denen, die ausrufen werden: „Oh, dieser Pollkläsener! Großartig!“. Denn was dieser Mann die unterhaltsamen (ja doch!) und kurzweiligen fast zwei Stunden auf die Bühne brachte, war ganz wunderbare Komödie, deren Gelingen aber zu einem ebenso großen Teil seinem Mit-, Gegenspieler und Widerpart, dem Komponisten, Leiter des wunderbaren Chor Don Bleu, ja! und des Schauspielers Walter Pohl zu verdanken war, er glänzte in der Rolle von Pollkläseners Krankheit, der PNP, und begleitete den Abend musikalisch am Piano, der Ukulele und als backing vocal.

Das Stück hat Hans König verfasst, er zeichnete ebenso für die Inszenierung, die Dramaturgie und die Musik verantwortlich. Gefüllt wurde das alles von Pollkläsener, so wie sich die beiden die Arbeit teilen, seit 35 Jahren, seit der Gründung ihrer 1984 gegründeten Truppe Theatre du Pain.


Walter Pohl & Mateng Pollkläsener

Es wird uns da eine sehr autobiografisch gestaltete Geschichte erzählt, die ohne Pause durchläuft, eine Revue ist es, durchsetzt mit vielen Songs, Dialogen, Videoprojektionen und Zitaten aus früheren Pollkläsener-Produktionen. Sie beginnt im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück, in eher schlichten Familienverhältnissen, in der der noch Martin genannte aufwächst, irgendwann eine Tischlerlehre aushalten muss, aus der er dann ausbricht, er will Schauspieler werden. All seine Ausbrüche streng und kleinbürgerlich vom Vater kommentiert: „Das passt nicht zu uns!“ Nein, passt alles so gar nicht in dieses kleine Städtchen mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Bundesrepublik, unter anderem dem Wohn- und Steuersitz der Bertelsmann-Erbin Liz Mohn…


Aber unbeirrbar geht Pollkläsener, der sich längst Mateng nennt, seinen Weg Einige Stationen seines street theatre bekommen wir auf über der Bühne hängenden Leinwand zu sehen, die gewaltigste ohne Zweifel seine Aktion, als er auf einem Marktplatz (von Paderborn?) mit einer laufenden McCollough-Kettensäge durch eine erschreckte Menschenmenge rast.


Irgendwann vor guten 20 Jahren trifft den Schauspieler dann aber die kaltblütige Diagnose, dass er an einer Polyneuropathie leide, einer Nervenkrankheit, in seinem Fall sogar die hässlichste Variante, nämlich die progressive. Sie beginnt mit merkwürdigen Gefühlen in den Füssen, die einem wie eingeschlafen erscheinen. Das Hirn kommt mit seinen Befehlen einfach nicht mehr bis zu den Gliedmaßen durch. Nach und nach befällt sie andere Extremitäten, ein Leben im Rollstuhl ist dann oft die Folge.


Nun, diese Krankheit, die sich so schäbig des Körpers bemächtigt, lernen wir persönlich in Gestalt von Walter Pohl kennen, sie fährt zu Beginn – wie schon vorher Pollkläsener zu Fuß, den Koffer vorm Gesicht und mit dem für PNP-ler so typischen Zombiegang - aus der Tiefe des Zuschauerraums im Rollstuhl auf die Bühne, mit hinterhältigem Lachen. Der Rollstuhl ist mit kariertem Stoff bespannt, ähnlich dem, aus dem auch die Hemden geschneidert sind, die die beiden Akteure tragen, in roten Karos, später taucht auch noch eine karierte Wolldecke auf. Diese vielen Karos können kein Zufall sein, was sich hinter dieser Andeutung verstecken mag, habe ich bislang nicht ergründen können.


Wo wir gerade von der Wolldecke reden, auf ihr spielt Pollkläsener eine der furiosten Szenen des Abends, als er - mit einem Staubsauger vom Typ ‚Siemens Protos Rapid‘ ausgerüstet - sich auf ihr langmacht und sie in einen fliegenden Teppich verwandelt, mit ihm in die Höhe steigt, übers Meer segelt bis ganz hoch nach oben und dann ganz furchtbar tief abstürzt. Köstlich!

Ein schöner Moment auch der, als Pollkläsener in die Rolle Agar aus Melvilles ‚Moby Dick‘ schlüpft (auch eine Zitierung aus einer früheren Produktion), dramatisch, tragisch, düster.


Was bleibt als Eindruck nach einem solchen komödiantischen, unterhaltsamen Theaterabend, der einen doch so ernsthaften bis tragischen Hintergrund hat? Es geht eben nicht nur um diese spezielle Krankheit, auch nicht unbedingt um solch schwere gesundheitliche Einbrüche im Allgemeinen. Es geht um die Bewältigung, das Überleben – dies auch im wahrsten Sinne dieses Wortes – solcher Einschläge, die über uns 0hereinbrechen können und vor denen niemand sicher sein kann. Und zu sehen, dass es vieler Kräfte, weiten Zugeständnissen an die eigene Biografie und großen Mutes und großzügiger Zuversicht bedarf, damit fertig zu werden, zumindest mit den Folgen Frieden zu schließen.Pollkläsener gibt ein gutes, beneidenswertes Beispiel und am Ende gibt sogar Walter ‚PNP‘ Pohl Ruhe.


Als am Ende der brausende Beifall des Publikums einsetzte und die beiden Akteure auf die Bühne zurückkehrten, konnte Pollkläsener seine Tränen nicht zurückhalten. Authentischer kann ein Schauspieler und Stückeschreiber kaum hinter seiner Arbeit stehen. Ein bewegender Moment.


Immer wieder wurde der Abend durch Applaus unterbrochen und am Ende gab es 'standing ovations' für Mateng Pollkläsener (rechts) & Walter Pohl

Resumee: Des öfteren wurden im Spiel Ängste formuliert, dass es womöglich irgendwann keinen Intendanten, keinen Regisseur mehr geben könnte, der Pollkläsenener wegen seines fortschreitenden Gebrechens noch eine Rolle anbieten oder zutrauen könnte. Ich meine, er soll sich darüber keinerlei Sorge machen, einmal gibt es doch heute genug Spielleiter, die sich trauen würden, alle Rollen des Weltttheaters auch von Schauspielern im Rollstuhl spielen zu lassen, von Hamlet über den Puck bis zum Lear, oder eben ganz authentisch den Hamm in Becketts 'Endspiel'. Oder wir gründen einfach eine neue Truppe, das Theatre du PNP. Ich würde da mitmachen.

 

Nun ist es so, dass im Saal des Kleinen Theater offensichtlich nicht nur Zuschauer saßen, die an Pollkläseners und meiner Krankheit erkrankt wären, somit kann ich diesen Theaterabend aus vollem Herzen auch jedem Gesunden oder an einer sonstigen Krankheit Leidenden empfehlen, sich einen Besuch von Einer geht noch! zu gönnen:

  • Samstag - 21.9.2019 - 20:00 Uhr - Kleines Theater / Theater Bremen

  • Donnerstag, 3.10.2019 – 20:00 Uhr - Bühne des Blaumeier-Atelier -

  • Freitag, 4.10.2019 – 20:00 Uhr - Bühne des Blaumeier-Atelier

  • Samstag. 5.10.2019 – 20:00 Uhr - Bühne des Blaumeier-Atelier

  • Sonntag, 6.10.2019 – 18:30 Uhr - Bühne des Blaumeier-Atelier

Es gibt noch Karten für alle Vorstellungen.

 

Weblinks:

Mateng Pollkläsener: https://bit.ly/2kj4PZr

buten un binnen: https://bit.ly/2km2DR5

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info - Ich freue mich über jede Reaktion.

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