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  • AutorenbildGuenter G. Rodewald

„Wenn ich auf hohen Bergen steh‘…“


Bremen alpin? – Warum denn nicht. Da ist doch diese Bergkette, die Bremens Grenze Richtung Osten bildet und von ihrem südlichsten Punkt am östlichsten Punkt des Stadtteils Walle (in Breiten- und Längengraden: 53.1195 / 8.8072) bis zum nördlichsten Standort reicht, dieser wiederum an der östlichen Grenze von St. Magnus gelegen.


Dieses sich verstohlen im Hintergrund haltende Gebirgsmassiv hätte es nicht nötig, sich dergestalt wegzuducken, dass es kaum jemand kennt, denn es macht in letzter Zeit zweifach literarisch von sich reden. Daran sind zwei Bücher schuld, das eine ist im tiefen Süden der Republik - in Bayern - erschienen, das andere entstand keine 500 Meter vom Bremer Rathaus entfernt, im Carl Schünemann Verlag in der Zweiten Schlachtpforte Nummer sieben.


Letzteres huldigt der höchsten künstlichen Erhebung der Stadt, während die süddeutsche Publikation den höchsten, wiederum natürlichen Gipfel des Landes

Bremens in besagter in München erschienenen Publikation ins Visier rückt. Allerdings ist diese Erhebung in diesem Buch nicht der einzige Star, denn es stellt

jeweils die höchste (aber immer naturgegebene) Erhebung eines jeden der sechzehn Bundesländer in seinen Mittelpunkt. Bremen fällt dabei nach den letzten PISA-Studien und so manch anderer bundesrepublikanischen Hitliste ein erneutes Mal mit einem Superlativ auf, allerdings auch abermals mit einem Minusrekord, an dem aber in diesem Fall weder der aktuellen Rot-Rot-Grünen Senatsregierung noch einer

anderen Koalition der vergangenen Jahrzehnte die Schuld in die Schuhe geschoben werden kann. Letztendlich waren die äußerst sanften Verschiebungen der Erdoberfläche vergangener Äonen in unseren Regionen die Ursache, dass sich keine spektakulären, womöglich alpinen höhere Bergmassive im Dreieck der Unterweser / Lesum / Hamme bilden und auftürmen wollten.


Zwei Bremensien mit alpinem Inhalt


Das erste der zwei Bücher erzählt die Geschichte der Entstehung, der Vollendung und seinem gelungenen Erlebnisangebot des im Juli 2021 eingeweihten Kunstobjekts Stonehenge im Bremer Blockland. Das zweite erzählt neben weiteren fünfzehn Kapiteln von der „Besteigung“ der höchsten natürlichen Erhebung des Landes Bremen, die mit diskreten 32,5 m ü. NN gegen die höchste der Republik, der Zugspitze mit ihren bayerisch-großmäuligen 2962 m ü. NN antreten muss und damit mit nur unbedeutenden 2.929,50 Metern weniger Unterschied in den Himmel ragt.


Obwohl hier muss der erste bescheidene Einwand gelten: nicht wirklich im direkten Sinne in den Himmel erhebt sich der höchste Gipfel Bremens, sie ist sogar gar nicht so leicht ausfindig zu machen, denn das immer wieder neu von unbeirrbaren Anhängern alpiner Superlative errichtete, aber immer wieder gestohlene

hölzerne Gipfelkreuz, fehlt zurzeit mal wieder. Um diesen Punkt zu finden, muss man sich aufmachen in den Park der Stiftung Friedehorst, der zu der seit 75 Jahren im Bremer Ortsteil St. Magnus existierenden diakonischen Einrichtung für die Förderung bei der Altenhilfe, Behindertenarbeit, Rehabilitation und beruflichen

Weiterbildung gehört.


Diese war 1947 auf dem Areal eines amerikanischen Militärhospitals – bis zum Ende des 2. Weltkrieges die Kaserne einer Flak-Stellung – gegründet worden. Das geschah auf Initiative des Amerikaners Dr. Eldon Ray Burke, dem Koordinator amerikanischer Hilfsgüterlieferungen für die Region im Rahmen des Council of Relief Agencies Licensed to Operate in Germany. Er hatte das Projekt in die Wege geleitet, um die Not der Menschen in Bremen in der Nachkriegszeit zu lindern und konnte damals noch in letzter Minute verhindern, dass die bereits vorbereitete Sprengung des ehemaligen

Wehrmachtsgeländes in die Tat umgesetzt wurde.


Da oben also unter den Wolken - so heißt auch das Buch – liegt dieser Berg (nennen wir ihn großzügigerweise einfach so) in diesem Park, einem beinahe verwunschen

erscheinenden Wald mit jahrhundertealten, weit in den Himmel ragenden Bäumen. Nicht im wirklichen Sinne ein Park, dann dazu präsentiert er sich an vielen Stellen zu sehr, dabei aber sympathisch naturbelassen, beinahe urwaldlich wild. Mittendrin gibt es den Seilgarten Lesum, einem Erlebnispark für Kinder und Erwachsene (www.seilgartenlesum.de) und die Stiftung selbst arbeitet hier mit ihrem Projekt Klimaschutz und Inklusion (klimaschutz-und-inklusion.de), das in diesem Rahmen Workshops anbietet, in denen sich Menschen – ob jung oder alt und ob mit oder ohne Handicaps – gemeinsam für den Klimaschutz stark machen. Auf dem Friedehorst-Gelände und in und mit der Nachbarschaft lernen sie Handlungsmöglichkeiten in den Themenfeldern nachhaltiger Konsum, klimafreundliche Mobilität und Ressourcenschutz kennen.

Der Friedehorstpark wurde etwa 1875 um das Landgut Lehnhof des Generalkonsuls, Bankiers und Bremer Senators Johannes Theodor Lürman (1816 – 1889) vermutlich von Wilhelm Benque (1814 - 1895), dem Gestalter auch des Bremer Bürgerparks, im landschaftlichen Stil angelegt. Das Herrenhaus, ursprünglich ein Gebäude im Schweizerhausstil, wurde 1857 errichtet und 1904 durch einen Neubau im neobarocken Stil ersetzt, der wiederum in den 1930-er Jahren abgerissen wurde. Der Park war ursprünglich mit ca. 17 ha größer als heute, wo er nur noch 9 ha misst. Im Westen des Parkgeländes entstand 1950/51 die seit 1971 unter Denkmalsschutz stehende Lehnhofsiedlung, dieder Bremer Architekt Eberhard Gildemeister (1897 –

1978) verwirklichte. Deren Wohnhäuser und Villen mit mächtigen Reetdächern liegen frei auf den Wiesen des Parks, ohne Abgrenzungen zueinander durch Zäune, Mauern oder hohen Hecken. Gildemeister kennt man in Bremen unter anderem, aber vor allem durch seinen Entwurf des Hauses des Reichs an der Contrescarpe.

Mit dem größten Bürgermeister auf den kleinsten Berg


Kehren wir zurück in den Friedehorstpark und zu der Exkursion der beiden Gipfelstürmer, dem Bremer Altbürgermeister Henning Scherf und dem Münchner

Radiojournalisten Achim Bogdahn. Am Anfang stand die Idee des Autors, Reportagen von allen der jeweils höchsten, aber eben immer natürlichen Erhebungen der 16 Länder Deutschlands für seinen Sender, den Bayerischen Rundfunk, zu machen, sie selbst zu besteigen, aber immer in Begleitung einer populären oder „auffällig“ gewordenen Persönlichkeit, die einen Bezug zu dem jeweiligen Bundesland hat. So gewann er einen Rocko Schamoni für Schleswig-Holstein und den dortigen Bungsberg, in Baden-Württemberg absolvierte er die Erklimmung des Feldbergs mit dem Ex-National-Fußballspieler Mehmet Scholl. Mit der Ex-Bischöfin Margot Käßmann traf er sich in Niedersachsen und mit dem Filmregisseur Edgar Reitz in

Rheinland-Pfalz.


Nun, und in Bremen eben mit dem zu jeder Schandtat bereiten Ex-Bürgermeister der Stadt, der auf Bogdahns telefonisch vorgebrachte Anfrage sofort eingewilligt hatte. Das bescherte dem Autor jene schöne Schlagzeile: die mit dem längsten Bürgermeister (2,04 m) auf den niedrigsten Berg (32,5 m). Aus der Idee der eben 16 zustande gekommenen Reportagen von einer Länge von jeweils einer knappen Stunde, die man allesamt auf der Homepage des BR nachhören kann, entstand dann das höchst amüsante bis lehrreiche Buch, das der Autor in einer vielbesuchten Lesereise bundesweit vorstellte, in deren Verlauf er sogar die weite Reise in unsere Stadt nicht scheute und in der ältesten Buchhandlung Vegesacks sein Buch Anfang des Monats November vorstellte und aus ihm vorlas. Und dort wieder in wessen Begleitung?

Natürlich wieder in der seines alten alpinen Bergfreundes Scherf!


Bloß nichts wegschmeißen!


Oder auch: nur nichts umkommen lassen. Unter diesem Motto kann das

Curriculum des im vergangenen Jahr errichteten Monuments Metalhenge betrachtet werden. Denn auf der bereits 1969 in Betrieb genommenen Mülldeponie im Bremer Blockland werden seitdem vor allem mineralische Abfälle gewerblicher Herkunft abgelagert. Ich erinnere mich gut, dass wir in den 70er Jahren unseren Sperrmüll und sonstigen Abfall noch mit dem eigenen PKW direkt und von niemandem kontrolliert hinauf nach oben auf die „Müllkippe“ fuhren, dort umzingelten uns mächtige Bulldozer und umkreisten uns schreiende Möwen, die nach Futter und Beute in den

Abfällen suchten und sicher auch reichlich fanden.


Der älteste Hügel der immer wieder erweiterten Deponie wurde dann irgendwann

stillgelegt, in diesem Zug vollständig abgedichtet und – wie es bezeichnet wird – renaturiert. Und dann rief dieser mittlerweile sich unschuldig gebärende Berg den Bremer Künstler Thomas Roth (* 1953, Bad Camberg - www.thomas-roth-malerei.de) auf den Plan und eine wunderschöne Idee entstand. Lassen wir ihn aber selbst zur Sprache kommen:

Metalhenge entspringt einer Idee, die die Blocklanddeponie ausgelöst hat:

Beim Abladen meines Sperrmülls verspürte ich den Wunsch, auf Bremens höchsten Berg zu gelangen. Dr. Christian Vater, der Leiter der Deponie, gewährte mir einen Ausblick von ganz oben, der mich sogleich überwältigte. Hier musste etwas entstehen, das die Magie dieses Ortes und das Material, aus dem er entstand, spürbar macht. Unsere Zusammengehörigkeit mit diesem Müll, der Stadt, der Landschaft, dem ganzen Universum, sollte angedeutet werden. So zitierte ich Stonehenge, weil dieser Name sofort eine Erhabenheit für diesen Ort behauptet und ihn und den Müll, aus dem er besteht, als einen Teil unserer Kultur erklärt.


Dr. Vater beförderte nach Kräften die Realisierung dieser kühnen Idee.

Stonehenge ist sehr vielschichtig zu betrachten, einer der wichtigsten Aspekte ist jedoch seine astronomische Ausrichtung, die Metalhenge unbedingt zitieren will. Dies wurde nur möglich, weil komplementär zur formalen Idee der Astronom Dieter Vornholz den Metallkreis so ausrichtete, daß einige astronomische Visierlinien und die Verwandtschaft mit dem fast 5.000 Jahre alten Vorbild entstanden. Ohne diese wissenschaftliche Bereicherung wäre Metalhenge nur ein „halber“ Kreis, denn der echte Nachvollzug der jährlichen Sonnen- und Mondbewegung macht unsere Bindung mit dem Kosmos, zu dem auch alles Irdische gehört, erlebbar.


Heute bedankt sich der Berg, indem er seinen Besuchern eine unerwartete Sicht auf den Horizont Bremens schenkt, bei guter Sicht linker Hand vom weiten Süden der Stadt über das Zentrum bis ganz nach rechts in den Norden über die Lesum hinaus. Und in östlicher Richtung geht der Blick über die faszinierend weite Landschaft des Blocklands und seine Farben, dem frischen Grün des Frühjahrs, dem kräftigen Dunkelgrün des Sommers und sein Gelb des Strohs der abgemähten Wiesen, seine Brauntöne des Herbstes, das Schwarz der winterlichen Böden und bei viel Glück

dem Weiß, wenn tatsächlich einmal Schnee gefallen sein sollte, aber auch der Raufrost hat bei der Farbgebung ein Wörtchen mitzureden. Und wenn dann aus dieser Perspektive auch noch der Himmel mitspielt, kann man am Horizont sogar den Weyerberg bei Worpswede entdecken, gewissermaßen als Trost, dass der Blick von hier oben nicht bis an die Nordsee reicht, aber doch fast…


Somit schenken uns diese beiden Bücher die Anregung zu zwei an ihrer Ostgrenze und im besten Sinne am Rande Bremens liegenden Ausflugszielen und den

Besuchern aus Niedersachsen ebenso in die andere Richtung, zu dessen Westgrenze zum zweitgrößten seiner nachbarlichen Stadtstaaten. Oder man genießt beide Publikationen, um die Besteigungen der beiden schüchternen Versuche, unserer Stadt etwas Alpines zu verleihen, nachzuerleben - immerhin liegt der Friedehorstpark

doch mitten in der vielzitierten Bremer Schweiz.

 

Der Friedehorstpark ist mit der NordWestBahn Linie RS1 zu erreichen; bis Bahnhof Bremen-Lesum und von dort mit der Buslinie 90 der BSAG Richtung Neuenkirchen bis Haltestelle Holthorster Weg, von da ca. 350 Fußweg. Mit dem PKW kann man auf dem Besucherparkplatz der Stiftung Friedehorst parken: www.friedehorst.de

Metalhenge ist an 365 Tagen im Jahr und täglich 24 Stunden geöffnet, der Eintritt zum Aussichtspunkt ist frei. Der „Gipfel“ ist über eine gepflasterte Auffahrt auch mit einem Rollstuhl oder Kinderwagen problemlos zu erreichen. Die Fahrräder müssen allerdings unten bleiben. Der Weg vom Parkplatz bis zum Zentrum des Monuments ist etwa einen Kilometer lang. Hinzu kommt eventuell der Fußweg von der Bushaltestelle der Buslinie 24 Hohweg (ca. 1,9 km/24 Minuten). Die Anfahrt mit dem Fahrrad oder dem PKW beschreibt die Homepage von Metalhenge: www.metalhenge.de

 

(Dieser Artikel wurde erstmalig im Dezember 2022 in der Nº 88 der Zeitschrift Schwachhauser · Magazin für Bremen veröffentlicht.)


Und hier ein Bericht über meinen eigenen Aufstieg auf

Metalhenge, besser meine Auffahrt (mit meinem E-Dreirad),

auf den gekrönten Müllberg, ganz kurz nach seiner

Einweihung: bit.ly/3ADgW7J

 

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