Und es gibt ihn doch!
- Guenter G. Rodewald

- 24. Dez. 2021
- 5 Min. Lesezeit

Weihnachten 2020 - Im Jahre 1990, vielleicht auch noch 1991 wird es gewesen sein: wir waren nach langer Fahrt von Barcelona mit unserem Renault R6 in Bremen zu unserem Weihnachtsbesuch eingetrudelt, und kaum angekommen, erreichte uns der Hilferuf von Freunden. Ihre jeweils vier- oder fünfjährigen Söhne, die zusammen den gleichen Kindergarten besuchten, waren in einen handfesten Streit geraten, ob es denn nun tatsächlich einen Weihnachtsmann gäbe.
Bastian behauptete steif und fest, dass nicht, und Dino war vollkommen entgegen gerichteter Meinung, denn selbstverständlich gab es ihn! Beiden Elternpaaren war es offensichtlich wichtig, den Glauben an die Existenz des Generalverantwortlichen für die Geschenke noch ein weiteres Jahr, zumindest noch dieses eine Mal weiterleben zu lassen.
So fragten sie mich, wohl ahnend, dass meine bisweilen in Erscheinung getretene Begabung für schauspielerische Einlagen, wenn auch gerne in chargierender Weise, gut geeignet sein könnte, den beiden Jungs noch einmal zum rechten Glauben zu verhelfen, respektive ihn dem anderen zu bewahren.
Ich traute mir diese Rolle durchaus zu, es konnte ja auch kein Problem bedeuten, in dieser Zeit noch das entsprechende Outfit für einen glaubwürdigen Auftritt zu besorgen. Die betreffenden Läden müsste doch voll von feuerwehrroten Weihnachtsmannkostümen hängen.
Dass das ein grundsätzlicher Irrtum war, wurde allen Involvierten bald klar, das einzige, was wir noch auftreiben konnten, war ein langer Rauschebart, auch der nicht in klassischem Weiß, sondern in einem ganz und gar untypischen Silbergrau, aber eine rote Zipfelmütze trieben wir noch auf.
Nun mussten wir sehen, was noch irgendwie in der passenden Richtung als Garderobe für den Auftritt gelten konnte. In einem Kleiderschrank bei weiteren Freunden fanden wir einen stark nach Mottenpulver riechenden Pelzmantel, ebenso einen Pelz, der mir zum weiteren Schmuck um den Kopf gebunden wurde und der aus mehreren Katzenschwänzen zusammengenäht gewesen zu sein schien.
Handschuhe, in Erwartung eines eher kälteren Winterwetters als in Barcelona, hatte ich sowieso dabei, auch passende klobige Winterstiefel. Als Gehstock musste ein roter Besenstiel herhalten, den ein alter Herr und als den man einen Weihnachtsmann ja darstellen musste, ja unbedingt benötigt, zumal man in beiden Wohnungen, die es anstand zu besuchen, steile Treppen jeweils in den zweiten Stock steigen musste.
So herausgeputzt fuhren wir also mit unserem R6 verabredungsgemäß zunächst zu Dinos Haus. Hartmut war mein Chauffeur, es schneite sogar, es war weihnachtlich kalt, was man auch auf der Fahrt spürte. Denn unser Auto war und blieb eine mediterrane Schöpfung, es wurde einfach nicht warm. Auf dem Weg sahen uns manche Leute vom Gehweg oder von anderen Fahrzeugen aus, denen ich natürlich allen großväterlich zuwinkte. Wie viele dieser Passanten bei meinem Anblick nun
auch wieder an den Weihnachtsmann glaubten, konnte nicht ermittelt werden.
Wir fuhren vor, Hartmut, als frierender Knecht Ruprecht, musste im Auto warten und ich stapfte auf das Haus zu, klingelte Sturm und stapfte mit lauten Schlägen mit meinem Stock auf die hölzernen Treppenstufen und mit lautem, tiefem Bass einen einem Weihnachtsmann würdigen Gegrummel die zwei Etagen hoch, über der Schulter bereits den prall gefüllten Sack, der – wie verabredet – unten an der Haustür bereitgestellt worden war.
Ich wurde von Ulla und Mario, den Eltern, sehr herzlich begrüßt und ins Wohnzimmer gebeten, wo mich der zugegebenermaßen ziemlich eingeschüchtert erscheinende Dino anstarrte. Ebenso begrüßte mich Nico, sein älterer Bruder, aber wesentlich entspannter, er hielt dicht und vereitelte unseren Plan nicht, sondern spielte vorbildlich mit. Dann war da noch Oma Anita, von der ich bis heute immer noch vermute, sie glaubte ab dem Moment auch wieder sofort an die Existenz des Weihnachtsmanns, so verstummt saß sie da.
Es hatte also geklappt: meine Kostümierung und mein Auftritt hatten ihre Feuerprobe bestanden. Ich setzte mich erst einmal, verlangte nach einem Bier und einem Schnaps, was ich auch sofort von der Hausleuten eingeschenkt bekam. Dann packte ich den Sack aus und verteilte Geschenk für Geschenk an alle fünf im Zimmer.
Zum Ende wurden noch zwei Fotos geschossen, von mir vorm Baum und von den beiden Jungs auf meinem Schoss. Warum diese beiden grafischen Belege meines Auftritts farblich und fototechnisch so gewagt ausgefallen sind, ist bis heute nicht geklärt. Vater Mario galt eigentlich als geübter Fotograf. Aber vielleicht war auch er ins Zweifeln geraten und der Finger auf dem Auslöser auch nicht mehr so sicher und ins Zittern geraten.
Aber wir mussten weiter. Der 2. Akt musste auch noch gegeben werden. Also wieder hinunter ins Auto, Hartmut war mittlerweile schon halb erfroren, und es schneite immer weiter.
Man erzählte mir dann später, aber der Bericht gehört hier hineingeschoben, dass Dino, nachdem die Wohnungstür sich hinter mir geschlossen hatte, sofort ans Telefon gestürzt war und Bastian angerufen hatte, um ihm natürlich in höchster Aufregung von dem Besuch des Weihnachtsmanns zu erzählen, er also doch Recht gehabt hätte, es gäbe ihn also doch, den Weihnachtsmann!
Ich weiß nicht, ob auf der anderen Seite diesem neuen Tatbestand sofort geglaubt wurde, aber viel Zeit zum Zweifeln blieb eigentlich nicht, denn wir waren mit unserem weinroten Gefährt schon längst wieder auf dem Weg.
Dort spielte sich dann ähnliches ab, wie vorher schon, einen Bruder oder eine Schwester gab es nicht, die den Auftritt womöglich hätten verraten können. Auch dort bekam ich für den Nachhauseweg wieder etwas eingeschenkt und eines war sicher und sichtbar. Auch Bastian glaubte weiter und wieder an den Weihnachtsmann, zumindest in diesem jenen Jahr 1990 oder 1991. Wie es heute darum steht, ich weiß es nicht.
Viele lange Jahre, heißt es, sollen weder Dino, noch Bastian, noch Nico gewusst haben, wer sich damals hinter jenem Weihnachtsmann verborgen hatte. Irgendein vorlauter Zeitgenosse soll es dann ausgeplaudert haben. Aber das macht eigentlich nichts, denn sonst hätte ich diese Geschichte ja so gar nicht erzählen können.
Ich wünsche allen Freunden, den Familien und wer immer dieses liest, ein schönes Weihnachten und dass man Glauben an die schönen Dinge im Leben niemals verlieren sollte.

Nota bene | Ad Nativitatem Domini 2021:
Aus beiden Steppkes ist mittlerweile etwas „Ordentliches“ geworden, der eine entwirft in einem großen Architektenbüro am Rhein imposante Gebäude, der andere ist ein beliebter TV- und Radioredakteur und -Reporter in einem wichtigen ARD-Sender geworden. Beide könnten allerdings bald schon in die Verlegenheit kommen, auch bei sich zu Hause sich den ähnlich wie in ihrer eigenen Kindheit formulierten Zweifeln, gibt es ihn, den Weihnachtsmann oder gibt es ihn nicht, stellen zu müssen, um diese Illusionen noch ein Jahr oder ein paar Jahre mehr weiter pflegen zu können.
Wenn man dann dafür meinen Einsatz erneut bräuchte, käme ich gerne wieder vorbei, authentischer kostümiert vielleicht als damals, auf jeden Fall bräuchte ich den Krückstock jetzt nicht mehr wie seinerzeit aus rein kostümtechnischen Gründen, sondern dafür, um ohne umzufallen die Bescherung gestalten zu können. Sonst wird alles wieder so sein wie 1990 oder 1991. Ach ja, bessere Fotos – Handys gab es damals eben noch nicht - wird‘s dann wohl sicherlich von den Auftritten geben.
Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info - Ich freue mich über jede Reaktion.










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