Über das schreibt Moritz Rinke; jedenfalls ist das der Titel des Buches, den er dem gegeben hat, aus dem er vorgestern im THEATER BREMEN las, wenn auch ohne das Fragezeichen am Ende. In der Tat, es waren allesamt Stücke, die er eine Stunde lang vortrug und die sich um die komplizierten Lebenssituationen der letzten zwei, drei Jahre drehen, die wir alle erlebt haben. Dennoch alle erfrischend kurz, in bester feuilletonistischer Manier, entstanden in dieser neuen Zeit, in denen dieselbe sich dauernd wendet, einmal, zweimal, noch viele Male, so müssen wir wohl sogar fürchten. Diese lange Zeit der abgelaufenen Jahre, in denen wir fast verlernt haben, wie es aussieht, wenn wir uns zulächeln, denn wir sahen fast immer nur halbe Gesichter und Masken. Monate, in denen wir die Häuser nicht verlassen durften, wir von vielen hören mussten, dass sie uns verliessen, in vielen nur von ferne, von einigen schon auch aus näherer Entfernung, von ganz nahen auch, aber, wenn man Glück hatte, von niemandem aus der allernächsten Umgebung.
Da tut es richtig gut, wieder mit so vielen Zeitgenossen gemeinsam in einem großen Raum wie dem Parkett und dem ersten Rang des Theaters am Goetheplatz zu sitzen und sich kollektiv zu vergnügen. Denn all die Texte, die Rinke so verbricht und mit viel Lesefreude vorträgt, erlauben es zu lachen oder zu schmuzeln, weil sie eigentlich auch alle am Ende mit einer Pointe aufwarten, in manchen gönnt er seinen Lesern sogar zwei oder drei.
Den Dramatiker, Romanautor und Feuilletonisten Moritz Rinke kann man getrost als einen Hausautor des Theaters Bremen betrachten. Sein Kontakt zu dieser Bühne und einem ehemaligen Prinzipal reicht zurück in seine Jugendzeit, mit 17 Jahren hat er ihn das erste Mal getroffen. Das wissen wir durch ihn selbst seit seinem quasi Coming-of-Age-Artikel vom 11. November 2000 im „Tagesspiegel“ mit dem Titel „Der Menschensammler“ (Link), mit dem er in sehr warmen und kenntnisreichen Worten den seinerzeitigen, vor genau 50 Jahren vom Bremer Hof gejagten Intendanten Kurt Hübner porträtierte. Für mich in gewisser Weite nachfühlbar, denn ich lernte Hübner in einem ähnlich jungen Alter kennen, sogar noch ein wenig früher, ich war erst 14, aber das Ganze passierte bei mir auch zwanzig Jahre eher.
Nicht ganz so lange, aber schon seit den 90er Jahren, kennt er ebenso den heutigen Hausherrn des Bremer Theaters, den Intendanten Michael Börgerding, seit dieser noch Dramaturg am Schauspielhaus Hannover war und im Zusammenhang mit der dortigen Uraufführung von Rinkes Schauspiel Männer und Frauen. So erzählte Börgerding es in seiner den Abend einleitenden Anmoderation, die er mit einem gewissen Ausdruck von Bedauern beendete, denn er könne doch noch von ein paar schönen Geschichten aus der Zeit berichten. Er zog sich dann aber – höflich und rücksichtsvoll, wie man ihn kennt – schnell zurück, um den Hauptdarsteller des Abends hereinzurufen. (Aber das mit den Geschichten von früher, das sollte dann beim nächsten Rinke-Besuch eingeplant werden, denn den wird es sicher geben.)
Leser der einzigen Bremer Tageszeitung, die manche Neubremer Zeitungsleser verwirrt, weil es sie zweimal gibt, einmal heisst sie 'Weser-Kurier', einmal 'Bremer Nachrichten', aber unter ihrem Signet und allen Seiten hintendran steht Zeile für Zeile absolut das Gleiche. Versteht kein Mensch.
Nun ja, In diesen angeblich zwei Zeitungen erscheint eben an jedem Samstag auf der ersten Seite der Wochenend-Beilage die Kolumne von Rinke, seine 'Rauten', so dass manche der Zuhörer durchaus an diesem Abend in den Genuss schon manch selbst Gelesenem kommen. Nun aber live vom Schöpfer selbst, dazu in wohltuend angenehmer Stimmlage und in hörbarer Freude am Vortrag. Man weiß das zu schätzen, denn es gibt nun einmal auch Autoren, die es beim Schreiben belassen sollten. Dazu gehört Rinke glücklicherweise eben nicht.
Neben den 'Rauten' bildeten aber auch noch auch andere von Rinkes Kunststücken das Programm.
Sie spüren, der Abend hat mir Spass gemacht, obwohl die Texte sich um so manch Ernsthaftes drehten: die Kinder, die in der Schule Atombombenabwurf spielen, über im Haus aufgenommene Gäste, die aus der Ukraine wegen des Krieges geflohen waren, der über sie gekommen war und der uns so beängstigend nahe ist. Oder über zweifelhalfte Polit-Duos, die plötzlich aufscheinen, aber nicht etwa in Talentshows auftreten, sondern vor Brandenburger Toren.
Rinke ist ein Meister dieser kleinen Stücke und in Zukunft werde ich, wenn ich als treuer Angehöriger seiner Rautenleserschaft am Samstag oder Sonntag seine 'Rauten' lese, auch seine Stimme dazu im Ohr haben.
Nach der Lesung kam dann noch Diana König, die Presseverantwortliche des Theaters Bremen, auf die Bühne und setzte sich zu Rinke an den Tisch und die beiden plauderten sehr angeregt über das Gelesene und Sonstiges, man hörte auch den beiden bei ihrem Zwiegespräch gerne zu.
Gab es etwas, was nicht so schön an dem Abend war? Ja, aber damit hatten die Veranstalter nichts zu tun, denn unmittelbar in der Reihe hinter mir hatte ich einen Nachbarn sitzen, dessen Handy immer mal wieder quälende Töne von sich gab. Dazu schien er einige der Rinke-Texte sehr gut zu kennen, denn er sprach immer mal wieder den einen oder anderen Wortbaustein aus der Lesung synchron mit. Vielleicht nutzt er das Wochenende, um Rinkes WK-Rauten auswendig zu lernen, zumal ihm dafür seit dem Oktober letzten Jahres ein Tag mehr zur Verfügung stünde, seitdem es keinen „Kurier am Sonntag“ mehr gibt und Rinkes Kolumnen statt am Sonntag so immer schon am Samstag erscheinen.
Diese Fahrplanänderung im Publikationskursbuch des WK, so ließ uns der Autor zum Ende der Veranstaltung wissen, bedeute für ihn, dass er sich sputen müsse, nun nach Hause zu kommen, denn um acht Uhr hätte er Deadline der Abgabe seiner Raute für den Samstag, wobei ich nicht verstanden habe, ob sich das auf den nächsten frühen Morgen bezog, oder doch erst auf die gleiche Stunde am kommenden Abend.
Ein Thema dafür hätte er allemal, denn er könnte doch über den netten Abend mit uns schreiben, zumal er anschließend doch noch so viele gute Worte erfuhr, als er im Foyer geduldig Exemplare signierte, für die in ihrer Mehrheit Damen älteren Semesters. Das wiederum passte auch ins Bild, denn solche, wie aber auch Herren ähnlichen Alters, bildeten deutlich identifizierbar den Publikumsdurchschnitt des Abends, ich zähle mich dazu, mit meinen guten siebzig Jahren. Aber man fragt sich, wo sind die jungen Leute? Immer wieder vermisse ich sie, wenn ich ins Theater gehe. Das auch ein Thema für eine Raute, Moritz?
Eines seiner gelesenen Stücke war eines, das auch auf Homepage des THEATER BREMEN zu lesen ist (leider nicht zu hören), mit dem Titel Bald lese ich in Bremen! oder: Die blaugraue Dämmerung – Wie ich einmal für Günter Grass einspringen musste - wenn Sie mögen, hier ist es. Bei dem Herrn links handelt es sich nicht um den Autor des Abends, aber wer es ist, Sie erfahren es, wenn Sie die Geschichte lesen. So viel sei verraten, es handelt sich NICHT um Günter Grass!.
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