Das erste Mal stieß ich auf den Namen dieses Bremers, der in Paris sein Glück versucht und gefunden hatte, durch einen Artikel im Winter 2014 im Bremer Weser-Kurier und später wieder durch ein weiteres kurzes Porträt im gleichen Blatt, als er sich mal wieder, diesmal als Gast der Bremer Schaffermahlzeit 2019, in seiner Heimatstadt aufhielt. Eine spannende Biographie tat sich da auf, da war jemand als ganz junger Mann aus einem sogenannten "guten Hause" von der Weser in die mondäne europäische Modemetropole an der Seine aufgebrochen, um eine keineswegs typische Karriere eines hanseatischen Bürgersohns zu versuchen, dessen Herkunft, dazu noch Absolvent einer eher strengen Bremer Bildungsanstalt, dem Hermann- Böse-Gymnasium, sozialisiert, eher einen klassischen bürgerlichen Berufsweg vorgezeichnet hätte. Sich als Rechtsanwalt oder Arzt niederzulassen, dem Vater als Kaufmann nachzufolgen oder womöglich eines Tages als Prediger im St.-Petri-Dom am Bremer Marktplatz zu landen, all das wäre als eine eher passendere hanseatische Karriere empfunden worden.
Die Rede ist von Jürgen Michaelsen, der unter seinem Alias YORN (ausgesprochen: "Jörn") bekannt und berühmt geworden ist. 1935 wurde er in Bremen in eine Kaufmannsfamilie hineingeboren und zeigte schon als zehnjähriger Knabe ein Faible für ausgefallene Modestücke, als er seiner Mutter - damit leicht an der angemessenen Etikette vorbeischliddernd - aus einem Gemischtwarenladen kurz nach Kriegsende von einem Erholungsaufenthalt in einem kleinen Dorf im Werratal Dessous aus roter Seide mit schwarzen Spitzen als Mitbringsel mit nach Bremen brachte. Die Frau Mama reagierte daraufhin, wie die ganze Familie, doch ein wenig pikiert (wir befinden uns in vor-bundesrepublikanischen Zeiten!), ging aber dann doch hanseatisch großzügig darüber hinweg.
Diese frühen Anfänge seiner Vorlieben für modische Attitüden des noch kleinen (noch unschuldigen? Das verrät YORN nicht und ich glaube nicht...) Jürgen verrät uns YORK in einer kleinen, aber sehr feinen Autobiographie, die der nunmehr große, und - das sei erlaubt, so zu formulieren - mittlerweile ältere Herr Michaelsen erzählt. In einem Buch, das viel Leichtigkeit ausstrahlt. YORKs Schilderungen erwecken szenische und musikalische Assoziationen an das Paris der Endfünfziger, der beginnenden sechziger Jahren, das man aus den Filmen von Tati oder aus Irma la Douce oder auch noch aus An American in Paris zu kennen glaubt. Als sich dort noch ein fast unbekümmertes Leben auf den Boulevards der Champs-Élyséess oder im Montmartre abspielte. YORK selbst fühlt sich in seiner ersten Bleibe in den Film Sous les toits de Paris von René Clair versetzt, wie er schreibt.
Und in dieses muntere Treiben der Hautevolee der Metropole der internationalen Mode plumpste gerade der erst zwanzigjährige Jürgen und lernte dann auch gleich den Modezar Christian Dior kennen. Das wurde für ihn das Sprungbrett in ein immer gut temperiertes Karrierebad, das sich stetig in kleinen, aber gewichtigen Schritten entwickeln.
Auch seinen nickname YORN verdankt er Dior, der damit verhindern wollte, dass er sich mit dem deutschen Namen „Jürgen“ seine frankophon sozialisierte Zunge brechen würde. Und so nannte ihn ab dann auch ganz Paris. Ebenso wurde damit später sein Markenzeichen getauft, als er dann unter diesem Label auch in Deutschland mit großem Erfolg ganze Modelinien vermarkte: in den seinerzeit noch höchst angesagten Häusern des bundesdeutschen Kaufhausmonopolisten Karstadt oder in den Katalogen des Versandhauskönigs und Wirtschaftswunderprimus‘ Josef Neckermann.
Obwohl YORN es sich hätte leisten können - und über das dafür nötige Talent hätte er sicher auch verfügt - umgab er sich nie mit großen Allüren oder zu mondänen Extravaganzen. Da Michaelsen nur zwei Jahre von seinem älteren Kollegen Karl Lagerfeld trennen, bekanntermaßen ein weiterer Hanseat, der in Paris in Sachen Mode sein Glück suchte und fand, erwähnt YORN ihn an keiner Stelle des Buches. Denn sie müssen sich oft genug im Modedorf Paris über den Weg gelaufen sein, in direkter Konkurrenz standen sie wohl eher nicht, aber natürlich würde man gerne wissen, was die beiden voneinander hielten. Format haben, bzw. hatten nun wirklich beide, wenn auch jeder auf seine Art. Aber ich habe den Verdacht, dass sie vielleicht einen ähnlich trockenen, eben norddeutschen Humor hatten. Das hätte man gerne gelesen, aber das kann YORN noch bei einem seiner nächsten Bremen-Besuche nachtragen.
Mit dem letzten Teil verlässt YORN seine Erinnerungen und tritt in die Realität seiner kulinarischen Vorlieben ein: er fügt vierzehn seiner Lieblingsrezepte an, welche, die aus der provenzalischen Küche kommen und andere, die aus Bremen stammen. Allem voran das für den Bremer Klaben mit den mindestens fünfzehn Zutaten, die norddeutsche weihnachtliche Offensive gegen den Dresdner Christstollen.
Mit dem letzten Teil verlässt Yorn seine Erinnerungen und tritt in die Realität seiner kulinarischen Vorlieben ein: er fügt vierzehn seiner Lieblingsrezepte an, welche aus der provenzalischen Küche kommen und andere, die aus Bremen stammen. Allem voran das für den Bremer Klaben mit den mindestens fünfzehn Zutaten, die norddeutsche weihnachtliche Offensive gegen den Dresdner Christstollen.
Ohne dass Michaelsen es ausdrücklich erwähnt, manche der Rezepte wird er sicher zubereiten, wenn er auf seinem südfranzösischen Landsitz seinen Nachbarn zu Besuch hat; den genialen Zeichner Jean-Jacques Sempé, der den Autor nicht nur animierte, diese Erinnerungen niederzuschreiben, sondern das kleine Kabinettstück mit seinen unnachahmlichen Illustrationen der feinen Striche ausgestattet hat. Damit garniert er YORNs Bericht über sein in den meisten Zügen heiteres Leben noch mit einer weiteren unbeschwerten Note.
So ist ein Buch entstanden, das man sich gut in sein Urlaubsgepäck packen kann, egal, wo auch immer einen die Reiseeinschränkungen die Ferien in den heutigen Zeiten verbringen lassen. Oder in aller Gemütlichkeit in einer von Lagerfelds verteufelten Jogginghosen auf der Chaiselonge ausgestreckt, oder eben irgendwann mal wieder da, wo das Buch entstanden ist, irgendwo mit dem Duft von Lavendel in der Nase, in der Provence.
Apropos: Eigentlich sollte YORN sein Buch persönlich im Mai in der Bremer Kunsthalle zum Erscheinen präsentieren, in Begleitung des Pianisten Sebastian Knauer. Das musste aus Corona-Gründen annulliert werden, wurde dann aber für den Oktober 2020 mit einer deutsch-französische Lesung im Bremer Institut Français angekündigt. Aber leider musste auch das gecancelt werden. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass wir YORN bald und erneut in seiner Heimatstadt begrüßen können!
Weblinks:
Interview mit YORN | Bremen Zwei | 2018: https://bit.ly/37bnlqy
Interview | Weser-Kurier | 22.4.2020: https://bit.ly/2Uiw7hm
Diogenes Verlag: https://bit.ly/3fTvJzh
Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.
Ein wundervolles Buch. So leicht geschrieben wie eine Zeichnung von Sempé. Es zu lesen bescherten mir sehr schöne entspannte Stunden und einen großartigen Einblick in die Modewelten in Paris, nicht nur die Haute Couture. Danke für den Tipp, Günny