Ein Freund schenkte mir vor einiger Zeit ein Exemplar des Buches von „Bremer Rundschau · Bremen und Bremerhaven seit 1989 aus Sicht eines Zeitungskorrespondenten“ (Kellner Verlag, Bremen 2021) von Eckhard Stengel, weil er mir die Bremer Wissens-, Informations- und Erfahrungslücken auffüllen wollte, die meine guten 30 Jahre Leben und Arbeit im Ausland mit sich gebracht haben. Stengel war lange Jahre freier Bremen-Korrespondent u.a. für die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau. Die 420 Seiten erweisen sich tatsächlich als eine großartige Hilfe, um die Informationsvakanzen zu füllen, wobei ich schon oder noch so manches wusste und kannte, denn nie habe ich in den langen außerhalb verbrachten Jahren den Kontakt zur Heimatstadt, der zurückgelassenen Familie und den dortigen Freunden verloren.
Aber sehr vieles in diesem Nachrichten-Almanach ist und war neu für mich, und so stoße ich in dem Buch auf manche bislang unbekannte Kuriosität. Es liegt nun an einem häufig frequentierten Platz in unserer Vegesacker Wohnung, wo es immer wieder dazu einlädt, es an beliebiger Stelle aufzuschlagen, um zu sehen, was dann und wann in der Hansestadt passiert ist. Auch für Menschen, die die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten nie für längere Zeit verlassen haben, ist es eine äußerst informative und unterhaltsame Lektüre. Zumal der „Stengelsche Stil“ lebhaft und authentisch ist und eine gewitzte Lektüre bietet.
1938: Eigentlich wurde Twitter in Bremen geboren
Die Stengel-Nachrichten-Sammlung rief schnell Assoziationen bei mir an drei andere Bücher mit ganz ähnlichen Ambitionen hervor, nämlich drei Bände von Fritz Peters, die mit den Titeln „Zwölf Jahre Bremen 1921-1932“, „Zwölf Jahre Bremen 1933-1945“ und „Zwölf Jahre Bremen 1945-1968“ vor vielen Jahren erschienen waren: der erste Band 1938 beim Arthur Geist Verlag, der zweite wurde 1951 von der Historischen Gesellschaft zu Bremen herausgegeben und 1976 kam posthum sechs Jahre nach Peters‘ Tod beim H.M. Hauschild Verlag der dritte Band heraus. Auf der Basis des noch von Peters selbst zusammengetragenen Materials war er von seiner Frau Henny und seinem ältesten Sohn Herbert herausgegeben worden. Den Schutzumschlag gestaltete Peters‘ jüngster Sohn Hartmut.
In all diesen Chroniken hatte der 50 Jahre lang am Bremer Staatsarchiv tätige Archivar Fritz Peters (1903-1970) nahezu und bisweilen beinahe penibel
Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr dokumentiert und aufgezeichnet, was in Bremen und Bremerhaven und teilweise in Deutschland passierte, all das im Stil von Kurznachrichten, unkommentiert und fast in telegrafischer Diktion, eben genauso wie sie sich heute in den Social Media oder auf Plattformen wie Twitter darstellen.
Obwohl im schon bereits fünften Jahr der Nazi-Herrschaft 1938 erschienen, liest sich der der erste der drei Bände, der die Nachrichten der Jahre von 1921
bis 1932 Band abdeckt, unbehelligt von propagandistischen oder gar politisch doktrinären Texten, auch wenn Peters sich im gleichen Jahr 38 genötigt sah,
der NSDAP beizutreten, ein Nationalsozialist ist aber nie geworden, trotz seiner kurzen Mitgliedschaft sogar in der SA Anfang der 30er Jahre. Die Weigerung, nicht in die Partei einzutreten, hätte ihn, so ist anzunehmen,
unter Umständen seine Stelle im Staatsarchiv kosten können, mindestens.
Man spürt dann geradezu aber im zweiten Band, also dem, der die Jahre 1933 bis 1945 selbst dokumentiert, dass Peters geradezu „auftaut“, denn – das Buch erscheint erst 1951 – nun kann er vollkommen befreit von Eingriffen von oder Ängsten vor der Zensur schreiben. So schrieb er sicher Notizen wie den Eintrag, der sich auf den Freitag, den 27. April 1945 bezieht, mit Freude nieder:
„Der Kampfkommandant von Bremen, General d. Inf. Fritz Becker, und viele Stabsoffiziere werden entwaffnet und gefangen genommen. Am Vormittag rücken die ersten amerikanischen Verbände in Bremen ein. Sie lösen die britischen Truppen ab. Die Freie Hansestadt Bremen wird Besatzungsgebiet der USA.“
Ich habe das Glück, dass mein antiquarisches Exemplar dieses Bandes eine persönliche Widmung aus dem Jahre 1958 des Autors selbst trägt und die Bände spricht und fast wie eine Botschaft in die heutige Zeit klingt:
„Zwölf düstere Jahre bremischer Geschichte wurden in diesem Band festgehalten. Nie zuvor erlebten die Bürger unserer Stadt so viel Grauen, als in der behandelten Epoche. Dieses Buch wird mit den Menschen untergehen, wenn durch Unvernunft ein neuer Krieg ausgelöst werden sollte. 5./4. 1958 Fritz Peters“
Die drei Bremen-Chroniken sind nicht die einzigen Publikationen von Fritz Peters. 1958 brachte er, zusammen mit Wilhelm Berner und unter Mitwirkung von Herman Fitger, bei Carl Schünemann die Chronik „33 Jahre Bremer Schauspielhaus im Spiegel der Zeitkritik“ heraus. Und 1962 folgte, ebenfalls bei Schünemann „Freimarkt in Bremen – Geschichte eines Jahrmarkts“, ein Buch, das sich zum Best- und Longseller in Bremens Buchhandlungen entwickelte. Wichtig auch die „Bremische Biographie 1912-1962“, zusammen mit „Karl H. Schwebel und Wilhelm Lührs“, 1969 bei H.M. Hauschild erschien
Die Petersche Familienchronik
Da in keinem der drei Peters-Bände, auch in dem dritten, den seine Frau und sein Sohn herausgegeben haben, und auch den weiteren seiner Publikationen, die mir vorliegen, nichts weiter Gehendes über den Autor selbst, seine Funktion und Genaueres über seinen beruflichen wie privaten Lebensweg auftauchte, ich aber neugierig geworden bin, diesen gewissenhaften, gründlichen, wie mir scheint, unbestechlichen, um Objektivität bemühten Chronisten näher kennenzulernen, versuchte ich mein Glück im Internet und stieß dort dann auf eine Spur: es tauchte ein Link bei Google Books auf, der einen Titel „Fritz Peters: ein Leben für Staatsarchiv und Familie : 1903 bis 1970“ nannte und als weitere bibliografische Angabe nur die nicht viel weiterführende Information angab, dass dieser Titel im Selbstverlag erschienen, aber immerhin, dass sein Autor sein Sohn sei, ein gewisser Herbert Peters.
Aufs Geradewohl und in der Annahme, dass bewusster Herbert Peters mit Glück in Bremen lebte, konsultierte ich das Telefonbuch und fand dort tatsächlich jemanden gleichen Namens, rief ihn an, und siehe da, es war besagter Spross des Archivars, geboren 1930 als erstes Kind der Eheleute Peters! Er schickte mir großzügigerweise umgehend ein Exemplar der Biografie seines Vaters zu, und mittlerweile weiß ich dadurch so sehr viel mehr über seinen Vater und habe das Gefühl, dass es sich um einen ausgesprochen ehrenwerten und sympathischen Zeitgenossen gehandelt haben muss.
Geboren wurde Peters am 4. Mai 1903 in Bremen und wuchs in einfachen Verhältnissen als Sohn des Maurers Jürgen Jacob Peters und dessen Frau Katharina Margarete Elisabeth, geb. Rippe, auf, erst im Stephaniviertel, dann auf einer Parzelle auf der anderen Weserseite, danach in der Friedrichstraße im Ostertor und später in der Taubenstraße im Steintorviertel. Mit knappen 14 Jahren verließ er die Schule. Sein Sohn Herbert schreibt:
„Nun stellte sich im Hause Peters die Frage nach der Zukunft des aufgeweckten, aber nicht sehr kräftigen Jungen: „Wat schall de Jung nu warr’n? To’n Murmann is he nich stäbig genog, man he het jo ne gode Handschrift. Denn lat em doch Schriever warr‘n.“
Da kam dann eine Anzeige in den Bremer Nachrichten vom 12. April 1917 gerade recht:
Peters stellt sich in Begleitung seiner Mutter in seinem Konfirmationsanzug vor und wurde eingestellt. So begann die ein halbes Jahrhundert dauernde Laufbahn des kurz vor dem Ende seiner Dienstzeit noch zum Archivoberamtmann beförderten, als Hilfsschreiber im Staatsarchiv Bremen begonnenen Fritz Peters. Denn am 17. April 1967 ging er in den Ruhestand, wenn er auch nach wie vor das neue Gebäude des Archivs im Fedelhören aufsuchte, wo er nach wie vor bis zu seinem Tod am 24. März 1970 einen für ihn reservierten festen Platz im Haus sein Eigen nennen durfte.
Dem Sohn gelingt es mit seiner Familienchronik seinen Vater vor seinem Leser aufleben zu lassen, aber vor allem seine wichtige Rolle für die Geschichtsschreibung der „Bremer Geschichte des XX. Jahrhunderts“ zu unterstreichen. Man kann ihn sich bildlich vorstellen, wie er von seinen Wohnorten, die fast immer im Ostertor, damit in der Nähe zu den Standorten des Staatsarchivs lagen, zu Fuß oder vielleicht auch mit dem Fahrrad zu seinen Dienststellen gelangte, unter dem Arm oder auf dem Gepäckträger sicherlich die zur Ausstattung eines Beamten gehörende lederne
Aktenmappe. Zum Ende mit der alten Linie 4 und der neuen Linie 1 von der Haltestelle Kirchbachstraße bis zur Haltestelle Am Dobben.
Denn als das Staatsarchiv noch seinen seit 1909 traditionellen Platz An der Tiefer, Ecke der heute nicht mehr existierenden Klosterstraße, hatte, lebte Peters mit seiner Familie in der Taubenstraße 4 im Ostertor. Bei einem Bombenangriff am Samstagmittag des 24. Februar 1945, noch kurz vor Kriegsende und von grausam kurzer Dauer von nur 12 Minuten, bei dem es 56 Tote, viele Verletzte und 1400 Obdachlose gab und weitere große Teile der Bremer Innenstadt vernichtet wurden, wurde auch das Gebäude des Archivs unwiederbringlich zerstört. Dennoch hielt sich das Ausmaß der Vernichtung wichtiger, nicht zu ersetzender Dokumente oder Originale durch den Bombenbrand in Grenzen. Die meisten Archivgüter waren rechtzeitig ausgelagert worden, vieles ins Umland Bremens. Auch dabei spielte Peters eine entscheidende logistische Rolle.
>>> Zu den Standorten des Staatsarchivs von 1826 bis in die Zukunft: auf die Fotoreihe oben klicken
Wie ebenfalls wieder nach Kriegsende bei der Rückführung der Materialien, als das Staatsarchiv seinen – wenn auch für viele Jahre, nämlich bis 1968 – provisorischen Standort Am Dobben 91 in der Villa Rutenberg und dem angrenzenden Hochbunker bezog. Dahin war Peters Weg zu seiner Arbeitsstelle noch näher geworden, erst recht ab 1957, als seine mittlerweile sechsköpfige Familie in den Sielwall 49 gezogen war. 1966 zog er noch einmal um, da lebte er bis zu seinem Tode 1970 im Schwachhauser Ring 15 c.
Neben vielen kleinen familiären, aber Peters gut charakterisierenden Anekdoten durchbricht Peters Junior seine Chronik immer wieder mit kurzen historischen Einsprengseln und Abrissen zur Geschichte Bremens und Deutschlands. Aber vor allem erleben wir eine unermüdlich schaffende Persönlichkeit, einen offensichtlich sehr bescheidenen Menschen, wohl wenig auf persönlichen Ruhm bedacht – so schildert ihn sein Sohn und scheint dabei nichts zu verklären. Obendrein hört man heraus, dass er ein guter Familienvater war und ein hoch geschätzter Kollege.
Natürlich ist es schade, dass keiner der drei Bände von Peters Chroniken zurzeit lieferbar ist, wenn sich auch manche Ausgabe von ihnen in den Beständen der gängigen Antiquariats-Plattformen findet. So interessant, wie es wäre, diese Annalen leichter zugänglich zu haben (auch wenn dem heutigen Leser manche Information nicht mehr viel sagen werden), wird sich wohl kein Verlag finden lassen, sie – unter Umständen in einem Band zusammengefasst und kommentiert, womöglich ergänzt durch Herbert Peters‘ Familienchronik – neu zu publizieren, außer das Staatsarchiv würde das selbst übernehmen. Ein dankbares Projekt wäre es, meine ich, denn heraus käme eine spannende Bremer Geschichte von 1921 bis 1956 im Twitter-Stil.
Zeit für eine posthume Ehrung?
Bei dem mächtigen Volumen, das Peters allein schon durch seine Buchveröffentlichungen der Stadt geschenkt hat, aber erst recht seine wohl kaum abzuschätzende Archivarbeit selbst, seine Umsicht, die Bestände in den Kriegsjahren vor der sicheren Vernichtung zu retten, sie nach dem Krieg wieder zusammenzuführen, all das hätte verdient, dass man Peters posthum ehrt. Vielleicht dort irgendwo in der Nähe seines letzten Schaffens am Staatsarchiv am Fedelhören oder in der Nähe seines letzten Wohnortes könnte man gut und gerne eine Straße nach ihm benennen.
Das wäre dann Aufgabe des Staatsarchivs und des Beirates Mitte oder Schwachhausen, je nachdem wo man eine solche Ehrung anbringen könnte und möchte.
Verdient hätte er es.
(Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Ausgabe # 85 des SCHWACHHAUSER · Magazin für Bremen.)
Reaktionen:
»Haben Sie herzlichen Dank für die Zusendung Ihres Artikels über Fritz Peters und das Staatsarchiv. Die Erinnerung an ihn und Ihre Initiative zur Ehrung freuen uns sehr.« - Prof. Dr. Konrad Elmshäuser - Staatsarchiv Bremen
»Vielen Dank für den Hinweis. Das interessiert mich.« - P. M.-O., Bremen
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