17.11.2024 - Requiems gehören als Totenmessen ihrem Ursprung nach in die römisch-katholische Liturgie. Der Begriff ‚Requiem‘ erklärt sich aus dem ersten Wort der ersten Zeile des obligatorischen ersten Teils des festgelegten Textes solcher Totenmessen, dem ‚Introitius‘ und das mit den Worten beginnt: »Requiem aeternam dona eis, Domine« (»Herr, gib ihnen die ewige Ruhe«). Längst gehören Requiems zu den beliebten konzertanten Aufführungen auch in protestantischen Kirchen. Am vergangenen Freitagabend kamen die Besucher der Bremen-Lesumer St. Martini Kirche gleich in den dreifachen Genuss, einem Requiem zuzuhören.
Denn der am 1. Oktober seinen Posten als neuer Kantor der Gemeinde angetretene Matthew Glandorf hatte für sein erstes Konzert mit dem weit über Lesum hinaus hoch anerkannten Chor der Kirche, der Capella St. Martini, ein ungewöhnliches Repertoire zusammengestellt.
Als erstes erklang das ‚Requiem Aeternam (SC 76) des vor allem als Opernkomponisten berühmt und beliebt gewordenen Giacomo Puccini (1858 – 1924). Sein Requiem ist sehr kurz und dauert kaum fünf Minuten und besteht nur aus wenigen Zeilen aus dem eben erwähnten Introitius:
Das Werk entstand als Auftragsarbeit des Verlegers Giulio Ricordi anlässlich des vierten Todestages von Giuseppe Verdi. Das Werk wurde am 27. Januar 1905 vom Chor der Mailänder Scala in der Kapelle der Casa Verdi uraufgeführt.
Die Besetzung besteht lediglich aus einem dreistimmig gemischten Chor, einer Solo-Viola (in Lesum: Balis Mele) sowie einem Harmonium oder einer Orgel. Natürlich kam in St. Martini keine andere Version infrage als die mächtige, 1992 von der Straßburger Manufaktur Alfred Kern & fils errichtete Orgel mit ihren 34 Registern einzusetzen, an diesem Abend meisterhaft gespielt von der belarussischen Organistin Alina Kushniarova.
Schon allein mit dem Puccini-Entree bewiesen der Chor der Capella St. Martini seine gut bekannte Lust zu singen und Matthew Glandorf sein unübersehbares Temperament und seine Freude am Dirigat. Mit diesen fünf Minuten einer gewissermaßen Ouvertüre des Abends liefen einem schon die ersten wohltuenden Schauer über den Rücken. Dazu trägt ebenso die geradezu intime Beziehung bei, die der Raum dieser Saalkirche mit seinem Altar an der Längsseite des Schiffes schafft. Man sitzt den Solisten, dem Dirigenten und dem Chor auf engstem Sicht- und Hörkontakt gegenüber.
Am Beginn erläuterte Glandorf den Ablauf des Programms des Abends und stellte als zweiten Beitrag das ihm als Organist, Kirchenmusiker und Dirigenten bekannten Magnificat & Nunc Dimmittis op. 10 Nr. 1 des irischen Komponisten von Charles Villiers Stanford (1854 - 1924) vor. Stanford war der Sohn eines wohlhabenden irischen Anwalts in Dublin. Seine Eltern waren sehr musikalisch, sein Vater trat aus Sänger auf, seine Mutter als Pianistin. In diesem Umfeld wurde Stanfords außergewöhnliches Talent schnell erkannt und gefördert. Als Kind lernte er schon früh Klavier und sehr jung auch das Orgelspiel. Später war er Chorschüler am Queens College in Cambridge und studierte in Berlin. Zu seinem umfangreichen Werk zählen Opern, Chormusik und Sinfonien, aber er ist vor allem für seine anglikanische Kathedralmusik bekannt. Er starb vor 100 Jahren, 1924 in London.
Natürlich ist Glandorf mit seinem anglo-amerikanischen Hintergrund als in Lewisburg im US-amerikanischen Philadelphia geborener und aufgewachsener Organist, Kirchenmusiker und Dirigent vertraut mit dem - vor allem auch kirchlichen - Schaffen von Stanford vertraut. Das am Freitag gegebene 'Debüt' hat durchaus musikalischen 'Appetit' auf mehr Stanford vermittelt.
Nach einem Orgel-Intermezzo mit dem knapp 4-minütigen Nachspiels in d-moll von Anton Bruckner, dessen zweihundertster Geburtstag in diesem Jahr begangen wird, folgte als krönender Abschluss dessen Requiem (WAB 39). Bruckner komponierte das Requiem mit nur 25 Jahren, also eher zu Beginn seiner Laufbahn als Komponist, in einem extrem entgegensetzten Punkt seiner Karriere als Mozarts sein Requiem geschaffen hatte, das er selbst noch nicht einmal vollenden konnte, weil er darüber verstarb.
Eine bewegende Performance erschütterte die Kirche, mit aller stimmlichen Gewalt, die dieses Werk verlangt, fesselte das Ensemble das Publikum, der Chor selbstredend so wie schon den ganzen vorherigen Abend, aber auch die vier Gesangssolisten, einzeln wie als Duos oder zu viert - Franziska Poensgen (Sopran), Sophia Bockholt (Alt), Christian Volkmann (Tenor) und Miguel Callejas (Bariton) - und die sechs Streicher - Paul Bialek, Julia Bornholdt und Vera Marreck, Violine, Balkis Mela (Viola), Konrad Seetiger (Cello) und Jasper Junghans (Kontrabass), oben in der Empore die schon erwähnte Alina Kushniarova, und last but really not least die drei Künstler an den Posaunen: Juan González Martínez (Alt), Yuka Mitani (Tenor) und Maximilian Brisson (Bass). Und natürlich der von der Musik und von seinem gesamten Ensemble faszinierte Dirigent machten aus dieser Stunde Kirchenmusik ein wirkliches Fest.
Man hatte das Gefühl, da ist etwas in kürzester Zeit zusammengewachsen, die Gemeinde St. Martini, aber auch der ganze Stadtteil Lesum, Bremen-Nord, Bremen und seine Umgebung können sich glücklich schätzen, Matthew Glanford gewonnen zu haben.
Andererseits kann man davon ausgehen, dass sich Matthew Glandorf seinerseits auch in Lesum, im Bremer Norden schnell zu Hause fühlen wird. Er hat zwar eine Wohnung in Schwachhausen gefunden, schreibt der Weser Kurier vom 28.8.2024, hat also einen längeren Weg zu seiner neuen Wirkungsstätte. Somit wird er sicher ähnlich auf die Frage antworten, die ihm 2023 die Presse gestellt hatte, als Glandorf noch in Cloppenburg den Posten des Kreiskantors bekleidete: „Welches Thema in den lokalen Medien hat Sie am meisten beschäftigt?“, und er darauf antwortete: „Ich würde gerne wissen, wann die ganzen Bauarbeiten in Cloppenburg fertig sind!“ Da wird er – steht zu befürchten – in Zukunft wohl weiterhin nur den Namen der Stadt 'Cloppenburg' gegen ‚Bremen-Nord‘ austauschen müssen.
Man kann aber davon ausgehen, dass er sich hier in seiner neuen Gemeinde schnell geborgen fühlen wird. Der Applaus für ihn, den Chor St.Martini, die vier Gesangsolisten und -solistinnen, die Instrumentalisten und Instrumentalistinnen im Kirchenschiff und oben an der wunderbaren Orgel war überaus herzlich und ausdauernd, sogar gesprenkelt von deutlichen „Bravo“-Rufen - nicht gerade kommun in einer Kirche – alles zu vollem Recht.
Ich freue mich jedenfalls auf die kommenden Aufführungen, darf ich mir womöglich schon jetzt Hoffnung auf eine J.S.Bach-Passion in der Osterzeit machen?
Herzlich willkommen, Mr. Glandorf!
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