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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

Was haben sie gewusst?...

Aktualisiert: 12. Apr.


... all die Bremer Buchhändler? Und was haben sie getan oder damit zu tun gehabt, als bereits einige wenige Wochen nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 durch die Nationalsozialisten eine Bremer Buchhandlung "arisiert" wurde, weil deren Besitzerin eine Jüdin war? Als der Norddeutsche Lloyd mit der gleichen Eile dieser Buchhandlung die Buchläden und Bordbibliotheken entriss, die diese auf den Ozeanlinern der Reederei seit 1907 betrieb? Was als das Gleiche mit den Filialen der Buchhandlung geschah, die sie auf drei ostfriesischen Inseln betrieb? Und was, als die mittlerweile 70 Jahre alte entrechtete Eigentümerin dieser Buchhandlung am 22. Juli 1942 von Bremen in das KZ Theresienstadt verschleppt und da am 8.2.1943 ermordet wurde?

Eine kulturell und wirtschaftlich erfolgreiche Institution


Die Rede ist von Johanna (genannt: Anni) Rose Leuwer, geb. Neumark, und der Buch- und Kunsthandlung Franz Leuwer in der Bremer Obernstraße 14. Die Buchhandlung war 1903 von Frank Hendrik Hubert Leuwer (1875-1916) gegründet worden, indem er die bereits in Bremen bestens situierte Buchhandlung G.A. Harlem (gegründet 1863) übernommen hatte. Er gliederte ihr bald auch eine Kunstabteilung an, die im ersten Stock des Hauses Ausstellungen, Soireen und Salons abhielt. Im Winter 1906/07 kam noch der Franz Leuwer Verlag dazu.

Eine weitere entscheidende Sparte gliederte der umtriebige Buchhändler in sein Unternehmen ein: er bekam vom Norddeutschen Lloyd (NDL) die exklusive Lizenz, auf den Ozeanlinern der Reederei die Bordbuchhandlungen zu betreiben und die -Bibliotheken zu bestücken.


Anni Leuwer, geboren am 24.12.1871, erbte durch den frühen Tod ihres Mannes Franz Leuwer im Jahre 1916 die Buchhandlung. Da sie selbst keine Buchhändlerin war, sondern Dentistin und bis zu ihrer Ehe mit Franz im Jahre 1911 mit einer eigenen Praxis im Bremer Schüsselkorb 9/10 niedergelassen, bestellte sie zwei Mitarbeiter, die das erfolgreiche Fortbestehen des Ladens und seiner Dependancen garantieren sollten: Carl Emil Spiegel als Geschäftsführer und Karl Kamloth als Prokurist des Betriebs. Beide hatten vorher schon in der Buchhandlung gearbeitet, Spiegel sogar noch in der „Halemschen“.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam ein weiterer lukrativer Geschäftszweig dazu: auf Borkum, Spiekeroog und Wangerooge wurden die Leuwerschen Inselbuchhandlungen eröffnet. Denn auch die ostfriesischen Inseln gehörten zu den Zielen der Seebäderschiffe des NDL. Ein kluger Einfall, denn dort verbrachte ein großer Teil vor allem der norddeutschen Bildungsbürgerschaft seine Sommerferien, sie benötigten auch dort Lesestoff. So konnten nebenbei sogar die Umsatzrückgänge im 'Sommerloch' in Bremen in guten Teilen kompensiert werden. In den 1920er Jahren wurden noch kleinere Leuwer-Filialen in der Stadt eingerichtet, eine in der Falkenstraße und eine zweite in der Wachtstraße.


So konnten Franz Leuwer, nach dessen Tod seine Frau Anni und die weiteren Entscheidungsträger der Buchhandlung ein wirtschaftlich überaus solides Geschäftsmodell aufbauen, das sogar die schwierigen Zeiten der Inflation und Massenarbeitslosigkeit ohne allzu schwere Blessuren überstand. Eine Institution, die im Bremer kulturellen Leben eine zentrale und exponierte Rolle spielte.

Doch nur wenige Wochen nach der Machtergreifung durch die Nazis 1933 wurde es Anni Leuwer als Jüdin verboten, ihren Laden weiter zu führen. Die Geschäfte wurden Spiegel und Kamloth übertragen, sie wurden durch diese unrechtmäßige Aktion die Besitzer des Geschäfts ihrer vorherigen Vorgesetzten. Anni selbst bekam eine monatliche Rente ausbezahlt.

Es gibt und bleiben Rätsel

Was hatte der Norddeutsche Lloyd mit all dem zu tun, klemmte dieser womöglich nur schon ganz früh seinen Schwanz vor den neuen Machthabern ein? Oder agierte da jemand in der Direktion der Reederei oder in einer der unteren Abteilungen in vollem Bewusstsein und bereits in voller Übereinstimmung mit der neuen Ideologie?

Wie kam das alles so schnell und – wie es scheint - ohne größeres „Aufsehen“ zustande. Kann es sein, dass Annis Bremer Kollegen aus dem Buchhandel das alles nicht gesehen, nichts davon gewusst haben sollen? Dazu war die Gemeinde ihrer Bremer Berufskollegen allzu übersichtlich: das Bremer Adreßbuch verzeichnet in seiner Ausgabe des gleichen Jahres insgesamt nur gute 30 Firmen, davon allein um die 20 in der Innenstadt, also in enger geografischer Nachbarschaft zur Obernstraße. Oder haben womöglich die „neuen“ Betreiber der Buchhandlung ihre eigenen Finger im Spiel gehabt, als das alles so geschwind über die Bühne lief? Das alles mag man sich in keinem Fall vorstellen wollen.

Dennoch kann man keinesfalls zusammenbringen, dass niemand in den langen Jahren von 1933 bis zu Anni Leuwers Verschleppung ins KZ Theresienstadt 1942 etwas von ihrem Schicksal erfahren haben will. Haben ihre Kollegen, ihre Kunden, die Berufsverbände in die Hetze – und sei es „nur“ durch Schweigen – eingestimmt oder hat man sie aktiv mit betrieben?

Was wusste mein Vater?

Ein Kollege muss in jedem Fall in der Lage gewesen sein, das alles verfolgt und bis zu Anni Leuwers Verschleppung miterlebt zu haben, jemand der von 1930 bis 1932 seine Lehrzeit bei Leuwer abgeschlossen und dort noch bis zum 1. Mai 1933 gearbeitet hat. Und der von da an in der Buchabteilung der Firma „Brauner Laden Wirtz & Co. G.m.b.H. Bremen“ in der Bahnhofstraße 1 gestanden hat. Wirtz & Co. war der Ausstatter der NSDAP für Parteiuniformen, Ausrüstungen und sämtliches Propagandamaterial der Partei. 1934 setzte dieser Berufskollege seine dortige Tätigkeit mit seinem eigenen Unternehmen fort, ab dann unter dem Namen „Nordische Buchhandlung“ - bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Er war bereits 1931 mit nur 18 Jahren in die NSDAP eingetreten, ab 1933 war er Mitglied de SA. Sein Name war Wilhelm Rodewald (1912–1978). Wilhelm Rodewald war mein Vater.

Deportation in das KZ Theresienstadt

Am 24. Juli 1942 verließ der vorletzte Transport aus Nordwestdeutschland von jüdischen Mitbürgern Bremen mit dem Ziel des Ghettos von Theresienstadt. Außer Anni waren 778 weitere jüdische Menschen betroffen, aus den Regierungsbezirken Hannover 459 und Hildesheim 124, 23 aus einem jüdischen Altersheim in Varel, sowie 163 Menschen aus Bremen und 10 Menschen aus dem Regierungsbezirk Stade. Die von außerhalb Bremens kommenden Menschen waren zwei Tage zuvor nach Bremen gebracht worden. Am nächsten Tag erreichte der Transport Theresienstadt.


Anni starb am späten Nachmittag des 8. Februar 1943 an den Folgen einer Enteritis, so sagt das alles jedenfalls die offizielle „Todesfallanzeige“, ausgestellt vom Ältestenrat des Ghetto Theresienstadt, unterzeichnet von einem Dr. Karl Bergmann, vermutlich selbst ein Ghetto-Gefangener. Es gibt vermutlich niemanden mehr, der oder die Zeugnis ablegen könnten, unter welchen Umständen Anni wirklich gestorben ist.

 

Es wäre überaus wünschenswert, notwendig und überfällig, wenn sich Leute fänden, Historiker wie Laien, die Interesse und Möglichkeiten sähen, Licht in dieses nahezu unbehandelte Thema der jüngeren Geschichte der Hansestadt zu werfen, der Geschichte des Bremer Buchhandels in den Zeiten des Nationalsozialismus. Es wäre zu begrüßen, wenn sich an einer solchen Aufarbeitung ebenso der Börsenverein des Deutschen Buchhandels beteiligen würde. Und der Bremer Senat. Gerade hat sich in Bremen das Forum zur Förderung des Jüdischen Lebens im Land Bremen gebildet, auch über diese neue Ebene der gegenseitigen Verständigung könnte man das Gedenken an die vielen jüdischen Bremer Mitbürger in Erinnerung bringen, die ihren Beruf nicht mehr ausüben durften, aus unserer Stadt und aus unserem Land vertrieben wurden, die man in den Tod getrieben oder sie ermordet hat.

Das Thema berührt und betrifft mich auch aus dem sehr persönlichen Grund, dass mein eigener Vater eine direkte und exponierte Rolle in jenen Jahren von 1934 bis 1945 als der Besitzer und Betreiber der „Nordischen Buchhandlung“ im Bremer Buchhandel während des Nationalsozialismus gespielt haben muss. Mit ihm habe ich sein Verhalten und seine Geschichte in diesen Jahren und auch denen davor nie thematisieren können. Er starb dafür zu früh oder ich war damals noch nicht stark genug sensibilisiert. Heute hätte ich sehr direkte Fragen an ihn und wüsste sie zu stellen. Leider ist es dazu zu spät.

Er war mir dennoch zeitlebens ein fürsorglicher, liebevoller und verständnisvoller Vater. Das macht das Thema noch trauriger. Aber ich hoffe sehr, als sein Sohn auf diesem Wege und durch zukünftigen Einsatz wenigstens etwas gutmachen zu können.


Das ist mir ein Bedürfnis.

 

Weblinks:

  • Über das Leben von Anni Leuwer und besonders, was mit ihr in den Jahren 1933 bis 1943 geschah, hat im Detail Peter Christoffersen ermittelt und im Band 4 der im Bremer Sujet Verlag erschienenen Reihe Stolpersteine in Bremen – Biografische Spurensuche beschrieben, darum erteile ich ihm mit diesem Link sehr gerne das Wort: Link

  • Stolpersteine Bremen: Link

  • Regina Bruns: Die Bremer Juden unter dem Nationalsozialismus: Link

  • Der Transport nach Theresienstadt am 23.7.1942: Link

  • Die Stationen der Buchhandlung in Bremen: Link

  • Sujet Verlag: Link

  • Interview taz "Nicht die richtigen Fragen gestellt": Link

 

Reaktionen:

  • »Das ist schon immer wieder sehr traurig, wenn man sich mit dieser schwarzen Vergangenheit beschäftigt. Diese Anni muss eine interessante Frau gewesen sein.« - Sigrid Kraus, Verlegerin - Barcelona

  • »Vielen Dank für diesen traurig-spannenden Artikel.« - Ian Watson, Autor - Bremen

  • »Gut, danke für den Text.« - Thomas Krämer-Badoni, Soziologe - Bremen

  • Peter Christoffersen erinnert an die Buch- und Zeitschriftenhandlung Salomon in Bremens Kaiserstraße 14 (heute Bürgermeister-Smidt-Straße): 1935 nahmen die Behörden es nicht länger hin, dass eine jüdische Familie eine Buchhandlung betrieb, und der Laden wurde geschlossen. Albert Salomon starb 1937 und seine Frau Ida nahm sich im November 1938 das Leben, einige Tage nach der Pogromnacht 9./10. November 1938. Beide wurden auf dem jüdischen Friedhof in Bremen-Hastedt begraben. Link: https://bit.ly/309kHjk

  • »Es macht mich sehr betroffen zu hören, dass Dein Engagement in dieser Sache durch Dein Interview in der taz Bremen in Deiner engsten Familie so einen tiefen Riss provoziert hat. Ich kann nichts Schlechtes an dem finden, was Du in dem Interview über Deinen Vater sagst, ganz im Gegenteil. Aber man hört immer wieder von solchen Effekten, den Namen der Familie möchte man in solchen Zusammenhängen nicht öffentlich erwähnt sehen. Mach weiter!« - H.F., Buchhändler - Bremen

 

Wenn Du willst, kannst Du mir gerne Deinen Kommentar schicken, und zwar an diese Mail-Adresse: blog.guenny@mercadodelibros.info.

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