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AutorenbildGuenter G. Rodewald

Wäre Beethoven im Saal gewesen…


… und er wirklich so hochgradig schwerhörig oder gar taub, wie berichtet wird, dann würde er dennoch angesichts der leidenschaftlichen Spielfreude der Musiker der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen · DKB nicht anders entscheiden können als diesem Ensemble und seinem langjährigen Leiter Paavo Järvi auf Lebenszeit die uneingeschränkte Exklusivität einräumen, mit seinen Symphonien aufzutreten. Es hält sich sogar das hartnäckige Gerücht, dass der maestro während der kompletten Woche sich im Saal versteckt gehalten haben soll, denn am Nachmittag des ersten Spieltages des Beethoven-Zyklus habe man jemanden an der Glocke vorbeikommen und ihn auf den Eingang des Konzertsaals zu schlurfen sehen, der eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Bonner Komponisten gehabt habe. Leider konnte ihn – bei aller Geistesgegenwärtigkeit – ein Fotograf nur noch von hinten fotografieren, aber immerhin doch das:

Auch war zu beobachten, dass Jaavo Patvi während seines Dirigats immer mal wieder über seine linke Schulter mit verschworenem Zuzwinkern seinen Blick in die erste Reihe des Parketts schweifen ließ. Saß da womöglich irgendwo der Bonner Kompositeur und gestattete nur dem estnischen Dirigenten den unverdeckten Blick unter seine Tarnkappe?


„Der Ring“ – An 4 Abenden in Bremen


Nicht nur für den Meister selbst, nein, wage ich zu behaupten, es war ein reines Fest für alle, die die vergangene Woche in Die Glocke erleben durften und die das Musikfest Bremen 2022 Bremen ermöglicht hatte: vom Montag bis zum Freitag führte die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen den vollständigen „Ring“ der neun Beethoven-Symphonien in chronologischer Reihenfolge auf: am Montag die Nummern I, II und III, am darauffolgenden Abend die IV und die V, am Mittwoch die VI und VII. Den Donnerstagabend hatte man den Musikern und dem Publikum eine Verschnaufpause gegönnt, bevor man dann am Freitag zum Finale antrat, der eher stillen Symphonie VIII und als Paukenschlag die mächtige Neunte, mit dem prächtigen Chor vom Vokalensemble Rastatt und den stimmgewaltigen Solisten Christina Landshamer (S), Annely Peebo (A), Maximilan Schmitt (T) und Hanns Müller-Brachmann (B), deren Finale den Saal zum Zittern und fast zum Bersten brachte (an der Pauke: Jonas Krause!).


Noch nie hatte ich diesem in aller Welt mittlerweile gerühmten und gepriesenen Orchester live zuhören dürfen, da ich lange im Ausland wohnte. Von der Konserve und als Bremer Spezialität war es mir natürlich schon lange ein Begriff, aber was ist das alles im Vergleich dazu, ihm im gleichen Raum zuhören zu können! Und dann gleich in so kompakter Konstellation.


The Beethoven Project, das so als special offer das erste Mal für das Bonner Beethoven-Fest 2009 gegeben worden war, also als geschlossenes Konzert mit allen neun Symphonien von Beethoven in einem 4-Tage-Paket, wurde danach noch mehrfach in verschiedenen Städten des Globus‘ aufgeführt und faszinierte die Konzertbesucher bei den Salzburger Festspielen, in Paris, Strasburg, Warschau, in Tokio, Yokohama, Lanaudière (Kanada), in São Paulo und in Peking. Und im November 2020 sollte dann auch endlich Bremen mit dem Zyklus beglückt werden, gewissermaßen als Dessert des 31. Musikfestes Bremen, das dann aber am Ende wegen der Corona-Pandemie zur Gänze abgesagt werden musste; so fiel ihr auch das Konzert im November zum Opfer.


So wurde nun aus dem Dessert ein genauso gut passendes Entrée zum 33. Musikfest Bremen 2022, das am 20. August starten wird und für das zu Beginn der jeweiligen Konzertabende sein Intendant Prof. Thomas Albert herzlich einlud. Überhaupt steigerten sich Alberts launige Ansagen von Abend zu Abend, man merkte ihm an, wie gerade er sich freute und wie glücklich er ist, dass das Fest dieses Jahr endlich stattfinden kann, so sehr wie er leiden musste, als er vor zwei Jahren aus dem leeren Saal der Glocke in seiner Video-Botschaft bitter verkünden musste, dass es nix werden könne mit dem Fest (noch zu sehen auf YouTube...)


Musiker*innen/Schauspieler*innen


Nein, wirklich nicht! Wohl noch nie habe ich so ein lebendiges Orchester spielen sehen, ja spielen tun diese Kammerphilharmoniker*innen nicht nur auf ihren Instrumenten, sondern sie agieren und mimen zu der Musik, können kaum sitzen bleiben auf ihren Stühlen, sie lachen einander zu, freuen sich über die vielen Passagen, die Beethoven ihnen in ihre Instrumente komponiert hat. Es ist die reine Lust, diesem Orchester bei ihrem Spiel zuzuhören und zuzusehen.


Natürlich auch ganz besonders Järvi Paavo, der seit 2004 dem Orchester als Künstlerischer Leiter vorsteht, und dessen gegenseitiges Verständnis mit den Musikern und die gemeinsame Spiellaune ihm mit jedem Takt anzumerken ist. Seine nie übertriebene, durchgängig vitale und lebensfrohe Gestik, Mimik und Motorik, seine präzisen und handmalerischen Bewegungen tragen auch bei ihm zu einem optischen Vergnügen bei, das dem musikalischen Erlebnis so überaus guttut.


Fast exklusiv war meine persönliche Sicht auf das Podium: ich hatte einen wunderbaren Platz im Parkett, Reihe 8, Platz 1 links, so hatte ich - gleich links vom Dirigenten - die Musiker der Violas, der Bratschen in meinem Blick. Nie hatte ich darum so viel Augenmerk richten können und war mir das wunderbare Spiel und der volle Klang dieses Instruments so nahe gegangen wie an diesen vier Abenden, sichtbar verkörpert durch die in der ersten Reihe des Violablocks sitzende und mit extrem lebendiger Mimik musizierende Friederike Latzko, sie eines der Gründungsmitglieder der DKB im Jahre 1980, und an ihrer Seite der junge Christopher Rogers-Beadle, der sich auf beste Weise von der Vitalität und guten Laune seiner Kollegin und der Stimmführerin seines Instruments hat anstecken lassen.

Das Publikum tobte geradezu an allen vier Abenden zum Schluss der Konzerte und verheimlichte in keiner Weise seine Begeisterung, indem es sich bei den Musikern mit stehendem, rhythmischem und Applaus mit Händen (und Füssen!) bedankte. Die Philharmoniker erwiderten ihrerseits ihren Dank mit einer tiefen Verbeugung vor dem Auditorium und drückten ihre eigene Freude aus, indem sie sich alle gegenseitig in die Arme nahmen. Ein schönes Bild zum Abschluss.


Was meint der Bremer?


Beim Verlassen des Saals zu einer der Pausen, ich meine es war der dritte Abend, hörte ich neben mir ein Paar den Abend oder vielleicht die bis dahin gehörten Symphonien in bestem breiten Bremisch kommentieren. Er: „‘Ne ganze Menge Musik auf einen Schlach!“ – Sie: „Das sach man.“ Was kann ich solch geballtem Lob, was man wohl nur in dieser Stadt so zu formulieren imstande ist, noch hinzufügen? Höchstens: Da capo! Was man in Bayreuth kann, können wir hier schon lange, und bequemer sitzen tut man hier in der Glocke wohl auch als im Festspielhaus auf jenem Hügel.


Und da schließt sich ebenfalls gut an, was Christian Berger, der Regisseur des absolut sehenswerten Films The Beethoven Project im Making Of über seine Protagonisten sagt: „Für mich klang’s sehr gut.“

 

Weblinks:

 

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