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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Volle Schläge ins (Literatur-)Kontor


… hat es am vergangenen Samstag in die Villa Ichon gegeben. Man feierte in dem prächtigen Bau von 1849 die 40 Jahre des Bremer Literaturkontors und in der diese renommierte Institution ihr überaus sinnvolles Unwesen treibt. Die gut vollen zwei Stunden des Abends fanden in Gegenwart des wohl belesensten aktiven Bürgermeisters Deutschlands statt, im Nebenberuf Senator für Kultur, vielleicht dem engagiertesten in Bremen in diesem Job der vergangenen Dekaden. In seiner Begleitung seine Lebensgefährtin, demnächst Ehefrau, die Biologin Kerstin Krüger. Ebenso – wie fast bei allen literarischen und vielen kulturellen Ereignissen der Hansestadt präsent – zur Stelle: Dr. Alexandra Tacke vom Senator der Kultur, dort als (jetzt kommt einer der längsten Titel der hanseatischen Administration) Leiterin des Referats 12 (Bildende Kunst, Kunst im öffentlichen Raum, Städtische Galerie, Literatur, Filmkunst, Regional- und Minderheitensprachen, Öffentliche Bibliotheken und Kulturaustausch). Und auch vom Kultursenator dabei Referent Dr. Hendrik Werner, früherer und nach wie vor von seinen Lesern heiß vermisste Kulturredakteur des Weser-Kurier.


Nach der kurzen, aber herzlichen Begrüßung durch den seit langen Jahren Mitarbeiter und seit Januar 2019 Geschäftsführer Jens Laloire bat dieser den Bürgermeister um dessen Grußwort, das - wie von ihm nicht anders gewohnt - gewitzt und auf den Punkt gebracht frei vorgebracht wurde, wobei er – wie hätte er auch anders können!? – die langjährige, ausdauernde und wirkungsvolle Arbeit der im Literaturkontor Versammelten, in der Vergangenheit, in der Aktualität und sicher auch in der Zukunft pries. Wie aber auch das Gleiche für das nur drei Türen weiter residierende Literaturhaus gilt, das sich zwar noch bescheiden das Attribut „virtuell“ zugelegt hat, dabei ist es ebenso wie das Kontor so realiter wie nur möglich tätig, mit der unermüdlichen Heike Müller an ihrer Spitze.

Und wieder der Bürgermeister: und ja, es müsste wohl mit dem Teufel zugehen, wenn sein Versprechen für das ‚Stadtmusikantenhaus‘ und damit einhergehend für ein Domizil für die Bremer Literatur, ihre ehrenamtlichen Institutionen, ein Literaturcafé und einen eigenen Veranstaltungsraum nicht wahr würde. Immerhin gebe es den gültigen Senatsbeschluss, wie ‚Bovi‘ betonte, auch wenn da - selbst aus den Koalitionskreisen (aus anderen pflichtgemäß sowieso) - immer auch mal antiliterarische Gegenwehr zu vernehmen war. Und auch wenn die Bremer Verfassung keine sogenannte, immer mal wieder auf Bundesebene heraufbeschworene Richtlinienkompetenz vorsieht, scheint es der Senatspräsident immer wieder zu verstehen, seine Senatskollegen und -Kolleginnen auch ohne solch verfassungsrechtliche Daumenschrauben von seinen Vorstellungen zu überzeugen.


Zumal seine senatorische Dienststelle plus seiner eigenen bekannten, bewiesenen und kenntnisreichen Lust und Vergnügen am Lesen wohl noch nie so gut literarisch „bestückt“ war wie heutzutage. Dazu gehört ebenso das allgemeine, das am Samstag auch wieder kräftig von allen Seiten ausgeübte Daumendrücken für den Antrag des Senats auf den UNESCO-Titel ‚City of Literature, der im Herbst 2023 verkündet werden wird. Ein begehrter internationaler Titel, den sich bislang 42 Städte in 32 Ländern und auf den sechs Erdteilen teilen. In Deutschland kann sich bislang nur die Stadt Heidelberg damit schmücken, wenn Bremen dazu käme, würde sich ein spannender Kreis schließen, zu der ältesten deutschen Universitätsstadt (Gründungsjahr 1386) würde sich eine der jüngsten des Landes (vor nur 52 Jahren: 1971) gesellen.

Neben der kulturpolitischen Prominenz des Abends, fanden sich ansonsten viele unter den Gästen, die lange Jahre und schon vor vielen Jahren das Leben des Literaturkontors mitgestaltet haben, ebenso viele, die Nutznießer und Mitgestalter der umfangreichen Initiativen des Kontors waren und sind. Die zwei Säle im ersten Stock der Villa Ichon, seit Anbeginn dank des großen und segensreichen und großzügigen, der seinesgleichen sucht, der Bremer Mäzen Klaus Hübotter (1930-2022) Sitz des Kontors, waren beide prall gefüllt, gute 100 Besucher werden es gewesen sein. In der Pause wie nach der Veranstaltung wurde viel miteinander geredet, zu trinken gab es natürlich auch, Stinte an diesem Abend jedoch keinen. Stinte? Dazu noch etwas weiter unten.

Im ersten Gesprächsblock beantworteten die Fragen von Jens Laloire zwei ehemalige Vorstandmitglieder des Kontors, jeweils in verschiedenen und wechselnden Funktionen, Angelika Sinn, für viele Autoren und Autorinnen Großmentorin, und Jürgen Alberts, einer der kriminellsten Autors Deutschlands. Manch Schnurren trugen sie an dem Abend bei, und überhaupt gab es an dem Abend viele Anekdoten und Schoten aus alten Tagen zu hören. 40 Jahre sind ja nun auch eine lange Zeit…


(Vor-)gelesen wurde natürlich auch: im ersten Teil waren es Anna Jäger und Ernesto Salazar-Jiménez und im zweiten Jörg Isermeyer und Anke Bär, die kurze und kurzweilige Beispiele aus ihren jeweiligen Produktionen vortrugen, die zum Teil so schon in den Veröffentlichungen des Literaturkontors selbst erschienen waren. Alles schöne Stücke, denen man gerne lauschte. Ganz besonders hat mich die Erzählung „Sonntagskind“ von Salazar-Jiménez gerührt. Stellvertretend für alle an dem Abend gelesenen Texte und für alle mit dem Bremer Literaturleben verbundenen Autoren und Autorinnen erlaube ich mir, und mit Erlaubnis des Autors, sein „Sonntagskind“ am Ende dieses Posts zum Download bereitzustellen.


Zum Ende des ersten Teils des Abends machte sich in bester TV-Talkmaster-Manier Jens Laloire mit seinem Mikrofon auf den Weg ins Publikum, in dem er einige der Gäste, alte Hasen und Häsinnen wie jüngere aus der Geschichte nach Geschichten um das Literaturkontor interviewte. (Wir müssen aufpassen, dass uns die wenig verbleibenden, daher umso wertvolleren kulturaffinen deutschsprachigen TV-Anstalten uns Laloire nicht abwerben, so eindeutig gut ihm diese Rolle als Moderator zufällt und ihm -sagt…)


Den zweiten Teil eröffnete in Bild und Ton ein Quiz, das die bewährte Mitarbeiterin des Literaturkontors Janin Rominger perfekt und mit viel Witz moderierte (hat sie den gleichen Coach wie Jens?). Wer den Beiträgen des ersten Teils des Abends aufmerksam gefolgt war und vor allem ein gutes Gedächtnis für (Jahres-)Zahlen hat, konnte viel gewinnen. Aber leider gab es gar nichts zu ernten, außer Ehrenplätze, womit wir uns wieder in literarischen Gefilden bewegen, denn die große Mehrheit derer, die sich zum Schreiben (und Veröffentlichen!) hingezogen fühlen, weiß lange, dass die Ehre auch meist der höchste Lohn dieses Gewerkes bedeutet.

Mit Glück wird man allerdings als publizierte/r Bremer/in oder etwas zu oder über diese Stadt Schreibende/r in der kürzlichen Ausgabe (oder erscheint in der nächsten Edition) von „Diese Stadt ist echt, und echt ist selten. Bremen und Bremerhaven in der Literatur“ (Wallstein Verlag, Göttingen 2023 - https://bit.ly/3Wr8dPE) gewürdigt, die der an dem Abend ausdrücklich vermisste und für das literarische Leben Bremens und das Literaturkontor so wichtige und emsig tätige Johann-Günther König zu verantworten hat. Aber er hatte Wichtiges „außerhalb“ zu tun, durchaus als Diplomat im Dienste Bremer Literatur, nämlich um auf der Veranstaltung Engels in Eastbourne – International conference to be held to commemorate the 175th anniversary of The Communist Manifesto über Engels' important years in Bremen zu sprechen.


In Akt II des Abends gab es eine weitere tertulia zwischen Bernd Gosau (*1941), dem Mitgründer des stint · Zeitschrift für Literatur, mit zwischen 1987 und 2006 sechsunddreißig erschienenen Nummern die Literaturzeitschrift Bremens mit der längsten Lebensdauer, und Daniel Schmidt (*1997), ebenfalls ein Mitgründer, nämlich des Koller, kreiert von Kollit · Das junge Kollektiv für Literatur, und von dem von dem 2022 die erste Nummer erschien, als Print- und als Online-Edition, und deren zweite Nummer im laufenden Jahr auch schon die Nummer Zwo.

Warum der Titel stint? Dazu gab Bernd Gosau verschiedene Erklärungen. Jürgen Alberts, der auch zu den frühen Stinten gehört hatte, berichtete dann noch, wie es noch Wochen lang, nachdem man einer der rotierenden Gastgeber der Redaktionssitzungen gewesen war, im ganzen Haus nach dem Bratgeruch dieser kleinen Flussfische aus Weser und Elbe stank. Ich kann das nachempfinden: in der unter uns liegenden Nachbarswohnung in Barcelonas Altstadt gab es an jedem Freitag, wirklich an jedem, gebratene Sardinen, die bei ihrer Zubereitung ähnlich strengen Geruch verbreiten wie wohl die Stinte, und durch die offenen Türen zum Luftschacht der Küche eine Etage tiefer stieg der unverwechselbare Duft zu uns hinauf, egal ob auch unsere Türen zum patio offen oder geschlossen waren. Dieser Duft erschleicht sich sämtliche Fluchtwege!


Abgesehen davon, dass ich die bisher erschienenen Ausgaben des Koller ans Herz legen möchte, empfehle ich den 2022 erschienenen und sehr schmucken Erinnerungsband an das lange und ereignisreiche Leben des stint, herausgegeben von Bernd Gosau und reich illustriert, unter anderem mit Fotos des legendären Café Grün im Fedelhören nº 73, bis 2012 betrieben vom ebenfalls stint-Mitherausgeber Hermann Stuzmann, in dem mein Mann Hartmut und ich im Oktober 1985 unseren Abschied nach Barcelona feierten, von wo wir im Sommer 2016 zurückkehrten.


Ganz am Ende der Veranstaltung erhob sich noch ein älterer Herr, der sich sowohl als bekennendes wie zahlendes und, weil erst vor einigen wenigen Jahren eingetretenes, noch junges Bi-Mitglied des Literaturkontors Bremen und des Bremer Literaturhauses outete und der seinen Dank zum Ausdruck bringen wollte, wie ihn beide so freimütig und gastfreundlich - wieder neu nach vielen Jahren back in town - in ihre Runden aufgenommen und ihm damit in seiner alten Heimatstadt ein leichtes Wiedereinleben in das literarische Geschehen geschenkt hätten. Und beiden Einrichtungen und allen, die diese mit Leben erfüllen, wünschte er weiterhin viel Glück für die kommenden Dekaden, erst recht auch gerne im Hinblick darauf, ihnen demnächst zusammen an einem zentralen Ort in der Mitte der Stadt unter einem Dach, nicht viel weiter als fünf Schritte vom Marktplatz und Rathaus entfernt, begegnen zu können.


Damit sprach mir jener Herr aus dem Herzen und seinen diesen Wünschen schließe ich mit noch vollerem Herzen von hier aus an.


¡Vivan el Bremer Literaturkontor y el Literaturhaus Bremen!

 

Weblinks:

 

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